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Städtebau in Berlin - Schreckbild und Vorbild für Europa

„Berlin ist viele Städte“, so charakterisierte bereits der Architekt Werner Düttmann, der in den 60er Jahren auch Senatsbaudirektor war, die Unterschiedlichkeit und Vielfalt der architektonischen Landschaft Berlins. Und so darf man auch auf die Frage, was im Bezug auf die Architekturentwicklungen der Stadt im 20. Jahrhundert Vorbilder und Schreckbilder seien, sehr unterschiedliche Antworten erwarten. Berlin hatte nicht nur ein großes architektonisches Spektrum aufzuweisen und gab wichtige Impulse in Bezug auf die Architektur- Städtebauentwicklung, wie etwa den Reformwohnungsbau und die beginnende Moderne, die sich dann während der Weimarer Republik endgültig entfalten sollte; sondern ist auch im Hinblick auf übersteigerte Planungen sowie auf Zerstörungen und Umgestaltungen bemerkenswert, denen die Stadt ausgesetzt war und ist. Dazu zählen die megalomanen Planungen des „Dritten Reiches“, die Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs und die daran sich anschließenden Wiederaufbauten und Stadtumbauten. Berlin wurde nach 1945 als geteilte Stadt ein Spiegel der politisch aufgeladenen Architekturdebatten und –konzepte. Wie in einem Brennglas focussierten sich in Berlin die unterschiedlichen Wiederaufbaukonzepte, die am deutlichsten wohl in der Stalinallee und im Hansaviertel zum Ausdruck kommen. Schließlich begann nach dem Fall der Mauer, genährt durch den verständlichen Wunsch, die Wunden der Teilung zu tilgen, eine Welle der „Stadtreparatur“. Das Leitbild der sogenannten „kritischen Rekonstruktion“ hatte jedoch erneute Abrisse und Zerstörungen zur Folge, die die architektonische Vielfalt deutlich nivellierten und besonders zu Lasten der Nachkriegsmoderne gingen.
Harald Bodenschatz, Professor für Architektursoziologie und Städtebau an der TU Berlin, nähert sich dem Themenfeld in der vorliegenden Publikation auf seine Weise. Das Buch „Städtebau in Berlin. Schreckbild und Vorbild für Europa“ erscheint als erster Band der Reihe „Grundlagen“ des Berliner Verlages DOM Publishers, die sich grundsätzlichen Fragen und aktuellen Problemen von Architektur und Städtebau widmet. In seinem Text skizziert Bodenschatz zunächst in groben Zügen die Stadtentwicklung der ehemaligen Doppelstadt Berlin und Cölln seit ihrer ersten urkundlichen Erwähnung 1237, leitet dann jedoch schnell über zum späten 19. Jahrhundert, das er als Ausgangspunkt für seine Betrachtungen wählt. Ein wiederkehrendes Leitmotiv ist ihm dabei das Schlagwort von Berlin als der „größten Mietskasernenstadt der Welt“. Grob an den großen historischen Zäsuren orientiert, wird in der Publikation den großen Projekten nachgegangen, für die Berlin „international am bekanntesten“, „berüchtigt“ oder „bedeutend“ ist.
Als Schreckbilder benennt Bodenschatz die „Mietskasernenstadt“, die Großsiedlungen der 1970er und 1980er Jahre in West- und Ostberlin, wie etwa das Märkische Viertel (ab 1963-1974 von Werner Düttmann, Georg Heinrichs und Hans Christian Müller geplant) oder die Plattenbausiedlung Berlin-Marzahn, dessen Zentrum von Heinz Graffunder zwischen 1981-1986 geplant wurde.
Als Vorbilder identifiziert der Autor die Villenviertel und Gartenstädte im „suburbanen Raum“, die vor 1914 entstanden sind, wie etwa die Gartenstadt Staaken, die nach einem Entwurf von Paul Schmitthenner 1914-1917 für die Angestellten einer staatlichen Munitionsfabrik entstand. Die modernen Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaues der Weimarer Republik, wie etwa die Hufeisensiedlung in Britz nach Plänen von Bruno Taut und Martin Wagner 1925-1930 entstanden; die Stadterneuerungen der 1970er Jahre, etwa die Erneuerung des Chamissoplatzes in Kreuzberg und die „kritische Rekonstruktion“ des Zentrums seit den 1980er Jahren. Hierbei gilt ihm die „Renaissance des Berliner Zentrums als herausragende Leistung zeitgenössischen europäischen Städtebaus.“ (S. 129) Dies betreffe besonders auch die „Rückgewinnung von verloren gegangenen Plätzen“ (S. 129) etwa des Pariser Platzes, des Hausvogteiplatzes und des Potsdamer Platzes.
In Anbetracht der Abbildungsfülle, bei der sich Pläne, Zeichnungen und Photographien auf teilweise bis zu acht Seiten aneinanderreihen, schrumpft der knappe Text zusätzlich und lässt keinen Raum, um sich kritischer mit den angesprochenen Schreckbildern und Vorbildern auseinanderzusetzen.
Die im Titel angedeutete These wird vom Autor am Ende des Essays nochmals zusammengefasst. Insgesamt richtet sich die Publikation an einen breiten Leserkreis, der sich grundlegende Informationen wünscht und in der komplexe Zusammenhänge zu Stadtentwicklung, Städtebau und Architektur auf ein lesbares Niveau gebracht sind.

13.07.2011
Elmar Kossel
Bodenschatz, Harald: Städtebau in Berlin. Schreckbild und Vorbild für Europa. 140 S., 100 Abb. 31 x 21 cm. Pb. DOM Pubishers, Berlin 2010. EUR 28,00
ISBN 978-3-86922-022-2
 
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