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Künstler – Leib – Eigensinn. |
"In einer Welt voller Informationen bedeutet die Fülle zugleich einen Mangel an etwas anderem: eine Knappheit von dem, was Informationen verbrauchen. Was das ist, liegt auf der Hand: Informationen verbrauchen die Aufmerksamkeit ihrer Empfänger." schreibt Herbert Simon 1971 in der damals Informationsgesellschaft genannten Wirklichkeit. 2005 notiert der Soziologe Dirk Baecker "Eine Information wird nicht daran gemessen, was man weiß, sobald eine Nachricht erhält, sondern daran, was man außerdem herausfindet, sobald man sie erhält." In welcher Form von Wissensgesellschaft leben wir heute, in der ja kürzlich der deutsche Bundeskanzler von einer Zeitenwende sprach? Wahrscheinlich erleben wir jetzt gerade eine Zeitepoche, in der wir den Übergang vom Informations- in die Fiktionsgesellschaft hautnah miterleben. In einer Zeit wie heute, in der alle dem jetzt Kostbarsten, Aufmerksamkeit, hinterherjagen, wächst das Bedürfnis nach Orientierung, dauerhafter Stabilität und gefühltem Wissen. Auch die Wissenschaften erleben einen Umbruch: der Wert des Objektiven verschiebt sich spürbar zu einer weicheren, subjektiveren Form der Wissens-Vermittlung. Scheinbar faktische kunsthistorische Informationen werden heute in Ausstellungen zeitlos erzählbare Rahmenhandlungen wie Farben, Affekte, Natur und ähnliche "Erzählungen" eingebettet. Mit anderen Worten: Informationen sind heute zu Fiktionen geworden, die je nach subjektivem Bedürfnis als politische Botschaft, als affektive Nähe, als Ausdruck von jugendlicher Coolness und Spaß an selbstgemachtem "Fun" gelesen und eben genauso lustvoll konsumiert werden. Auch kunsthistorische Texte beginnen diesen Wandel, wenn auch langsam zu reflektieren. Man muß die Geschichten, die man über sich selbst erzählt auch glauben können. schreibt gerade der Journalist Timo Frasch in der FAZ. Andreas Beyers Buch kann auch als Ausdruck dieser Suche nach der verloren gegangenen Leiblichkeit der Kunst gelesen werden – die jedoch schon seit der Jahrtausendwende häufig in der Geisteswissenschaft thematisiert wurde und weiter wird.
Beyer untersucht, wie Sinnlichkeit, Identität, Selbstbewusstsein und Selbstaufmerksamkeit in Malerei und Skulptur seit der Renaissance immer wieder neu ventiliert und eigensinnig ins Bild geraten. Beyers Untersuchung ist dabei geradezu ein Musterbeispiel einer verdienstvollen kunsthistorischen Gelehrsamkeit. Mit Hilfe seiner Gewährsleute wie Foucault, Barthes, Warburg und anderen möchte das Buch "diese „Existenzkünste" und Selbsttechniken im Hinblick auf die Kunst neu befragen." (S.10) Genau diese Erfüllung seines hohen Anspruchs hat aber der Autor, dessen enormes Fachwissen allein schon durch die ca. 500 (!) Anmerkungen belegt ist, beim Rezensenten leider nicht wirklich spüren können. Dieses Buch richtet sich vor allem an eine wohl eher kleinere Minderheit von KollegInnen, die an ähnlichen körper- und identitätsbezogenen Fragestellungen arbeiten. Die durchaus ja sehr spannende Frage beispielsweise, wie sich der menschliche Körper durch die Wirklichkeit des Selbstbezugs in eine Fiktion, in Traumgesichte verwandelt, wird nur in einem gleichnamigen Kapitel verhandelt. Überhaupt fragt sich der Leser, am Ende worin die weiterreichende Relevanz dieses Buches liegen könnte - vor allem dann, wenn aktuellere Bezüge zu anderen Disziplinen nur am Rande gestreift werden und im Kern die Kunstgeschichte als Leitgröße herangezogen wird. Man vermisst vor allem eine einfache, aber grundlegend neuartige, inspirierende Fragestellung und dieser Mangel wird eben nicht durch das fleißige Zitieren von endlos vorhandener kunsthistorischer Fachliteratur und den ansonsten wunderbaren Farbabbildungen ausgeglichen. Leider fehlt im Grunde ein – heute durchaus immer häufiger anzutreffendes – methodisches Kapitel zur Wissenschaftsgeschichte des aus der Kunstgeschichte ausgeschlossenen Körpers von KünstlerInnen und KunsthistorikerInnen. Gerade die heute im politischen Umfeld extrem häufige Thematisierung reflexiver Körpergefühle wie etwa Scham und Wut hätte in diesem Band zumindest einen Ausblick in die Gegenwart verdient. So bleibt es doch bei einem recht traditionellen, hochgelehrten Diskurs eines Kunsthistorikers, der sich an Diskurse anderer KunsthistorikerInnen richtet.
03.01.2023 |
Michael Kröger |
Künstler, Leib und Eigensinn. Die vergessene Signatur des Lebens in der Kunst. Beyer, Andreas. Deutsch. 2022. 320. S. 81 fb. Abb. 21,5 x 13,5 cm. Gb. Wagenbach Verlag, Berlin 2022. EUR 36,00. |
ISBN 978-3-8031-3719-7
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