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„... beide liebten wir Blau, Marc - Pferde, ich Reiter.

Bereits runde fünfzig wird die Reihe der rororo-Monographien, zu der man bekanntlich greift, wenn man sich umfassend über eine Person der Kulturgeschichte informieren will. Seit neun Jahren schon schwelgen die Künstler-Monographien der Reihe in Farben - darunter z.B. Paula Modersohn-Becker von Ch. Ueckert -, was insbesondere bei den Bändchen über „Die Brücke“ (2007) und den „Blauen Reiter“ (2008) mit ihren stark farbigen Bildern ein wahres Geschenk ist. Die Geschichte der „Brücke“ schrieb der Kunsthistoriker und Theologe Gerd Presler, die des „Blauen Reiters“ der freie Publizist und Fernsehregisseur Norbert Göttler.

Wenn auch das Zentrum der Brücke in Dresden lag und das des Blauen Reiters in München, wenn auch die Brücke-Maler sich als Gruppe verstanden und die Maler des Blauen Reiters sich mehr durch die Idee verbunden fühlten, gehören sie als avantgardistische Kunstrichtungen doch eng zusammen. Was für die naturliebenden Brücke-Maler Dangast an der Nordsee war, war für die Münchener Künstler Murnau - als Ort der Inspiration und Treffpunkt. Beide Gruppierungen litten unter Rangstreitigkeiten: Kirchner hätte sich gerne als Kopf der Brücke verstanden, Kandinsky hatte ähnliche Ambitionen in München. Während die Brücke mit ihren Jahresmappen und der Verbindlichkeit der aktiven und passiven Mitgliedschaft einen weitaus längeren, wenn auch nicht konfliktfreien Bestand hatte, nämlich von 1905 bis 1913, bestand der Blaue Reiter im Grunde nur zwei Jahre (1911/1912). Währenddessen entstand als hochkonzentrierter Höhepunkt der Blaue-Reiter-Almanach sowie zwei Ausstellungen in Münchener Galerien. Trotz unterschiedlicher künstlerischer Sprache pflegte man untereinander Kontakte: In den Münchener Ausstellungen hingen nämlich auch Brücke-Bilder.

Presler erzählt die Brücke-Geschichte entlang der jeweiligen Künstler-Viten - Kirchner, Mueller, Pechstein etc. - und vergisst dabei nicht, deren lebensnotwendiges Umfeld zu beleuchten: Käufer, Lebensgefährtinnen, Modelle und Förderer, darunter die jüdische Kunsthistorikerin Rosa Schapire, die zeit ihres Lebens Karl Schmidt-Rottluff förderte. Als sie 1939 nach London emigrierte, nahm sie seine Bilder mit: Heute hängen sie in der Londoner Tate-Gallery. Auch die zwölfjährige Fränzi, deren Bild den Einband ziert, hat ihren Platz in der Brücke-Geschichte bekommen, das jüngste Brücke-Modell, das die Malerkollegen häufig malten und in Holz schnitten, am liebsten splitternackt oder Beine baumelnd auf einer Hängematte - wie 1909 von Heckel und Kirchner in einer gemeinsamen Sitzung rasch in Aquarellfarben hin skizziert.

Göttler entwickelt den Weg zum Blauen Reiter anhand der beiden Künstlerpaare Kandinsky/Münter und Jawlensky/Werefkin. Die vier Künstlerpersönlichkeiten und mit ihnen näher- und ferner stehende Kollegen wie Macke, Marc, Klee, Kubin, Delaunay etc. setzten sich damit auseinander, auf das getreue Abbilden zu verzichten und sich der Abstraktion zu nähern. Nur wenige Kritiker konnten verstehen und akzeptieren, worauf es dem Blauen Reiter ankam: „Mit einer Eindringlichkeit sondersgleichen wird uns hier in Erinnerung gerufen, dass die Nachahmung der Natur, das Abbilden der Wirklichkeit nicht die Aufgaben der Kunst sind“, so der Kunsthistoriker Hans Tietze. Der lose Zusammenschluss eigenwilliger Künstler bleibt in Bewegung, sie kommen und gehen, ziehen sich an und stoßen sich ab, und jeder setzt die Idee des Blauen Reiters auf seine Weise um. Kandinsky und Marc waren es, die beim Kaffeetrinken auf den Namen kamen: „... beide liebten wir Blau, Marc - Pferde, ich Reiter. So kam der Name von selbst“, erinnert sich Kandinsky 1930.

Die erste vernichtende Zäsur bildete der erste Weltkrieg, in dem Marc und Macke ihr Leben ließen, eine zweite die Ausstellung über sogenannte „Entartete Kunst“ sowie der zweite Weltkrieg, als Tausende Werke beider Richtungen zuerst diffamiert und endlich zerstört wurden. Dennoch ist das Erbe der Avantgardisten, heute unbestrittene Klassiker, von solch immenser Fülle, dass Künstler und Kunstliebende nach wie vor daraus schöpfen. Diese Tatsache machen beide Autoren deutlich.

Wenn Göttler auch Sonia Delaunay nur als Ehefrau, nicht als Malerin nennt und Presler häufig einen hohen Ton anschlägt, sind die beiden Bändchen bestens gelungen: Sie bilden nicht nur einen Einstieg zum Verständnis der Dresdener und Münchener Künstleravantgarde des beginnenden 20. Jahrhunderts, sondern sind eigenständige Bearbeitungen der beiden einflussreichsten Kunstrichtungen Deutschlands.
1.5.2008

Gerd Presler, Die Brücke. Originalausgabe. 160 S. mit zahlreichen farbigen Abbildungen. Rowohlt-Monograhie Nr. 50642. Reinbek 2007. EUR 8,95 ISBN 978-3-499-50642-0


Daniela Maria Ziegler
Norbert Göttler, Der Blaue Reiter. Originalausgabe. 160 S. zahlr. fb. Abb. Rowohlt-Monographie Nr. 50607. Reinbek 2008. EUR 8,50
ISBN 978-3-499-50607-9
 
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