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Vincent van Goghs Landschaften im Kunstmuseum Basel

„Zwischen Erde und Himmel“ betitelt das Ausstellungsteam um den Direktor des Basler Kunstmuseums, Bernhard Mendes Bürgi, die grosse, von Nina Zimmer kuratierte, Sommerausstellung über die Landschaftsgemälde von Vincent Van Gogh, mit der sich Basel auch heuer – vergangenes Jahr waren es Chaim Soutine im Kunstmuseum und die Homer-Ausstellung im Antikenmuseum Basel – weit oben auf der Agenda von Kunstliebhabern aller Art positioniert.

Kaum jemand, der heute von Van Gogh noch nie gehört, der nicht eines seiner Bilder zumindest in der Reproduktion gesehen hat oder nicht um die (unlängst noch) schwindelerregenden Preise seiner Gemälde weiß. Und doch kennt der kunstbegeisterte Laie zumeist die tragischen Schnipsel der Leidensgeschichte des holländischen Künstlers besser als seine Bilder selbst – der Mythos vom heldenhaft ringenden, verkannten Genie, dem modernen Typus des Künstlers schlechthin, der zu Lebzeiten nichts verkaufte und doch seine ganze Lebensenergie so rückhaltlos in den Dienst der Kunst stellt, dass er daran – wenngleich in grandioser Weise – scheiterte. Dieser Mythos vom Künstler, den seine eigene Arbeitskraft letztendlich zerstörte, blockiert bis heute eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit der Kunst Van Goghs und nährt eine Reihe von Klischees, denen die Basler Ausstellung mit fundierten Tatsachen entgegenzusteuern sucht. Sie tut dies im Rahmen einer überaus ambitionierten Zielsetzung: Zum ersten Mal überhaupt wird die künstlerische Entwicklung Van Goghs von 1883 bis zum Todesjahr 1890 anhand seiner Landschaftsgemälde nachvollziehbar.

Dass die Ausstellung in Basel bezeichnenderweise nicht mit einem Landschaftsgemälde, sondern mit einem Selbstbildnis von Van Gogh aus der Sammlung des Basler Kunstmuseums beginnt (Selbstbildnis mit japanischem Holzschnitt, Dezember 1887), hat also einen anderen Grund als den üblichen Verweis auf die tragische Künstler-Vita: Das Einstiegs-Porträt zeigt in pointierter Weise die Vorgeschichte der Ausstellung auf. Im Basler Kunstmuseum befinden sich sechs Bilder von Van Gogh, wovon drei Dauerleihgaben der Sammlung Staechelin sind. Nach der Rückkehr der Sammlung aus den USA nach Basel im Jahre 2002 sah sich das Kunstmuseum in der Lage, mit diesem Grundstock und in Zusammenarbeit mit dem Van Gogh Museum in Amsterdam und dem Kröller-Müller Museum in Otterlo ein solch gigantisches Ausstellungsvorhaben zu schultern.

