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Visionen der Endzeit

„Die Apokalypse hat immer noch eine magische Wirkung“, heißt es bei D.H. Lawrence. Das ist, wie uns die Film- und Thrillerindustrie lehrt, auch noch heute so. Keineswegs verkehrt also, die Visionen des Bibeltextes, wie sie in illuminierten Handschriften des Mittelalters überliefert sind, erneut einem breiten Publikum vorzustellen.
Nun ließen sich aus der durchaus wahnsinnig wirkenden Bibelvorlage einerseits und aus den keineswegs weniger verrückten Bildfindungen andererseits einige Funken schlagen. Sprachlich packend, visuell markant, voll reicher Bezüge in die Entstehungszeit der Manuskripte, die Selbstauffassung der Menschen im Zeichen des unausweichlichen Unterganges, deren bildliche Szenarien zwar nur wenigen – Mönchen und Fürsten, für die die vorgestellten Bücher produziert wurden – direkt vor Augen gestanden haben mochten, die jedoch in ihrer Eindringlichkeit noch heute ahnen lassen, was den Laien in den entsprechenden Predigten einer allesdominierenden Kirche verabreicht wurde. Das alles bietet das vorliegende Buch allenfalls in rudimentären Ansätzen, die ein Lektorat mit viel Zeit und Mühe herausgekitzelt hätte (merkwürdige Satzkonstruktionen, kuriose Floskeln und Anglizismen legen nahe: es gab keins).
Schon die Gesamtaufteilung des Bandes ist denkbar langweilig. Einer Einleitung folgt 21 Mal die Vorstellung einer Handschrift, chronologisch geordnet von der Trierer Apokalypse aus dem frühen 9. Jahrhundert, bis zu Albrecht Dürers „heimlich offenbarung iohannis“, die, so lassen uns die Autoren wissen, „nur ein Jahr nach der Gründung“ von Dürers eigener Werkstatt entstand – wobei sie verschweigen, wann das gewesen sein mag. Dieser faux pas im ersten Satz des vorliegenden Bandes (!) ist durchaus symptomatisch. Hier schreiben Experten für ein breites Publikum, ohne zu wissen, wer ihre Zielgruppe ist: Was kann man voraussetzen, was besser weglassen, wofür interessieren sich die Leute, für Detailfragen, für das große Ganze, für Typisches, Außergewöhnliches, sind es eher Studenten, eher ältere Semester, Künstler oder Freaks, die angesprochen werden sollen? Während sie Dürer attestieren, er hätte sein Publikum dort abgeholt, wo es stand (übrigens eine dümmlich-anbiedernde Floskel von windigen Dienstleistern) müsste man als Publikum des vorliegenden Bandes den Autoren eher zurufen: Ja, wo laufen Sie denn?
Statt zu begeistern, einfühlsam zu beschreiben, was auf den Abbildungen zu sehen und wie es warum, von wem und für wen gemacht wurde, statt es mit Verve einzuordnen, dabei manchen Forschungsdisput spannend widerklingen zu lassen, statt Einzelbeispiele auch mit anderen vorgestellten Büchern zu vergleichen (man hätte auch über eine ganz andere Aufteilung des Stoffes nachdenken können), werden im Duktus vollkommener Teilnahmslosigkeit (nicht Buchkunst: Buchhaltung) Fakten aufgezählt, die jedem Hobbyapokalyptiker vollkommen schnurz sein dürften: „Durch reich geschmückte Rahmen aus koloriertem Flechtwerk sind die ersten beiden Bilder vom Rest des Zyklus abgehoben.“ Ist ja irre. Und weiter? Nix weiter: Der nächste Satz geht dann über irgendwas anderes, man bleibt mit der Frage zurück: Wozu sollte ich das wissen? Mit rhetorischen Abturnern dieser Machart wird noch die tollste Neuigkeit zur öden Begleiterscheinung nach Sendeschluß.
Aber es sind ja nicht nur die Autoren (übrigens beide High-End-Akademiker). Zu einem Buch gehören ja noch mehr. Daher ein Wort zu den Abbildungen, die auf dem grellweißen, leseunfreundlichen Papier (ein Horrorlayout!) ganz gut und farblich differenziert kommen. Warum hätte man nicht eine gewisse Maßstäblichkeit einhalten können, um die visuelle Erlebbarkeit dieser Bilderbücher zu steigern? Unmotiviert sind mal Bilder aus dem gleichen Buch groß oder klein, mal sieht man eine Einzel-, mal eine Doppelseite. Hätte man hier nicht stärker mit dem Text gehen können? Furchtbar.

22.11.2016
Christian Welzbacher
Visionen der Endzeit. Die Apokalypse in der mittelalterlichen Buchkunst. Ganz, David; Ganz, Ulrike. 160 S. 204 fb. Abb. 29 x 22 cm. mit Schutzumschlag. Philipp von Zabern Verlag in Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2016. EUR 49,95.
ISBN 978-3-8053-4995-6
 
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