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Perspektive als symbolische Form

Hans Belting stellt sein neues Buch unter den von Erwin Panofsky gewĂ€hlten Begriff der „Perspektive als symbolische Form“. Anders als Panofsky geht er aber nicht von der sich verĂ€ndernden Auffassung des RĂ€umlichen in Bild und Architektur aus. Es geht ihm vorrangig um die VerĂ€nderungen des Blicks, und es geht ihm, wie in vielen seiner BĂŒcher, um Leitmotivisches einer bestimmten Bildkultur. Folgerichtig ist es, anders als bei Panofsky, nicht die Perspektive in der europĂ€ischen Kunst und Geistesgeschichte, die ihn beschĂ€ftigt, sondern der kulturelle Vergleich des westlichen und des östlichen Blicks. Man mag darin eine Korrektur von Panofskys Eurozentrismus sehen. Aber es handelt sich eher noch um eine ErgĂ€nzung, die der europĂ€ischen Bildtheorie die arabische Sehtheorie an die Seite stellt. Dabei sind Florenz und Bagdad nur zwei Orte dieser insgesamt breiter gefĂ€cherten Geschichte des Sehens. Der Name Florenz steht fĂŒr die Herausarbeitung hin zur Zentralperspektive mit eindeutigem Augen- und zentralem Fluchtpunkt, der Name Bagdad steht fĂŒr die arabische Wissenschaft, zumal die Optik, die in der westlichen Renaissance tiefe Spuren hinterlassen hat. Erst sehr spĂ€t hat die islamische Welt europĂ€isches Sehen, noch spĂ€ter europĂ€isches KunstverstĂ€ndnis zur Kenntnis genommen. Erst 1882 wurde die Kunstakademie in Istanbul begrĂŒndet, jene in Kairo gar erst 1908. ZunĂ€chst streift der Autor auch die chinesische Kunst und ihr so frĂŒhes perspektivisches Interesse, skizziert den Japonismus als Ausdruck west-östlichen Austauschs. Zentrales Thema aber ist die europĂ€isch-islamische Differenz. Dabei entwickelt Belting eine Sehtheorie der Araber, die im Kapitel mit dem Titel „Der gezĂ€hmte Blick“ dargelegt wird. Der islamische Widerstand gegen die Perspektive wurde im Orient aber auch Gegenstand von Bild-SehnsĂŒchten. Dass es einmal ansatzweise auch das Gegenteil gab, fĂŒr einen historischen Augenblick die Möglichkeit des Westens, sein BildverstĂ€ndnis in die islamische Kultur zu importieren, deutet Belting kurz an: Sultan Mehmet II., der Eroberer von Constantinopel 1453, trĂ€umte wĂ€hrend dreier kurzer Jahre von 1479 bis 81 davon, seinen Hof fĂŒr die westliche Kunst zu öffnen und ließ sich von Gentile Bellini portrĂ€tieren. Ein Intermezzo nur, auch in Beltings Buch, das hier nicht weiter verfolgt werden kann, ĂŒber das wir aber an anderer Stelle gern mehr wĂŒssten.

Im Mittelpunkt dieses westöstlichen Kulturvergleichs, der gleichwohl als kultureller Austausch verstanden wird, steht der arabische Gelehrte Alhazen, der die Sehlinie entdeckte, und es stehen dort seine europĂ€ischen Antagonisten Pelacani, Brunelleschi und Alberti, die diesen Sehlinien die deutlich umrissene rĂ€umliche Perspektive gewissermaßen wissenschaftlich kongenial addierend an die Seite stellten. Alhazens Camera obscura wurde durch Keplers spĂ€tere Nach-Erfindung europĂ€isches Bildungsgut, die europĂ€ische Zentralperspektive Massaccios und Albertis konnte den umgekehrten Weg nicht einschlagen, weil ein hierarchisch vorgeschriebener, aber zugleich auch souverĂ€ner Blickpunkt dies nicht zuließ: „WĂ€hrend die islamische Malerei die Welt von oben sieht, wagen es die Neuerer, die Welt perspektivisch aus dem Blickwinkel eines dreckigen Straßenköters zu betrachten“, schreibt der islamische Romancier Orhan Pamuk selbstanalytisch.
Belting kontrastiert hier zwei Weltsichten gegeneinander, die eigentlich Weltanschauungen sind. Trotz des deutlich benannten Gegensatzes versteht er beide Weltsichten als heute mit einander im Dialog befindlich. Dies unterstreicht er durch einen „Blickwechsel“, den es am Ende jedes Kapitels gibt. Das Thema, heiße es nun Perspektive, Blick, LichtfĂŒhrung, Sehtheorie, wird aus der Sicht des jeweils anderen Kulturkreises beleuchtet, bzw. es wird die Gegenposition fixiert. Als Voraussetzung und Resultat zugleich konstatiert Belting: Eine anthropozentrische Welt setzt einen festen Betrachterstandpunkt voraus. Dabei wandelt sich das „in-der-Welt-sein“ in ein „auf-die-Welt-blicken“. (S. 179) FĂŒr Belting ist die Perspektive ein GefĂ€ĂŸ, das mehr von der Weltanschauung des Betrachtenden preisgibt, als von der Welt.
27.5.2008
Jörg Deuter
Belting, Hans: Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks. C. H. Beck, MĂŒnchen 2008. Gb EUR 29,90
ISBN 978-3-406-57092-6   [C. H. Beck]
 
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