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Die Hieroglyphen von heute - Bilderschriften auf Warenverpackungen |
Das Projekt des Typografen Hans-Rudolf Lutz (*1939), der Drucke auf Transportverpackungen für Waren sammelt, hätte dem Philosophen Walter Benjamin ungemein gefallen, da er nicht nur selbst ein Sammler von Alltagsobjekten war, sondern im Passagen-Werk wollte er nicht weniger als eine Entschlüsselung der Warenwelt leisten. Leider konnte Benjamin, be-dingt auch durch die Zeitläufte, dieses Projekt nicht mehr vollenden, der Text „Lumpensammler“ schließt insofern an das Passagen-Werk an, hier interessierte sich Benjamin für Weggeworfenes, wozu bekanntlich auch Verpackungen gehören, die umso wichtiger werden, werden Waren heute doch rund um den Globus verschickt und die Warenströme, so jedenfalls Wirtschaftshistoriker, werden im Zuge der Globalisierung noch zunehmen. Bis auf wenige Aus-nahmen, z.B. bei Großgebinden für Obst / Gemüse, bei denen Transportverpackungen auch als Verkaufsverpackung genutzt werden, sieht der Endverbraucher diese nicht, da sie nur zum handelinternen Gebrauch bestimmt sind. Umso interessanter, wie Lutz zu einer Sammlung von 5000 Objekten kam, von denen er jetzt eine Auswahl in einer Publikation präsentiert, die den Titel „Die Hieroglyphen von heute – Zeichen auf Verpackungen für den Transport“ trägt.
Den Titel wählte Lutz geschickt, versteht man zeichentheoretisch unter Hieroglyphen doch eine Schrift, die sich im Wesentlichen aus Zeichen in Form von schematisierten Bildern zusammensetzt. Diesen Weg vom Bild zum Zeichen führt Lutz konzentriert am Ende seiner Abhandlung in einem gesonderten Kapitel prägnant als abnehmende Komplexität, um des hohen Erkennungswertes willen, vor. Leider verzichtet Lutz auf eine zeichentheoretische Einführung. Hieroglyphen gelten in der Zeichentheorie, im Unterschied zu symbolischen und idexalischen, als ikonische Zeichen, da bei ihnen die Beziehung von Gegenstand und Zeichen auf einem Abbildverhältnis beruht. Wer Bildzeichen entschlüsseln kann wird am Inhaltsverzeichnis, das einige von ihnen als ‚Überschriften‘ verwendet, seine Freude haben. Da Lutz zudem die ansonsten übliche Hierarchiestruktur von Inhaltsverzeichnissen unterläuft und das Inhaltsverzeichnis als Aneinanderreihung von Bildzeichen gestaltete, sollen die vom Autor behandelten Aspekte dieser Piktogramme, die nur grob unterteilt wurden, unter übergeordneten Aspekten in einer Feinjustierung zusammengefasst werden, die quer zu deren Anordnung liegen.
Jedes Kapitel beginnt mit einem einführenden Kurztext, der jeweils einen Aspekt von Transportverpackungen aus Karton behandelt und dem dann viele kleine Abbildungen folgen. Gleich zu Beginn, im Rahmen einer allgemeinen Einführung, arbeitet Lutz drei Elemente her-aus. Neben dem Aspekt universaler Verständlichkeit der Bildzeichen und des Wortes „fragile“ heraus, das sich somit zu einem Weltwort entwickelt hat, führt Lutz für die Reduktion der der Bildzeichen auf das Wesentliche drucktechnische Gründe an. Interessant ist die Sammlung von Lutz auch deshalb, weil sich die Werbewirtschaft und Designer bisher für diese Marginalien kaum interessiert haben, obwohl die Bildzeichen neben der Bezeichnungsfunktion auch eine Werbefunktion haben und bislang vor allem außerhalb professioneller Designprozesse in den Firmen recht frei von Firmenangehörigen gestaltet werden, so Lutz zum dritten Aspekt, die keine Ausbildung in diesem Bereich haben, aber trotzdem einen Transfer vom „High-Tech-Design“ für Verkaufs- und Inhaltsverpackungen in das„Low-Tech-Design“ der Transportverpackung vornehmen müssen.
