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Hundert Jahre „Brücke“

Die Fakten sind bekannt. Das Terrain wurde durch die Forschungen Gerhard Wieteks längst sondiert: 1907 kamen die „Brücke“-Maler Heckel und Schmidt-Rottluff nach Dangast, 1908 stellten sie im Gebäude des Oldenburger Kunstvereins, dem Augusteum, auf eigene Initiative, aber nur mit Duldung des Vereins, nicht als dessen Gäste, aus. 1910 stieß Pechstein zu ihnen.

Das Landesmuseum Oldenburg hat dieses Jubiläum zum Anlass genommen, den (Brücke-) Expressionismus als „Auftakt zur Moderne in der Natur“ durch eine Ausstellung zu würdigen. Der zugehörige Aufsatzband skizziert die Situation des Aufbruchs in Dresden 1905 (Bernd Küster), gibt eine kulturgeschichtliche Stippvisite Dangasts und erinnert in anekdotischer Weise an das Dangast des Jahres 1907 (Gerd Presler), wobei die befragten Zeitzeugen vom Fischer bis zur Postbotin eher ihren eigenen Horizont reflektieren, als dass sie Neues zur „Brücke“ beitragen könnten. Sodann versucht Ulrike Brandt, die künstlerische Entwicklung Heckels und Schmidt-Rottluffs sowie der Oldenburger Malerin Emma Ritter zu beschreiben. Das jeweilige Resultat der Jahre 1907 bis 1912 (nicht 1911, wie es im ministeriellen Vorwort heißt) wird leider dabei nicht mit der für den Leser wünschenswert klaren Struktur greifbar. Auch mangelt es zuweilen an sprachlicher Eindeutigkeit. („Werke wie `Dangaster Strand´ (1907) und auch `Rote Dächer´ (1909) zeigen eine Ahnung dessen, was den Künstler inspirierte.“) Die künstlerische Entwicklung Schmidt-Rottluffs wird in einem stärker strukturierten Extra-Kapitel abgehandelt (Brigitte Ahrens). Die Eigenart und Einmaligkeit des Ereignisses Dangast wäre aber wohl noch klarer zu charakterisieren gewesen: Das Dangaster Schaffen Schmidt-Rottluffs ist nach Umfang und Qualität der gewichtigste Ertrag seines Werkes in jenen Jahren. Dieser wurde nicht in Dresden oder Berlin, auch nicht in dem ihm aufgeschlossenen Hamburg erbracht, sondern in dem Fischerdorf und Badeort an der oldenburgischen Nordseeküste. Dass Datierungen späterer Schmidt-Rottluff-Bilder, so „Am Haff“ („um 1920“, S. 134, das Bild entstand gegen Mitte der 30er Jahre), nicht zutreffen, sei am Rande erwähnt.

Von den Brücke-Förderern kommt Rosa Schapire breiterer Raum zu, der wichtige Wilhelm Niemeyer spielt in Verbindung mit der Gruppe kaum eine Rolle. Frühe Sammler und Museumsleute, aber auch Publizisten werden erwähnt. Dabei hätte gerade hier noch Neuland betreten werden können. Warum wurde die Augusteums-Ausstellung von 1908 nicht monographisch behandelt, und wie sah die publizistische Rezeption der „Brücke“ in jener Zeit aus? Stattdessen stellt der Band eine Reihe von Fragen, die letztlich unbeantwortet bleiben müssen, so etwa: Warum wurde die Oldenburger Malerin Emma Ritter nicht Mitglied der Künstlergruppe? (S. 65) Oder: Warum fand sich Ernst Ludwig Kirchner nie in Dangast ein? (S. 154) Die erste Frage kann man wohl damit beantworten, dass Ritters Bindung sich in der künstlerischen und menschlichen Nähe zu Schmidt-Rottluff erschöpfte und dass sie aber zu den übrigen Malern der Gruppe in keinem Arbeitszusammenhang stand. Und: Kirchners charakterliche Eigenheiten und sein erklärter Führungsanspruch lassen es unwahrscheinlich erscheinen, dass er den einmal von anderen eingeschlagenen Spuren nachgefolgt wäre, wenn er diese nicht selbst zumindest mit eröffnet hatte.

Ein informativer Beitrag über Kirchners Malaufenthalte auf dem Land, auf Fehmarn zumal, und seine Fresken im Sanatorium Kohnstamm im Taunus (Brigitte Schad) und eine Tour d´horizon der Maler Emil Nolde und Otto Müller (Christiane Ladleif) runden das Bild ab, haben aber mit der „Brücke“ im Nordwesten keine inhaltlichen Berührungspunkte. Interessant, wenn auch randständig, sind die Ausführungen über das späte und nur kurzfristige Brücke-Mitglied Franz Nölken durch Bernd Küster.

