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Oskar Schlemmer und der Tanz

Das Bauhaus hat die Kunst und die Möglichkeiten der Gestaltung verändert wie wohl keine andere Kunsthochschule im 20. Jahrhundert. Dies lag nicht zuletzt an der von Walter Gropius zusammengesetzten Schar kreative Köpfe, die von 1919 bis 1932 in Weimar und Dessau das Kollegium der Bauhaus-Meister bildete: Gropius war der große Organisator, Itten der Esoteriker und Pädagoge, der ungarische Konstruktivist László Moholy-Nagy und Josef Albers entwickelten die Bauhaus-Pädagogik zu einer Lehre moderner Gestaltideen weiter, die bis heute nachwirken. Die Bauhaus-Meister wurden so zu Transformatoren, die die Tradition der überkommenen Kunst- und Kunstgewerbeschulen in neue Bahnen lenkte. Zu den kreativsten Köpfen des Bauhaus-Lehrkörpers gehörte zweifellos Oskar Schlemmer, der von 1920 bis 1929 und somit während der entscheidenden Jahre der Avantgardehochschule am Bauhaus lehrte. Von Gropius war er zunächst als Leiter der Werkstatt für Wandmalerei und Formmeister der Bildhauerklasse berufen worden, doch seine eigenwilligsten Arbeiten erdachte er als spiritus rector und Promotor der legendären Bauhausbühne, die er zu einem Forschungslabor für die Synthese aus Bühnenkunst, Konstruktivismus, Bauhaus-Ideen und Ausdruckstanz machte.
Schlemmers wegweisender Pionierarbeit widmeten sich in der Vergangenheit bereits die Dissertation von Dirk Scheper („Oskar Schlemmer. Das Triadische Ballett und die Bauhausbühne“, 1988) und der 1995 erschienene Ausstellungskatalog „Oskar Schlemmer. Tanz, Theater, Bühne“. Diese Publikationen erschienen jedoch in einer Zeit, in der die Urheberrechte Schlemmers von dessen – untereinander zerstrittenen – Erben äußerst rigide gehandhabt wurden. Beide Vorgängerbände waren daher einengenden Restriktionen unterworfen, die Frank-Manuel Peter, der Leiter des Deutschen Tanzarchivs, in seiner jüngst vorgelegten Arbeit umfassend rapportiert.
Peter nähert sich seinem Gegenstand nun aus archivalischer Perspektive und hat dafür in jahrelanger, akribischer Detailarbeit zahllose bislang teilweise unbekannte Dokumente, Fotografien und Drucksachen zu Schlemmers Bühnenarbeit aus den Nachlässen von dessen Wegbegleitern, Mitarbeitern, Tänzern und Fotografen zusammengetragen. Entstanden ist daraus eine monumentale Monografie zum Bühnenschaffen, die – nach Ablauf des Urheberrechts Oskar Schlemmers – keinen Beschränkungen unterworfen und daher opulent illustriert ist.
Durch die Tatsache, dass sich das neue Werk nicht allein aus dem Nachlass und dem Bühnenarchiv Schlemmers speist, sondern aus einer Fülle von Archivalien anderer Provenienz, entpuppt sich das Bühnenwerk Schlemmers als Produkt eines produktiven und teilweise kollektiven künstlerischen Netzwerks: Briefe an Tänzerinnen und Tänzer dokumentieren die Genese der Bühnenwerke, eine reiche Auswahl an Fotografien und Fotomontagen führt die Wirkungsgeschichte der Tänze und Kostüme vor Augen, Plakate, das Konzept einer Ballett-Aktie für das „triadische ballett“ und die Korrespondenz Schlemmers im Zusammenhang mit den Tänzerkongressen 1927 und 1928 in Magdeburg und Essen zeigen Oskar Schlemmer als unermüdliches Marketing-Genie seiner Ideen. Kurzum: Nie wurde das Bühnenschaffen des Künstlers materialreicher dokumentiert! – Ein Register und der Wiederabdruck der bühnentheoretischen Schriften Schlemmers machen die Neuerscheinung zu einem künftig unverzichtbaren Handbuch zum Werk des Bauhaus-Meisters. Erschwert wird die Handhabung der Materialfülle lediglich durch die knappen Bildunterschriften der abgebildeten Archivalien, die das Auffinden der Originale unnötig verkompliziert.

02.10.2023
Rainer Stamm
Oskar Schlemmer und der Tanz. Peter, Frank-Manuel. Hrsg.: Deutsches Tanzarchiv Köln. 2023. 640 S. s/w Abb., 301 fb. Abb. 28 x 22 cm. Wienand Verlag, Köln 2023. EUR 58,00. CHF 70,80
ISBN 978-3-86832-628-4
 
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