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Carlfriedrich Claus

Bild und Wort sind in Kunst und Literatur vielfach verschwistert und wie Geschwister es gelegentlich tun, kämpfen sie auch manchmal um die Rangfolge. Auch in Kunst, Literatur und Philosophie wird über das Verhältnis von Text und Bild philosophiert, bisweilen auch polemisiert. Der Paläontologe André Leroi-Gourhan geht so weit, dass "bildende Kunst in ihrem Ursprung unmittelbar mit Sprache verbunden ist und der Schrift im weitesten Sinne sehr viel näher steht als dem Kunstwerk." Kein Wunder also, eine Menge von Variationsmöglichkeiten ergeben sich zwischen Buchstabe, Silbe, Wort, Satz und Bild. Kommt dann noch das gesprochene Wort als weitere Möglichkeit hinzu, so in der Lautpoesie, dem Spiel mit den phonetischen Möglichkeiten, so ergeben sich eine Vielzahl von Kombinationen. Diese wiederum werden, wie beim Action-Painting und dem Informel nochmals durch Rekurs auf die Mal- und Schreibgeste erweitert. In dieses Feld plazierten die Ausstellungsmacherinnen Ingrid Mössinger und Brigitta Milde das Werk des nahezu unbekannten Künstlers Carlfriedrich Claus (1930-1998). Kein guter Zustand sagte sich das Autorinnenduo und machten gleich eine voluminöse Publikation zur von ihnen ausgerichteten Ausstellung in den Kunstsammlungen Chemnitz, die vom 24.7.-9.10. 2005 zu sehen war.
Claus setzte sich vielfältig mit den Möglichkeiten von Text-Bild-Verbindungen auseinander, auf einen Stil läßt er sich nicht festlegen. Er arbeitete im Bereich Visueller Poesie, der Text als graphische Figur steht im Vordergrund, er stand dem 'Informell' nahe, einer gestischen Malerei, experimentierte mit Lautgedichten, setzte Philosophie in malerische Zeichen um, philosophierte über die Möglichkeiten von Sprache, ein Multitalent so multivariant wie die Möglichkeiten. Claus saß in der DDR, die sich offiziell dem Sozialistischen Realismus verpflichtete, auf einsamem Posten auf dem Annaberg, dann in Chemnitz. Er schuf in aller Stille und Abgeschiedenheit ein großes Werk. Der Eiserne Vorhang zeigte sich rostig, denn Claus schaute hindurch zu Kollegen in Ost und West. Fremd im eigenen Land, partout nicht ausreisewillig, bewegte sich Claus im Kreis um die Schriftsteller Gerhard und Christa Wolf, Bernd Jentzsch und Erich Arendt. Er hatte Kontakt zu Künstlern und Intellektuellen in Ost und West wie dem Dadaisten Raoul Hausmann, zu Literaten wie Friederike Mayröcker und Franz Mon, zum unlängst verstorbenen Maler Bernd Schultze oder dem Philosophen Ernst Bloch.
Die Ausstellung und der sie begleitende Katalog zeigt das Werk von Claus im Kontext internationaler Kollegen und Stile. Zunächst wird im ersten Teil der Publikation das Werk von Claus, insgesamt 125 Exponate, vorgestellt. Seine Werke sind, wie die übrigen auch, hervorragend reproduziert, 12 kostbare Transparentbögen inklusive. Zum Bild tritt das Wort. Die Ausstellungsmacherinnen entschlossen sich, neben kunst- und literarhistorischer Begleitung durch Wissenschaftler, Freunde und Kollegen von Claus in persönlichen Erinnerungen, Notaten oder kurzen Anmerkungen, zu Wort kommen zu lassen. Sie erzählen von Begegnungen, Zeitumständen, künstlerischen Absichten von Claus oder blättern dessen Beziehungsnetze auf. Die wissenschaftlichen Texte sind durchweg informativ, einfühlsam und sehr sorgfältig geschrieben, insgesamt ein homogener Korpus.
Im zweiten Teil des Katalogs wird es international und plural. Es erscheinen Surrealismus, Dadaismus, Konstruktivismus, abstrakter Expressionismus, Action-Painting, Pop-Art, Informel, Fluxus, Concept-Kunst, Konkrete Malerei/Literatur, Visuelle Poesie und Graffiti. Sie alle experimentieren mit Text-Bild-Durchdringungen, ein weites Feld, Auswahl der Exponate sollen deshalb, bis auf drei Fälle, auch nicht kritisiert werden. So wurden im Bereich konstruktiver Kunst Exponate aufgenommen, die der Gebrauchsgraphik, Illustrationen zu Buchumschlägen, entstammen und bei der, im Unterschied zu den übrigen Exponaten, die Informationsfunktion des Worts im Vordergrund steht. Punkt zwei: Konkrete Poesie/Kunst ist ein Grenzfall. Nur in dieser Stilrichtung fallen Kunst und Literatur in eins. Dementsprechend werden deren Vertreter wie Franz Mon oder Eugen Gomringer, je nach Profession, als bildende Künstler oder Literaten betrachtet. Abschließend: die Ausstellung stellt Claus zeitlich in den Kontext der Kunst von Paul Klee bis Jackson Pollock. Tatsächlich aber ist das letzte Kapitel der Graffiti-Kunst vorbehalten, geht also über den zeitlichen Rahmen hinaus. In diesem Fall ist auch der Bezug zu Claus nicht mehr zu ziehen. Er endet tatsächlich mit den noch kaum als skriptural erkennbaren Zeichen von Pollock.
Zu guter Letzt kreuzen sich Text und Bild in der Beschreibungskunst. So werden gezeigt, Texte, die Claus zu den Malern Paul Klee, Fritz Winter und Rudolf Weber verfaßte. Umgekehrt, es schreiben Eugen Gomringer und die Schriftsteller Michael Lentz, Gerhard Wolf, Valeri Scherstjanoi über Mon und Claus. Ein Buch also, in der nicht nur die Kunstwissenschaft das Wort führt, sondern Künstler selbst.
Bild und Text konkurrieren in der Kunst- und Literaturgeschichte immer, die Grenzen sind einerseits gezogen, andererseits stehen sie keinesfalls fest. Die Konzeption der Ausstellung nahm sich vor, Text, Bild und Ton im Kunstwerk selbst als lebendiges Geflecht zu präsentieren, offen für neue Spielarten. Sie zeigt viel Unbekanntes und mindestens einen Unbekannten: Rudolf Weber, dem Claus nahestand. Webers "Stunden-Werk" wirkt wie ein Vorgriff auf Arbeiten von Hanne Darboven. Eine großartige tour d'horizon mit weitem Blickwinkel, mit schönen Arbeiten, vor allem aber eine große Schau der Werke von Carlfriedrich Claus. Er ist nun kein Unbekannter mehr und das freut sehr.
6. 2.2006
Sigrid Gaisreiter
Carlfriedrich Claus. Schrift, Zeichen, Geste. Carlfriedrich Claus im Kontext von Klee bis Pollock. Hrsg.: Mössinger, Ingrid, Milde, Brigitta. 432 S., 300 meist fb. Abb. 31 x 24 cm. Gb. Wienand Köln 2005. EUR 48;-
ISBN 3-87909-867-0
 
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