Bereits 1957 hat Gerhard Wietek in Oldenburg die epochale Ausstellung „Dangast und die Maler der „Brücke“ realisiert, 1994 folgte sein Buch „Schmidt-Rottluff. Oldenburger Jahre“, die bisher wichtigste Untersuchung zum Frühwerk des Künstlers. Mit Arbeiten über Emma Ritter (1957) und Rosa Schapire (1964) entdeckte er diese für die Kunstgeschichte. Weder im Geleitwort noch in der Einführung wird auf diese Pioniertaten hingewiesen, obwohl die Darstellung und die Ausstellung ohne sie undenkbar wären. Auch Wieteks Werk über Schmidt-Rottluffs Kunsthandwerk scheint nicht konsultiert worden zu sein. Sonst hätte ein afrikanisierender Holzlöffel als abgeschriebenes Werk Schmidt-Rottluffs nicht den Weg in die Ausstellung gefunden.

Wäre damit der Kreis der „Brücke“ abgeschritten, so gibt es auch Expressionistisches der zweiten Generation zu berichten. In dessen Mittelpunkt steht der frühe Franz Radziwill.
Gerd Presler konstatiert, „dass im Kreis der Hamburger Brücke-Sammler um 1920 darüber nachgedacht wird, die Dangaster Brücke-Tradition der Jahre 1907-1912 fortzuführen.“ (S. 144) Diese Setzung ist schwer nachvollziehbar. Sicher sah der Hamburger Kunsthistoriker und Sammler Wilhelm Niemeyer in Franz Radziwill die Begabung der Stunde, ja einer ganzen Generation und ersetzte zeitweise seine häusliche Schmidt-Rottluff-Hängung durch Bilder Radziwills: Dies bedeutete aber gerade eine Abkehr von Schmidt-Rottluff und Hinwendung zu Radziwill, keine Anknüpfung. Brücke-Tradition müsste schon mehr sein, als der wohlmeinende Hinweis Schmidt-Rottluffs auf den entlegenen Küstenort Dangast, den er Radziwill gab. Hier setzt Legendenbildung ein, so wenn Radziwill zum Duzfreund des verschlossenen Schmidt-Rottluff avanciert. (Der Briefwechsel Radziwills mit Wilhelm Niemeyer, den ebenfalls Gerhard Wietek ediert hat, widerlegt dies eindeutig.) Das nun aufgefundene Gründungspapier einer nie verwirklichten Gruppe „Das Ufer“, das Radziwill 1920 mitverfasst zu haben scheint, bezieht sich zwar auf Schmidt-Rottluff als „Offenbarer“. Jedoch zeitigte diese Absichtserklärung keine Folgen. Generell vermag der Rezensent Preslers Meinung: „Was Franz Radziwill in den folgenden Jahren bis 1923 in Dangast schafft, atmet den Geist der Künstlergruppe Brücke“ nicht zu teilen. Radziwills Ausgangspunkte waren vielfältig, eine spezifische Nähe zum Brücke-Expressionismus lassen sie weniger erkennen. (Hierfür stehen Huth, Gramatté oder der Kirchner-Adept Scherer viel eher ein als er.)


Wenn man das Kalaidoskop, das diese Einzeldarstellungen bilden, durchgearbeitet hat, stellt sich die Frage ein, was die Künstlergemeinschaft durch die Landaufenthalte an thematischem und stilbildendem Potential gewann, die Frage nach einem gemeinsamen „Brücke“-Stil jener Jahre und vielleicht auch einem gemeinsamen Verständnis ihrer Kunst. Das Jahr 1908 war ein Wendejahr, die Wende wurde von den Malern selbst thematisiert: „Meine malerischen Anschauungen haben sich dieses Jahr in einer Weise geändert u. einen neuen Weg genommen, von dem ich selbst nicht weiß, wohin er eigentlich gehen soll,“ schreibt Schmidt-Rottluff. Von dieser Erkenntnis ausgehend, wäre es nicht sinnlos, einem kunsthistorischen Großereignis, wie es die „Brücke“ in Dangast darstellt, noch einmal und exklusiv eine eigene Ausstellung zu widmen.

30.12.2008
Jörg Deuter
Expressionismus - Auftakt zur Moderne in der Natur. 100 Jahre Brücke in Oldenburg.Hrsg. v. Landesmuseum Oldenburg. 2008. 240 S., zahlr. farb. Abb. 29 x 23 cm. Carl Schünemann Verlag, Bremen 2008. Gb EUR 24,90
ISBN 978-3-7961-1921-7
 
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