Die Ausstellung setzt, abgesehen von der Werkauswahl, auch sonst alles daran, überkommene Klischees zu entkräften und neue zu vermeiden. Sowohl in den Saaltexten als auch vor allem im Katalog werden zahlreiche irrige Vorstellungen ausgeräumt, so etwa, dass Van Gogh ein Vorläufer der Expressionisten gewesen sei, dass er zu Lebzeiten keines seiner Bilder verkauft habe, dass seine Gemälde ohne Rückbezug auf Vorbilder entstanden seien und er sie, gleichsam unkontrolliert, in einer Art schöpferischem Wahnzustand, während seiner immer wiederkehrenden psychischen Krisen, geschaffen habe.
Im Katalog beschreiben fünf Essays überaus fundiert gegen solche eingebrannten – und wohl auch schwer auszurottenden – Vorurteile an: Gottfried Boehm sucht zunächst den Standort des Malers nach dem Durchgang durch „die Klippe[n]“ (38) des Impressionismus und Post-Impressionismus zu definieren, um in der Folge zu bestimmen, was die ausgestellten Landschaftsbilder Van Goghs im Innersten zusammenhält: Boehm bietet als gemeinsamen Nenner die Formel einer „Regie der Kräfte“ (34) an.
Der Provenienzen-Forscher Walter Feilchenfeldt rückt den Status von Vincents Landschaftsbildern in ein neues Licht (woraus sich übrigens schlaglichtartig die Bedeutung dieses Forschungszweiges zeigt, der gerade bei Van Gogh von eminenter Wichtigkeit ist, wie die jüngst wieder laut gewordenen Fälschungsvorwürfe gegen ausgestellte Bilder beweisen). So weist der Autor nach, dass der Maler mit seinem Bruder Theo eine Abmachung geschlossen hatte, wonach alle von Vincent gefertigten Landschaftsgemälde an seinen Bruder, den Kunsthändler, zurückgingen. Frei verfügen durfte Van Gogh nur über seine Porträtdarstellungen: „Die Portraits waren die ‚Kür’. Sie durften an die Modelle oder an Bewunderer und Freunde verschenkt werden. Die Landschaften waren ‚Pflicht’ und gingen an den Bruder Theo, der [dafür] regelmäßig das nötige Geld schickte“ (53).
Zwei Texte widmen sich den Beziehungen Van Goghs zur klassischen holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts und zur zeitgenössischen französischen Malerei in Paris. Im ersten Beitrag, leider dem einzigen, der nicht zu überzeugen vermag, verheddert sich der Autor, Carel Blotkamp, in der gefährlichen Frage, ob Van Gogh ein „germanischer oder romanischer Geist“ (61) gewesen sei, um zum Schluss zu kommen, dass den Künstler immer die Rückkehr in den Norden interessiert habe. Van Goghs Entschluss, im Mai 1890 von Saint-Rémy nach Auvers zu gehen, deutet er als „fast eine symbolische Heimkehr“ (77).
Der nachfolgende Essay von Laura Coyle hebelt ohne Rückgriff auf dergestalt behaftete Begriffe den vorangegangenen spielend aus: Die Autorin schildert fundiert die Situation, die Van Gogh im Februar 1886 antraf, als er sich für zwei Jahre in Paris aufhielt, analysiert welche Ausstellungen er gesehen haben könnte und wie er die künstlerischen Vorgaben vor Ort in aller Eindringlichkeit aufsog, um dadurch etwa ab Sommer 1887 zu seinem ganz eigenen, unverkennbaren Stil zu finden: dem Einsatz von „ganz unterschiedlichen Pinselstricharten“ (90), die es ihm erlaubten, ein Gemälde völlig einheitlich aus Strichlagen aufzubauen, die nun immer – und das war (seit Tizian) neuartig – das augenblickliche Temperament, die Energie, die Emotionen des Malers selbst mitzeigen. Überspitzt formuliert ist ab jetzt Van Gogh in den dynamischen Farbstrichen in jedem seiner Bilder immer gegenwärtig. Oder um es mit Gottfried Boehm zu sagen: „Er verwandelt den impressionistischen Moment in ein affektives Momentum“ (43).

