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Kunsthistorikerinnen im 20. Jahrhundert: |
Kunsthistorikerinnen im 20. Jahrhundert â ein notwendiger zweiter Band
Als Antwort und ErgĂ€nzung des 1990 erschienenen Klassikers ĂŒber die â vermeintlich durchweg mĂ€nnlichen â âAltmeister der Kunstgeschichteâ erschien 2021 der Band âKunsthistorikerinnen 1910-1980â, der 23 PortrĂ€ts wegweisender Fachvertreterinnen versammelte. Die Spanne der jeweils mit einer kurzen Biographie und der Wiedergabe einer ihrer Texte vorgestellten Kunsthistorikerinnen reichte vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zu den Protagonistinnen der 68er-Bewegung.
Doch wĂ€hrend dieser notwendige und wichtige Band, insbesondere in Hinblick auf die ausgewĂ€hlten Texte der Pionierinnen ihres Fachs, bisweilen etwas willkĂŒrlich wirkte, geht der nun erschienene Folgeband das jahrzehntelange Forschungsdefizit grundlegend und struktureller an.
Zwar werden erneut exemplarische LebenslĂ€ufe vorgestellt, aber das Augenmerk liegt nun auf der Ursachenforschung. Dabei geht es nicht mehr nur um die âHemmungen und Hindernisseâ, denen Frauen in der AusĂŒbung ihres Berufs ausgesetzt waren, sondern auch um die Nischen und Strukturen, die ihnen â allen WiderstĂ€nden zum Trotz â die Ăffnung und VerĂ€nderung des Berufsstandes ermöglichten: von der relativen Offenheit der sogenannten Wiener Schule, vor allem unter Josef Strzygowski, bis hin zum 1968 als Opposition zu den verkrusteten Strukturen der klassischen Kunstgeschichte gegrĂŒndeten Ulmer Verein fĂŒr Kunstgeschichte.
Mehr noch als der vorangegangene Band stellt der zweite Band notwendige Fragen, sowohl nach den GrĂŒnden der Hemmungen und Hindernissen wie auch nach den Auswirkungen der Erfolge und âStrategien zu deren kreativer Ăberwindung und Umgehungâ. Immer wieder versuchen der Band und seine Autorinnen und Autoren dabei, sich von der mĂ€nnlich codierten, heroischen Altmeister-Kunstgeschichtsschreibung zu befreien und die VerĂ€nderungen der Disziplin durch die strukturellen Sonderrollen und Arbeitsbedingungen wegweisender Fachvertreterinnen zu beschreiben. Zu entdecken sind frĂŒhe Galeristinnen und KunsthĂ€ndlerinnen, die die relative Offenheit des Kunstmarktes fĂŒr avantgardistische Positionierungen nutzten, die Tragik einer Lilli Fischel, die trotz aller fachlicher Kompetenzen als Nicht-Museumsdirektorin Geschichte schrieb oder das fluide Berufsfeld der Kunstschriftstellerinnen und -kritikerinnen.
Wie weit die Folgen der fachwissenschaftlichen Emanzipation bis in die jĂŒngste Zeitgeschichte reichen, zeigt nicht zuletzt das Beispiel Ingrid Schulzes, die ihr Amt als Professorin fĂŒr Kunstgeschichte an der Martin-Luther-UniversitĂ€t Halle-Wittenberg nicht zuletzt ihrer fleiĂigen TĂ€tigkeit fĂŒr die Stasi verdankte und nicht davor zurĂŒckschreckte, gegen Fachkollegen zu intrigieren, die sie â wie im Falle Kurt Alands â erfolgreich von ihrem Lehrstuhl verdrĂ€ngte. An solchen Beispielen wird deutlich, dass die dringend gebotene Wiederentdeckung der Pionierinnen der Kunstgeschichte auch vor unerfreulichen Wahrheiten nicht Halt macht. An Beispielen wie Lilli Fischel, die von den Nazis aus ihrem Amt als Kustodin an der Kunsthalle Karlsruhe vertrieben wurde, aber wĂ€hrend des âDritten Reichsâ ihr Auskommen als KunsthĂ€ndlerin fand, Bettina Feistel-Rohmeder, die als âvölkischeâ Kunsthistorikerin propagandistische Publikationen verfasste oder Ingrid Schulze wird sichtbar, dass die Geschichte der Kunsthistorikerinnen nicht lĂ€nger als mitleidige Geschichte von Exotinnen, sondern als integraler und wichtiger Teil der Geschichte des Faches erzĂ€hlt werden muss.
03.09.2025 |
Rainer Stamm |
Kunsthistorikerinnen im 20. Jahrhundert: Institutionen, Strukturen, HandlungsrÀume. Kunsthistorikerinnen im 20. Jahrhundert, Bd. 2. Chichester, K. Lee / Dorgerloh, Annette / Sölch, Brigitte. Deutsch. 352 S. m. 45 fb. u. 16 s/w-Abb., 14,5 x 20,5 cm, Br., Dietrich Reimer Verlag, Berlin 2025, 35,00 EUR |
ISBN 978-3-496-01693-9
[Dietrich Reimer Verlag]
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