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Die Welt des Baedeker

Auf ihrer Reise zu Karl Baedeker und mit dem „Baedeker“ lenkt Susanne Müller unseren Blick auf eine neue, medienkulturgeschichtliche Perspektive: das Wechselspiel von Verlags- und Kulturgeschichte mit auch technisch bedingten zeittypischen Sehweisen. Die, im „Baedeker“ schnell umgesetzt, ihn so zu jenem epochenspezifischen Reisehandbuch-Standwerk werden lassen, das uns hier facettenreich präsentiert wird.

Blick 1. Engländer.
Überall Engländer. Omnipräsent und überall die Ersten. In Industrie/Technik (Dampfmaschine, Lokomotive, erstes dampfbetriebenes Schiff) und deren Folgewirkung von immer mehr Reisenden. In London erscheint, 1783, die erste romantische Beschreibung des Rheins, 1800/1820 folgen dann die Schlegels, Brentanos, von Arnims. Einen Nachfolger findet auch John Murray III., London, mit seinen dort seit 1828 so erfolgreich verlegten Reiseführern: Karl Baedeker, Koblenz. Sind doch Murrays Reiseführer 1839 formales und strukturell-inhaltliches Vorbild für den ersten „richtigen“ Baedeker, die „Rheinreise von Straßburg bis Düsseldorf mit Ausflügen nach Baden, Heidelberg und Frankfurt, … .“ Und bleiben es.

Blick 2. In der Campagna.
Tischbeins 1786/87 bildmittig ruhender „Goethe in der Campagna“ war noch kein Tourist. Wenig bezeichnet besser den inzwischen zurückgelegten touristischen Weg als 1845 Carl Spitzwegs ironisierendes Gemälde einer Gruppe stehend fern-sehender „Engländer in der Campagna“ (Umschlagfoto). Reisen, Kind der Aufklärung, nun Mittel bürgerlicher Bildung/Erziehung, Emanzipation. Und immer häufiger mit dabei: der „Baedeker“, das räumlich-kulturell verläßlich orientierende und strukturierende Hilfsmittel:

Blick 3. Die Perspektivenwechsel
Nach 1780 wird früher Gefährliches (Berge, Flüsse), ästhetisiert, romantisiert, die Landschaft nun erhaben, schön. Protoypisch: der Rhein. Sein Panorama (Ursprung: England, um 1790) erlaubt Übersicht und Rundblick, Eisenbahn und Dampfschiff fordern detailliertere Wegbeschreibungen als bisher. Nicht länger dann in der noch schneller gewordenen Welt (der Reiseführer) um 1900. In der nun punktuelle Beschreibungen den Rundblick ersetzen, am Beispiel „Unter den Linden“, Berlin 1842 und 1889, überzeugend nachzulesen. Industriegebiete, in der Frühzeit des „Baedeker“ noch Teil der Landschaft, weichen später, ein häufiger Kritikpunkt, der Abbildung alleine repräsentativ-idealer Landschaften und Bauwerke. Alles wenig Ansehnliche bleibt ausgespart. Diese Lücke füllen ab den Zwanziger Jahren Reisehandbücher für neue Zielgruppen (Flugreisende, Fahrradfahrer usw.) und für eine nicht mehr so ganz neue soziale Schicht: 1932 erscheint im Dietz-Verlag ein „Arbeiter- Reise-und Wanderführer“. Fast überflüssig zu schreiben, daß sich in „Baedeker“-Titeln und –Inhalten auch deutsche Zeitgeschichte widerspiegelt, kaiserzeitliche Orient-Interessen ebenso wie nationalsozialistische Expansionspolitik (Baedekers Generalgouvernement, Leipzig 1943).

Blick 4: Ausblicke
und Einblicke, multispektral, auf und in vorher kaum so gesehene kulturell-technische Zusammenhänge, wenig theoriebelastet, durch eine angenehm-bildhafte Sprache zusätzlich konturiert.
Ein gelungenes Lese-Buch fĂĽr reflektierende Reisende.

30.03.2013
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Müller, Susanne: Die Welt des Baedeker. Eine Medienkulturgeschichte des Reiseführers 1830 – 1945.
Campus-Verlag, Frankfurt 2012. 354 S.,47 Abb., 21 x 14 cm, Engl. Br. EUR 29.90
ISBN 978-3-593-39615-6
 
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