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Kulturmacht ohne Kompass – Deutsche auswärtige Kulturbeziehungen im 20. Jahrhundert |
Von Zeit zu Zeit muss es Autoren geben, die wagen, die vorliegende Forschung zu einem bestimmten Thema zu revidieren und zum großen Ganzen zu bündeln. Nichts anderes hat der in Amerika lebende Germanist Frank Trommler mit der deutschen Kulturpolitik seit 1871 getan: Ein Mammutunternehmen. Was im Untertitel „Deutsche auswärtige Kulturbeziehungen im 20. Jahrhundert“ heißt ist in Wahrheit ein materialreicher Überblick nahezu sämtlicher kulturpolitischer Facetten, die Deutsche im In- und Ausland seit der Nationenbildung im späten 19. Jahrhundert prägte. Es ist die Geschichte der Rivalität zwischen Kultur als etwas „von unten“ Entstehendem und etwas „von oben“, d.h. in gesamt- oder teilstaatlich Gelenktem. Diese Rivalität ist Trommlers Leitmotiv. Den Verschiebungen im Rahmen dieser Rivalität geht er nach. Daraus entwickeln sich Fragen, wie sich die vom Reich durch geographische Bedingungen ausgeschlossenen Deutschen gegenüber der neuen Nation positionieren sollten (und dies nach den Zäsuren 1919, 1933, 1945 immer wieder neu zu tun hatten) – und wie umgekehrt die Kulturbehörden des Reiches das „Deutschtum im Ausland“ beeinflussten. Daraus entwickelt sich aber auch die immer wieder zentrale Frage, wie der Staat mit dem eminent zentralen jüdischen Beitrag zur Kultur umgegangen ist.
Kulturpolitik ist, wie jede Politik, Ein- und Ausgrenzung von Menschen durch Macht. Und diese Macht wirkt sich gerade bei so etwas fragilem wie Kultur besonders prägend aus. Jede Form der Einflussnahme hat enorme Konsequenzen. Jeder Eingriff kann zur Instrumentalisierung geraten. Trommlers Buch erzählt daher auch die Geschichte eines (immer wieder absichtsvoll erneuerten) Missverständnisses: Dass Kultur dort wirken könne – außenpolitisch, diplomatisch – wo andere Kanäle verstopft sind. Allerdings wird dem Leser schnell klar: Wo Kultur als Versuchsballon für handfeste wirtschaftliche oder machtstrategische Interessen missbraucht wird, ist sie schon verloren (wie vor allem die großen Kapitel über den I. Weltkrieg und das III. Reich zeigen.)
So könnte die Quintessenz des Bandes beinahe als Warnung für heutige Experimente dienen (die dann übrigens – wie etwa der Bundesbeauftragte für Kultur und Medien – nicht mehr Gegenstand des Buches sind): Staatliche Kulturpolitik führt nahezu zwangsläufig zur Verkleinerung kultureller Vielfalt, zur Kanalisation des momentan opportunen, des Mainstream, zur Beschneidung jener Widersprüche, die Kultur in ihrem Wesen gerade ausmacht. Insofern ist es umgekehrt ein großes Verdienst dieses Buches, über eine Strecke von 150 Jahren immer wieder die Vielfältigkeit der deutschen Kulturen, auf die der Staat seine Kulturpolitiker losließ, lebendig zu machen.
Dies gelingt dem Autor, indem er seinem Text nacherzählte Situationen, Ideen, Begebenheit einflicht, vor allem aber mit Hilfe von präzise ausgewählten und erschöpfend kommentierten Zitaten sein Material klug gewichtet ausbreitet. Anders als die Kulturpolitik im Buchtitel hatte Trommler bei der Abfassung seines Werks einen klaren Kompass. Das führt auch dazu, dass er zahlreiche Sachverhalte kompakt zusammenfassen kann – für das riesige, hier beackerte Feld sind 700 Buchseiten geradezu lächerlich wenig! Das an sich ist eine stramme Leistung. Keine Frage daher: Das vorliegende Werk ist ein großer Wurf. Es bringt, abschittweise geradezu handbuchartig verdichtet, die Forschung weiter, weil es die vielen Einzelleistungen zum Ganzen zusammenschmiedet und dadurch erst begreifbar macht. Und es ist gut lesbar als Einführung. Kurzum: ein Standardwerk. Und genau deshalb hätte man sich nicht nur ein beflisseneres Korrektorat, sondern auch eine edlere Ausstattung und ein schöneres Layout gewünscht. Das wäre nicht nur Thema, sondern auch dem Autor angemessen gewesen: Bücher von solchem Gewicht trugen früher Goldschnitt.
23.01.2014 |
Christian Welzbacher |
Kulturmacht ohne Kompass. Deutsche auswärtige Kulturbeziehungen im 20. Jahrhundert. Trommler, Frank. 732 S. 32 Abb. 23 x 16 cm. Gb. Böhlau Verlag, Köln 2013. EUR 49,90. CHF 66,90 |
ISBN 978-3-412-21119-6
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