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Lines, Grids, Stains, Words |
Nicht nur entlang der Linie:
Doppelausstellung zur Minimal Art
Dort, wo das Allerwenigste als das Allermeiste gilt, beginnt die Zuständigkeit der Minimal Art. Deren formale Mittel, so auch der englische Titel „Lines, Grids, Stains, Words“ (Linien, Raster, Flecken, Wörter) rückt eine Ausstellung im Museum Wiesbaden (28.9.2008 – 18.1.2009) ins Zentrum. Einer der Protagonisten der Minimal Art, Brice Marden (*1938), wird zudem, als Jawlensky-Preisträger (2004) der Landeshauptstadt Wiesbaden, die Ehre einer Einzelausstellung zuteil. Da die Gemälde von Marden 2007 in einer Retrospektive in der Nationalgalerie in Berlin gezeigt wurden, beschränkten die Ausstellungsmacher sich in Wiesbaden auf eine Retrospektive von Zeichnungen und Druckgraphik. Dass dieser Zuschnitt gerade bei Marden sinnvoll ist, legt der Künstler selbst nahe. Von der Zeichnung spricht er als einem „intimem Medium“, dem er große Bedeutung beimisst. Also, großes Glück, dass die Gemälde-Retrospektive bereits nach Berlin vergeben war und somit die wichtige graphische Arbeit zu einer eigenen Retrospektive kam und damit der Bildverkehr von Graphik und Gemälde verfolgt werden kann.
Streuungs- und Konzentrationsgebiete der Minimal Art
Die Geschichte und Entwicklung der Minimal Art ist nicht Gegenstand der Ausstellung, sondern der Fokus liegt auf Arbeiten der Minimalisten auf Papier der Jahre 1949 bis 2003 und der diachronen Präsentation von deren formalen und konzeptuellen Instrumenten. Bekanntermaßen verstand sich die Minimal Art als Reaktion auf den Abstrakten Expressionismus und reduziert Formen und Farben auf größtmögliche Einfachheit, „primary structures“ (Grundstrukturen) und legt auf Kontextorientierung des Kunstwerks, als Funktion im Raum und Wirkung im Betrachter, großen Wert. In den einführenden Texten zum Katalogband stellen die Beiträger das Anliegen der Ausstellung vor und nehmen eine Periodisierung der Phasen der Entwicklung der Minimal Art vor. So beginnt der Rundgang mit einem Gemälde von Elsworth Kelly (*1923) von 1949. Anders als in den Raster-Arbeiten der 1960er Jahre von Agnes Martin (1912-2004), Sol LeWitt (1928-2007) oder Carl Andre (*1935) , geht Kelly noch von der Natur aus. Dieser erste Teil gilt der Hochzeit der Minimalisten. Mitte der 1970er setzt Blinky Palermo (1943-1977) neue Akzente, verwendet er die Farbe doch stärker expressiv. Gezeigt werden in dieser zweiten Sektion Arbeiten einer jüngerer Minimalisten-Generation, die mit den formalen Strukturen der ersten Generation experimentiert und weiter entwickelt. Dazu zählen Arbeiten von Polly Apfelbaum (*1955), Martin Creed (*1968), Elena del Rivero (*1952) oder von der inzwischen etwas bekannter gewordene Mona Hatoum (*1952), von der zwei Rasterbilder aus den Jahren 2001 und 2002 gezeigt werden. Den Katalog ziert ein Ausschnitt aus der Stairmaster Suite von Jonathan Horowitz (*1966), in der eine Vielzahl von Punkten in ein strenges Raster gepresst werden, während die Arbeit von Roni Horn (*1955), Unregelmäßigkeiten betont.
Die Spannweite minimalistischer Ausdrucksformen ist weit gesteckt. Neben monochromen Bildern, stehen fast monochrome Arbeiten etwa von Glenn Ligon (*1960) und Anne Truitt (*1921-2004), die, in der Tradition von Robert Ryman stehend, Grenzen der Sichtbarkeit thematisieren. In der Abteilung „Fleck“ werden elf der fünfundsiebzig Teile umfassenden Serie der stain prints von Edward Ruscha (*1937) präsentiert. Um das Arbeiten in Serien, Variationen zu verdeutlichen, ist der Katalog mit mehreren ausklappbaren Seiten ausgestattet, die das Moment der Reihung und der Rhythmisierung anschaulich, so etwa die Serie von Hanne Darbovens (*1941) „II-b“ (1970-1973, transportieren.
