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Kunstgeschichte nach 1945. KontinuitÀt und Neubeginn in Deutschland |
Eine erfreuliche Entwicklung ist festzustellen: Niemand mehr hat die Absicht, den genaueren Blick auf die VĂ€ter und GroĂvĂ€ter, MĂŒtter und GroĂmĂŒtter als âNestbeschmutzungâ zu diffamieren. Bis dahin war es ein langer Weg.
Anlass unserer Feststellung ist ein Tagungsband mit den TextbeitrĂ€gen einer Tagung vom Oktober 2004 am Kunsthistorisches Institut der UniversitĂ€t Bonn, welche die Fritz-Thyssen-Stiftung fĂŒr Wissenschaftsförderung unterstĂŒtzt hat.
Erinnern will ich aber zunĂ€chst an die 5-bĂ€ndige Dokumentation von Joseph Wulf (*1912- +1974): âKultur im Dritten Reich. Eine Dokumentationâ, GĂŒtersloh 1963-1964 bzw. Frankfurt a.M. 1989: Denn lange wurde dieses Werk von den herrschenden Kreisen geradezu totgeschwiegen â kein Wunder, kam doch auch der erste Auschwitz-Prozess 1963 nur gegen enorme WiderstĂ€nde zustande. Erst durch die 1968er-Bewegung wurden ganze BerufsstĂ€nde wie Juristen, Mediziner usw. in den Fokus genommen, und die GrĂŒndung des âUlmer Vereinsâ auf dem Kunsthistorikertag in Ulm 1968 war ein Meilenstein des Bewusstseinswandels, auch wenn der Hass auf die VĂ€tergeneration mitunter noch pubertĂ€re ZĂŒge trug. Erst 1984 machte Konstantin Wecker die Frage populĂ€r âHĂ€tt' ich zu meines Vaters Zeit dasselbe Lied geschrieben? Manchmal beschleicht mich das GefĂŒhl, ich wĂ€r sehr stumm gebliebenâ. Aber selbst als Werner Durth 1986 sein Buch âDeutsche Architekten: biographische Verflechtungen 1900 â 1970â vorlegte, waren noch zahlreiche Anfeindungen zu registrieren. Ăhnlich erging es sogar noch 1994 Stefan Muthesiusâ mit dem Buch âKunst in Polen â Polnische Kunst 966 - 1990. Eine EinfĂŒhrungâ, das er mit einem brisanten wissenschaftsgeschichtlichen Kapitel einleitete, welches unter anderem die Beziehungen deutscher Kunsthistoriker zu Polen beleuchtet. :
Wie zĂ€h sich der âNestbeschmutzerâ-Vorwurf â ausgesprochen oder nicht â halten konnte, zeigt eine kurze Liste einschlĂ€giger Publikationen. Dem Thema der Bonner Tagung von 2004: âKontinuitĂ€t und Neubeginn. Kunstgeschichte im westlichen Nachkriegsdeutschlandâ gingen Diskussionen auf dem Hamburger Kunsthistorikertag 2001 voraus, und biographische sowie institutionengeschichtliche Untersuchungen gab es schon lĂ€nger, z. B. H. Dilly: âKunstgeschichte als Institution ... Geschichte einer Disziplinâ (Frankfurt 1979), oder ders.: âDeutsche Kunsthistoriker 1933-1945â (MĂŒnchen 1988), M. Halbertsma: âPinder u. d. dt. Kunstgesch.â (Worms 1992), âKunst u. Politik. Jahrb. d. Guernica-Ges.â, Bd. 5, 2003, J. Held u. M. Papenbrock (Hrsg.): âKunstgeschichte an den UniversitĂ€ten im Nationalsozialismusâ (Göttingen 2003). Der Bonner Tagung folgte der Begleitband zur Wanderausstellung 2005/06 Bonn, MĂŒnchen, TĂŒbingen, Marburg, Karlsruhe, Kiel, Berlin, hrsg. v. Nikola Doll, Christian Fuhrmeister, Michael H. Sprenger: âKunstgeschichte im Nationalsozialismus, BeitrĂ€ge z. Gesch. einer Wissenschaft zw. 1930 u. 1950â (Weimar 2005).
Diese Bonner Tagung von 2004 nun widmete sich, mehrfach ĂŒber die bisherigen Fragestellungen hinausgehend, in zwölf BeitrĂ€gen den fachspezifischen und methodischen Grundlagen der westdeutschen Kunstgeschichte nach 1945. Dieser Tagungsband konnte zusĂ€tzlich zu den TagungsbeitrĂ€gen drei weitere aufnehmen, darunter einen Exkurs zur Situation in der Sowjetischen Besatzungszone 1947. Mehrfach dehnte man die Betrachtung auf die ganze erste HĂ€lfte des 20. Jahrhunderts aus. Der Band gliedert die Materie in vier Sektionen: âKultur- und Wissenschaftspolitikâ, âKunsthistorische Methoden und Denkmodelleâ, âKulturpessimistische Deutungen der Moderneâ und âDie Rolle der Abstraktionâ.
Der erfreulich weitgespannte Horizont dieses Bandes, die SouverĂ€nitĂ€t des Zugriffs der Autoren auf ihr Thema, ihre sachliche NĂŒchternheit, die sehr verbesserte Quellenlage infolge neuerdings zugĂ€nglicher Archive â und manches mehr in diesem Band â sollte Ansporn fĂŒr weitere Untersuchungen und auch deren Vernetzung sein.
1.8.2008
Siehe auch die Rezension von Sigrid Gaisreiter zum Titel: Kunstgeschichte im âDritten Reichâ
ISBN 978-3-05-004448-4 Akademie Verlag Berlin
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Hans-Curt Köster |
Kunstgeschichte nach 1945. KontinuitÀt und Neubeginn in Deutschland. Hrsg. Doll, Nikola. 240 S., 40 Abb. 24 x 17 cm. Gb Böhlau, Köln 2006. EUR 29,90 |
ISBN 3-412-00406-5
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