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Die Kunst des Biedermeier |
Das Wochenmagazin Fliegende Blätter machte in der fiktionalen Figur des Weiland Gottlieb Biedermaier einen Dichter in einem schwäbischen Dorf zur internationalen Figur. Sie steht im Kontrast zu dessen ereignislosen Alltagsleben und treuherzigen Gedichte, die zur Erheiterung des Publikums präsentiert wurden. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der Name des Dichters dazu verwendet die Kunst und Epoche von 1815 bis 1835 bzw. 1848 zu beschreiben. Mit der Figur war ein Set von Assoziationen geschaffen, die dem Biedermeier, nun mit einem "e" geschrieben, anhafteten. Biedermaier so wie das Biedermeier galt als Inbegriff des Spießbürgerlichen, als kleines Glück im Winkel. Der Dichter Jean Paul nannte es im Quintus Fixlein, "sich so einheimisch in eine Furche einzunisten". So heimelig aber war diese Zeit kei-neswegs, ist sie doch begleitet von ersten Vorboten des Vordringens moderner Wirtschaftsweise in eine noch weitgehend vorindustrielle Welt. Erste liberale Ideen und Zirkel entstehen, auch wenn mit dem Wiener Kongreß zunächst die alten traditionellen Hegemonien wieder hergestellt wurden. Die Bilder "von stiller Ruhe und sanftem ungestörten Glück", von denen Salomon Geßner (1730-1788) noch sprechen konnte, Jean Paul hat sie verabschiedet, die Nist in der Furche wird durch parodistische und satirische Elemente auch kritisiert. Einen Versuch der Neubestimmung wagte jetzt eine Ausstellung, die als Koproduktion entstanden, an vier Orten, dem Milwaukee Art Museum in Milwaukee (16.9.2006-1.1.2007), der Albertina in Wien (2.2.-13.5.2007) dem Deutschen Historischen Museum in Berlin (8.6.-2.9.2007) und dem Musée du Louvre in Paris (15.10.2007-15.1.2008) gezeigt wird. Sie nimmt für sich eine "Wiederentdeckung des Biedermeier" zwar in Anspruch, zumindest in Deutschland und Österreich, zwei Kernländern dieses Stils, war die Kunst des Biedermeier immer präsent. Die letzte größere Ausstellung dazu liegt zwar schon fast 20 Jahre zurück, die Werke der Maler, erinnert sei nur an Christen Købke, Wilhelm von Schadow, Wilhelm von Kobell, Karl Begas oder Carl Gustav Carus oder Eduard Gaertner erfreuen sich aber ungebrochener Beliebtheit und nicht genannt im Literaturverzeichnis die große Arbeit von Georg Himmelheber, ebenfalls eine Überblicksdarstellung. Erfreulich, sie bekommt jetzt Gesellschaft von einem schönen Prachtband. Er präsentiert Werke aus allen Kunstgattungen der tonangebenden und stilprägenden Metropolen der Kernländer Österreich, Deutschland, Böhmen und Dänemark.
Konzeptionelle Entscheidungen werden im Eingangstext von Laurie Winters genannt. Die bisherige Zuordnung, Biedermeierobjekte "billig und schnell für das Bürgertum" herzustellen, soll neu justiert werden. Tatsächlich, so die Autorin, die "besten und schlichtesten Möbel" seien "Auftragsarbeiten für Hof und Adel" gewesen. Das Biedermeier erscheint denn auch nicht als Produkt bürgerlichen Geschmacks, sondern sei als "hochkultivierte Kunstrichtung, die von der anspruchsvollen Suche nach schlichten und klaren Formen geprägt" sei und vom Hof gefördert worden sei. Ob man bei der Neueinordnung des Biedermeier, das in allen künstlerischen Bereichen präsent war, es wird als unspezifischer Epochenbegriff und Kunstbegriff verwendet, mit der Zuordnung des gebildeten und besitzenden Bürgertums als im weitesten Sinn zum Hof gehörend, wirklich weiter kommt, bleibt fraglich. Man kann natürlich, will man die Förderung des Stils durch den Hof plausibel machen, dieses Bürgertum als zu ihm gehörend, ausweiten, das verschiebt allerdings die kultursoziologische Frage nur. Interessanter ist die konzeptionelle Entscheidung, sich im wesentlichen auf die Grundform des Stils der Sachlichkeit, zeitlich auf 1820er Jahre zu beschränken, um diese klar herauszuarbeiten. Das erläutert der zweite Beitrag von Hans Ottomeyer ganz vorzüglich. Abstraktion der Formen, des Ornaments und der Farbe, die in diesen Aspekten als Vorläufer der Neue Sachlichkeit der Moderne gelten, ohne dies in extenso auszubreiten. Auch der nächste Beitrag, Christian Witt-Döring verfaßte ihn, ist von einer verständlichen und dabei klaren Sprache geprägt und veranschaulicht die Ästhetik des Stils, dessen "Verbindung des Nützlichen mit dem Schönen", trotz dessen Hang zur Empfindsamkeit, er herausstellt. Nach zwei weiteren Essays, geht es in Wolfgang Häuslers Beitrag um eine ideengeschichtliche Einordnung der Vorstellungen von Einfachheit und soziokulturelle Positionierung. Richtig ist es auf den Unterschied hinzuweisen, steht einfaches Leben unter den Bedingungen begrenzter ökonomischer Ressourcen, das Lebensform kleiner Leute, oder wird Einfachheit als Lebensform frei gewählt und in den Künsten kultiviert.
Alle Essays können für sich in Anspruch nehmen, einen guten Zugang zu einer schwer faßbaren Epoche und Stil zu geben. Illustriert werden sie im zweiten Teil des vorzüglichen Katalogs, dem Tafelteil, der nacheinander Möbel, Tischlerzeichnungen, Zimmerbilder, Farbenlehre und wissenschaftliche Instrumente, Tapeten, Porzellan, Glas, Silberwaren, Metallarbeiten (Stühle, Büsten, Schmuck, Geschirr) Mode, Malerei und Zeichnungen in Dänemark, Deutschland und Österreich zeigt. Ein umfängliches Verzeichnis der Werke rundet den Band ab.
Tatsächlich, die Epoche des Biedermeier ist fast von gegenläufigen Tendenzen bestimmt, man kann von einer konfliktreichen Dichotomie sprechen, hier Restauration, dort das Entstehen von Gegenbewegungen wie der Literatur des Vormärz, der die naive Unterhaltungsliteratur gegenübersteht. Diese unterschiedlichen Tendenzen wurden zwar nicht alle im Katalog ausführlich behandelt, aber es entsteht ein anschauliches Bild der Epoche und der Kunst. Ganz ohne Biedersinn es gelungen die Schönheit einfacher Formen zu zeigen. Zum Glück haben die Kuratoren sich nicht in der Furche bereits bekannter Interpretationen eingenistet, sondern und aus vielen Zettelkästen und Depots eine Ausstellung und einen Katalog der Sonderklasse gezogen, der zu Entdeckungen und Debatten anregt.
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Sigrid Gaisreiter |
Biedermeier. Die Erfindung der Einfachheit. Text v. Ottomeyer, Hans. Hrsg.: Milwaukee Art Museum, Albertina, Wien, Deutsches Historisches Museum, Berlin. 336 S., 365 fb. Abb. 32 x 25 cm. Ln, Hatje Cantz, Ostfildern 2006. EUR 49,80 |
ISBN 3-7757-1795-1
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