Im umfangreichsten Teil des Buches werden dann die einzelnen Elemente der Transportverpackungen vorgestellt. Es finden sich darauf 1) geographische, nationale oder regionale Symbole, die auf die Herkunft des verpackten Produkts schließen lassen, wie z.B. eine Tulpe für die Niederlande oder das Rautenmuster für Bayern. Als Zweck gibt Lutz den Imagetransfer auf das Produkt an. 2) Auch dem Image aber auch der Darstellung von Größenverhältnissen dienlich ist die Abbildung von Menschen im Zusammenspiel mit dem Produkt. 3) Statt des Produkts kann der Herstellungsort, z.B. eine Fabrik, im Bild angezeigt werden. 4) Sehr interessant ist eine Beobachtung von Lutz, dass sich auf Transportverpackungen auch Darstellungen davon finden, wie der Gegenstand produziert wurde, dieser Umstand aber auf den Verkaufsverpackungen getilgt wurde, so als solle nichts daran erinnern, dass sich der Kauf nur durch vorherige Erwerbsarbeit realisieren lässt. Neben der 5) Demonstration von Qualitäten des Produkts finden sich noch Elemente wie 6) eine Nobilitierung des Produkts durch Hinzufügung von Wappen und positiv aufgeladener Symbole wie Ritter, Engel, Heilige oder be-stimmter Tiere wie Löwen. Auch im Angebot der Bildzeichen finden sich 7) Firmen- und/oder Markenzeichen als Schrift-Bild-Kombinationen mit einer markanten Untergruppe von kreisförmigen Bildzeichen. Unter kulturgeschichtlichem Aspekt interessant ist auch die nächste Gruppe von Piktogrammen, in der 8) Tiere vermenschlicht oder Kindliches in Form von Comics gezeigt wird. Als Untergruppe erscheinen jene Bildzeichen, bei denen Produkte verlebendigt werden. So erhalten Flaschen, Hemden, Autos unter andere Gegenstände Gesichter. Auch in eine Untergruppe dieser Kategorie gehören Zeichen, die geschlechtsspezifischen Handlungen und Haltungen gelten. Die Codierungen für Mann und Frau sind auch hier gesellschafts- und kulturtheoretisch aufschlussreich. Der Mann wird mal als Krieger, Staatsmann, Superman, Sportler, Cowboy und Gelehrter dargestellt, die Frau wird kaum als Erwerbs- dafür häufig als Hausarbeiterin dargestellt. Diese eindrucksvollen Beispiele finden sich erst im hinteren Teil des Buches ebenso wie 9) Darstellungen, die als laufendes Band ornamental über die Kartonausdehnung gelegt sind. Abteilung 10) des Katalogs präsentiert schematische Zeichnungen, die Hinweise zum Gebrauch des Gegenstands enthalten und als Bildfolgen konzipiert sind. Transportverpackungen können neben den Funktionen von Werbung und Bezeichnung auch noch zur 11) Warenpräsentation genutzt werden und dies bedarf dann einer gesonderten Darstellung zur Aufstellung im Einzel- oder Großhandel in Form von Bildfolgen.
In der nächsten Sektion greift Lutz das 12) Element der Eigenwerbung der Kartonhersteller auf, deren Signets sich ebenfalls auf den Verpackungen finden, wie das 13) Material Karton selbst beworben wird. Verbunden mit diesem Aspekt sind jene, die sich 14) mit der Herstellung von Druckvorlagen, Drucktechnik und Typographie beschäftigen. Eine 15) Besonderheit kommt aus den USA, die den technischen Anforderungen der Kartonagen gilt, die in einem sogenannten Box Certificate Angaben über dessen Belastbarkeit, Stärke und Größe enthalten muss. Dieser Punkt führt zur nächsten Station, in der es 16) um Beschriftungen zu Herkunfts-, Durchgangs- und Bestimmungsorten geht, die mit Stempelbuchstaben auf den Wellkarton gedruckt werden und für Lutz eine ganz eigene Ästhetik entfalten. Hier herrscht ein Mix aus Wortbändern, eine Kombination von Zahl, Wort, Tabellen und geometrischen Figuren. Auch dazu gibt es eine Untergruppe. Auf Verpackungen aus Taiwan finden sich codierte Abkürzungen von Empfängerfirmen in einer Raute. Damit auf der Reise der Inhalt nicht beschädigt wird, enthalten die Kartonagen noch weitere Piktogramme, die 17) dem richtigen Umgang mit den Waren gelten. Gerade hier müssen die Angaben universell lesbar gestaltet sein, da Gebinde mit bestimmten Produkten einer differenzierten Behandlung bedürfen. In Rede steht der Schutz vor Feuchtigkeit, bestimmten Temperaturen, vor Bruch und Verletzbarkeit, bestimmte Objekte können leicht entzündlich oder allgemein als Gefahrgut eingestuft sein, bestimmte maximale Belastbarkeiten bei Stapelungen sind ebenso zu berücksichtigen wie bestimmte Richtungen der Lagerung. Hier kommt der Pfeil zum Einsatz. Ein Darstellungszeichen aber wird, so Lutz, bald verschwinden, der durchgestrichene Haken. Er zeigt an, dass Karton nicht mit einem Haken bewegt werden kann, wie es bei manueller Handhabung geschieht, die aber zugunsten mechanischer Warenbewegung stetig abnimmt. Vor dessen Verschwinden wurde von Lutz damit ein Zeichen inventarisiert, dass vielleicht am stärksten von der Umbruchzeit in der Logistik kündet
Die Sammlung Lutz weist eine beeindruckende Vielfalt von Formen bei der Darstellung unterschiedlicher aber auch gleicher Produkte auf und er sammelte aus allen Gegenden der Welt. Bei Motiven, die der Darstellung des gleichen Produkts gelten, wäre es sehr interessant zu erfahren, woher dieses Sammlungsstück stammt und es wäre auch spannend zu wissen, ob sich über die Zeitläufte hinweg neue Variationen ergeben, zumal einige Produktgruppen sich in ständiger Veränderung befinden, einige Objekte auch aus dem Handel verschwinden. Auffällig ist zudem, dass sich Beschriftungen mit lateinischen Buchstaben weltweit durchgesetzt haben und so für Länder, die diese Schriften nicht verwenden, Doppelmarkierungen angebracht werden.
Kongenial wurde der Umschlag gestaltet, nimmt dieser durch die verwendete braune Farbe den Farbton der meisten Kartonagen auf. Da es sich bei diesem Werk um die Darstellung ei-nes globalen Phänomens handelt, sind die Kurztexte viersprachig gehalten, auf Englisch folgt Deutsch und Französisch und danach wird der Text in japanischen Schriftzeichen abgedruckt.
Das Buch ist eine Fundgrube für kulturell Interessierte, für zukünftige Archäologen, Typografen und für Wirtschaftswissenschaftler, setzt es die globale Warenbewegung ins Bildzeichen.
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Sigrid Gaisreiter |
Lutz, Hans R: Die Hieroglyphen von heute. 2. Aufl. 528 S., 5000 Abb. 30 x 22,5cm.Gb Niggli, Basel, 1996. EUR 54,00 CHF 88,00 |
ISBN 978-3-7212-0639-5
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