Die Basler Ausstellung erlaubt es – mit ihren 70 Bildern und einer Begleitausstellung mit rund 40 Gemälden aus eigenen Beständen zu den Zeitgenossen von Van Gogh –, sehr schön, die Entwicklung von Van Goghs Malerei nachzuverfolgen. Wie der Titel treffend suggeriert, erlebt der Besucher zuerst eine tonige, schwere, erdnahe Malweise, die sich auch in ihren Themen zumeist der schweren körperlichen Arbeit zuwendet. Beispielhaft dafür – und auch nebeneinander zu sehen – sind die beiden Bilder Torfboot mit zwei Figuren (Oktober 1883) und Paar bei der Feldarbeit (April 1885); beim späteren Bild, einer Auseinandersetzung mit Millet, zwingt der Maler das gesichtslose Paar unter die Horizontlinie und biegt die Menschen so symbolhaft zur Erde zurück.
In Paris hellt sich Van Goghs Palette langsam auf, in 'Der 14. Juli in Paris' (Sommer 1886) erlaubt er sich, wie als aufblinkende Vorwegnahme, geradezu eine Farbexplosion, indem er, wenngleich noch ungelenk, die Buntfarbigkeit an die französischen Nationalfarben der Tricolore bindet. Immer noch beobachtet der Künstler in der klassischen holländischen Manier des 17. Jahrhunderts Paris aus großer Distanz, erprobt Pointillismus (Blick auf Paris aus Vincents Zimmer in der Rue Lepic, Frühling 1887) und Impressionismus (Eingang zum Park Voyer d’Argenson in Asnières, Frühling 1887), ohne sie sich jedoch innerlich anzueignen. Hier kann die Ausstellung erstmals die nachweislich als Triptychon komponierte dreiteilige Serie 'Seineufer in Clichy' nebeneinander präsentieren – andere solche Dreierkompositionen leider nur in Einzelstücken. Dieses Grundmotiv in Van Goghs Schaffen behandelt die Kuratorin der Ausstellung, Nina Zimmer, im fünften Aufsatz des Katalogs in ausführlicher Weise. Sie zeigt zugleich jedoch auch deutlich die Grenzen des Triptychon-Begriffs bei Van Gogh auf: Die Zusammenstellung zu Bild-Serien war meist nur äußerer Natur, da die Gemälde vom Künstler oft erst im Nachhinein für Ausstellungszwecke und mit recht losen formalen Verbindungen untereinander vom Maler zu „Triptychen“ arrangiert wurden.
Erst im „Atelier des Südens“ (Van Gogh), in Arles, erhebt sich dann Van Goghs Palette zum (im Titel genannten) „Himmel“. Es entstehen, weit ab von der Großstadt und in rascher Folge, die traumhaften Frühlingsbilder von 1888 (besonders Blühender Obstgarten, von Zypressen umgeben, April 1888), die aus den Komplementärkontrasten aufgebauten Stadtansichten (etwa Blick auf Arles mit Iris im Vordergrund, Mai 1888) und Ansichten von Weizenfeldern, die in Ikonen der Landschaftsmalerei wie Sommerabend (Juni 1888) und Der Sämann (Oktober 1888) münden. Dazwischen zeigen Bilder wie 'Fischerboote bei Saintes-Maries-de-la-Mer' (Mai/Juni 1888) oder 'Drei weiße Hütten' in Saintes-Maries (Jun 1888) die weiterhin ungebrochene Auseinandersetzung von Van Gogh mit den Stilen von Malerkollegen, sei es Courbet oder Gauguin – letzterer war ihm ja als einziger (mit verheerenden Folgen) in seine erträumte Künstlergemeinschaft nach Südfrankreich gefolgt.
Noch gesteigert wird diese bis jetzt schon atemraubend hochkarätige Bilderserie mit den Bildern aus Van Goghs Zeit in der Nervenheilanstalt von Saint-Rémy. 'Der Schnitter' (September 1889) bildet den Auftakt – und das Gegenbild zum 'Sämann' –, gefolgt von den beiden absoluten Höhepunkten der Ausstellung: der dionysischen Natur-Ekstase in Olivenbäume mit Les Alpilles im Hintergrund und den entflammten Zypressen (beide vom Juni 1889 und beide aus dem Museum of Modern Art in New York) – eine Natur in den Wehen, die sich völlig entfesselt vom Grashalm über die sich in der Erde festkrallenden Wurzeln der Bäume bis zum Wirbel der Wolkengebilde wild auftürmt. Danach wirken die letzten, in Auvers entstandenen Bilder wie ein verglimmendes Licht: alle Energie scheint ihnen abhanden gekommen, Van Gogh versucht – ohne Erfolg – die Malerei gleichsam neu zu erlernen.

Der Ausstellungs-Rundgang ist fulminant aufgebaut, das Crescendo der Bilderabfolgen unvergleichlich. Das wird auch durch die feinen Abstimmungen und Veränderungen der Wandfarben von Raum zu Raum, wenngleich nicht immer hundertprozentig geglückt, unterstrichen. Der Katalog bietet neben den erwähnten Essays eine Einführung, eine ausführliche Biographie und zu jedem der fünf künstlerischen Stationen Van Goghs – Nuenen, Paris, Arles, Saint-Rémy, Auvers – erschöpfende Informationen. Erst beide zusammen – Ausstellungs-Betrachtung und Katalog-Lektüre – erlauben es, die sowohl den Lebensweg Van Goghs kennzeichnende als auch in seinen Bildern – durch die Farbkontraste – angestrebte Steigerung der Intensität als das eigentliche Gesamtthema der Ausstellung auf einzigartige Weise zu erleben.

31.7.2009

Die Ausstellung ist bis 27. September 2009 im Kunstmuseum Basel zu sehen.




Thierry Greub
Vincent van Gogh. Zwischen Erde und Himmel. Die Landschaften. Text v. Blotkamp, Carel u.v.a. Hrsg. v. Kunstmuseum Basel. 2009. 304 S., 220 fb. Abb. 30 x 24 cm. Gb EUR 39,80
ISBN 978-3-7757-2302-2
 
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