Immer weitergehen: Brice Marden
Mit Brice Marden würdigt das Museum Wiesbaden einen Künstler, der es als eine fantastische Sache ansieht, dass man Malerei als Idee nicht definieren kann und dass es einer ihrer schönen Seiten sei, dass „sie keine Antworten gibt.“ Immerhin, auf Natur und Kunst, denen Marden begegnete, antworten, neben seinen Gemälden, auch seine Zeichnungen und Druckgraphiken, die in dieser Fülle in Europa noch nicht zu sehen waren. Erfahrungen in der Begegnung mit Kunstwerken von Franz Kline, Willem de Kooning, Jackson Pollock, Jasper Johns, Henri Matisse, Paul Cézanne, Alberto Giacometti, Piet Mondrian oder alter Meister wie Johannes Vermeer oder Francisco de Zurbarán schlugen sich in seiner Kunst ebenso nieder wie die Begegnung mit asiatischer Kalligraphie. Subtil gehen die Autoren des Wiesbadener Katalogs diesen Bezügen im Werk des Künstlers nach, das signifikante Veränderungen kennt. So führt ein Aufenthalt in Griechenland seit den 1970er Jahren zur Aufhellung und Intensivierung der Farbpalette des Künstlers, der, inspiriert von Jasper Johns zunächst den Grautönen zugewandt war. Die späten 1970er Jahre bis ungefähr Mitte der 1980er Jahre werden als Zeit des Übergangs gedeutet, ehe Marden, durch den asiatischen Einfluss, in seine Farbfelder verschlungene Bänder einarbeitet, insgesamt die vormalige strenge Geometrisierung also verläßt und zu einer freieren Ausdrucksweise findet. Marden, das wird in den Textbeiträgen deutlich, ist ein Maler der Offenheit für Bewegung, dem nicht ein einzelnes Werk, sondern die Entwicklung einer Vision wichtig ist. Dies Verfolgen einer Vision, das sehen alle Beiträger ähnlich, bedeutet langsames und genaues, häufig überarbeitendes, Zeichnen und Malen, das vielschichtig das Wechselspiel von Fläche und Öffnung, Rahmen und Zentrum erkundet.
Mardens Kollegen aus seiner Ausbildungszeit, wie Chuck Close, Richard Serra oder Robert Mangold sind inzwischen in Europa auch einem größeren Publikaum bekannt, nicht jedoch er, obwohl es, so 1985, Gelegenheit gab, Mardens Kunst kennenzulernen, als er für die Zeitschrift Parkett ein Insert schuf, das auch im Katalog abgebildet ist. In diesem wird er als ein reflektierter Künstler vorgestellt, der wiederholt zu seiner Kunst Stellung bezog. Ihm ist wichtig, dass ein Bild als etwas gesehen wird, dass sowohl dessen Schöpfer als auch dessen Betrachter in optischer, kognitiver, emotionaler und spiritueller Hinsicht, eine reflektierte Erfahrung eröffnet. Das Licht nimmt bei Marden eine zentrale Rolle ein. Schon früh bewunderte er dessen Handhabung durch Johannes Vermeer etwa auf dessen Bild „Dienstmagd mit Milchkrug“. Licht, so Marden weiter, macht Sehen erst möglich und Farbe ist für ihn daher die Möglichkeit Licht zu zeigen. Das zeigt er auch im Schwarz, den mit Schraffuren versehenen „Five Threes“ von 1976-1977, einer Serie von fünf Aquatinta-Radierungen. Die Druckgraphik, darauf heben die Beiträge im Katalog ab, ging häufig dem Zeichnen und Malen voran. Zu sehen sind im Katalog hervorragend reproduzierte Zeichnungen in verschiedenen Stadien, Druckgraphik und einige Gemälde aus allen Schaffensperioden des Künstlers. Die durchweg klugen Textbeiträge stellen Themen, Motive und das Vokabular eines Künstlers verständlich geschrieben vor, der, das dürfte nach den beiden Ausstellungsübersichten klar sein, zu den ganz Großen der amerikanischen Nachkriegskunst auch in Europa zu zählen ist.
Maximal Minimal
Wenig spektakulär aufgemacht, bietet das Katalogdoppel eine konzise Übersicht über eines der spannendsten Kapitel der abstrakten Nachkriegskunst. Anders als in der lauten Blockbuster-Ausstellung in Berlin mit Exponaten des Museums of Modern Art, New York (MOMA) wurde in der Wiesbadener MOMA-Schau darauf gelegt, nicht nur schöne Bilder zu zeigen, sondern dem Geist dieser Bilder, einer gespannten Stille, zu entsprechen. Hier gilt, das Weniger wurde als viel Mehr präsentiert und in zwei elegante Kataloge gepackt.
Museum Wiesbaden (Hrsg.) (2008) Brice Marden. Retrospektive der Druckgraphik. Jawlensky-Preisträger. Text: deutsch-englisch. Übersetzungen: John Southard, Anja Welle. kart., 230 S., 150 farbige Abb., Wiesbaden. ISBN: 978-3-89258-080-5. € 15,00
14.5.2009 |
Sigrid Gaisreiter |
Lines, grids, stains, words. Zeichnungen der Minimal Art aus der Sammlung des Museum of Modern Art, New York. Beitr. v.Rattemeyer, Volker /Rattemeyer, Christian. Hrsg. v.Museum Wiesbaden /Fundacao de Serralves, Porto. Redakt.: Dannenberger,Hanne /Daur, Jörg /Merz, Miriam O /Ramos, Maria. Übers. v. Cascais-Parada, Rui /Margarido, Graca /Merzenich, Sabine /Ramos,Maria /Southard, John. 224 S., zahlr. meist fb. Abb. 29 x 24 cm. Museum Wiesbaden 8008. Pb EUR 15,00 |
ISBN 978-3-89258-079-9
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