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Karl Friedrich Schinkel - Lebenswerk

Schon die siebzigjährige Entstehungsgeschichte dieses Bandes liest sich als ein Stück deutscher Kunstgeschichte. Von Carl von Lorck begonnen, von Margarete Kühn an Eva Börsch-Supan weitergegeben und von ihr unter Mitwirkung von Zofia Ostrowska-Keblowska vollendet, ist der Band "Die Provinzen Ost- und Westpreußen und das Großherzogtum Posen" des Schinkel-Werks sicherlich ein Spiegel preußisch-deutscher Geschichte, wie kein anderer der Reihe. Die Bauten, die Quellen und die Autoren haben drei Generationen deutsch-deutscher, deutsch-polnischer und deutsch-russischer Bezüge und Beziehungslosigkeiten durchstehen müssen, um nun, dank der akribischen Wissenschaftschaftlichkeit der Autorin, und ihrer sicherlich nicht geringeren Zähigkeit in solch monumentaler Form vorgestellt zu werden. (Allein dreimal wurden ihre Anträge auf Archivstudicn im Zentralarchiv der DDR in Merseburg abgelehnt.) Dabei ist der erste Eindruck: Ein freudiges Erstaunen darüber, wie viele Werke Schinkels überdauert haben. Darunter befinden sich ausgesprochene Hauptwerke, wie das Jagdschloß Antonin, imposante Frühwerke, wie das wenig bekannte Schloß Owinsk (von 1804-06!) beide bei Posen oder die Königliche Kapelle im dortigen Dom, an der Schinkel nur beratend beteiligt war. Immer ging der Königlich Preußische Oberbaudirektor mit großer Detailkenntnis zu Werke, verweilte in scheinbar entlegener Region und war gelegentlich sogar bereit, sich auf einen Streit einzulassen, wenn konventionelle Bauvorstellungen ihn behinderten oder alte Zöpfe mitgeschleppt werden mußten. Deutlich wird dies besonders an der Korrespondenz, die er mit dem an sich kulturpolitisch durchaus aufgeschlossenen Oberpräsidenten der Provinz Ostpreußen Theodor von Schön um den Neubau des Regierungspräsidiums in Gumbinnen führte. Schinkels Durchsetzungsfähigkeit gipfelte in dem Satz: "Man sollte glauben, die Regierung hätte sich glücklich schätzen müssen, in jener Provinz endlich ein Projekt ausführen zu können, in welchem artistische und wissenschaftliche Einsicht einen Fortschritt mit der Zeit fühlen läßt." Nun, diesen Fortschritt wußte Schinkel auch in diesem umstrittenen Bauprojekt zu erringen, denn das Regierungsgebäude ist der erste in Ziegelsichtmauerwerk errichtete Profanbau nach der epochemachenden Berliner Bauakademie!
Der quantitativ größte Anteil Schinkelscher Planungen aber liegt beim Kirchenbau. Für keine andere Provinz hat Schinkel so viele Kirchen planen, begutachten und betreuen müssen wie für die Provinz Ost- und Westpreußen. Es sind klassizistische Bauten darunter, zahlreiche Bauten im Rundhogenstil und oft basilikal geprägte Bauten der Spätzeit, aber auch imposante neogotische Lösungen, unter denen sich die leider vernichtete Altstädtische Kirche in Königsberg wie das späte Einlösen von Schinkels malerisch-romantisch vorgedachter Sakralbauvision ausnimmt. Die dichten Trichtergewölbe wiesen geradezu auf expressionistische Bauideen voraus.
Einen großen Komplex schinkelscher Bauaufsicht in den preußischen Provinzen nimmt die Denkmalpflege ein, in deren Zentrum das Ordensschloß Marienburg steht. Ihm allein widmet Eva Börsch-Supan achtzig Seiten.
Hier greift Kunstgeschichte in die nationale Geschichtserinrierung über, besonders was die monumentalen Glasfenster angeht: Der seit 1819 entstehende früheste Zyklus im Großen Remter stellt sich heute als erste Reihe figürlicher Glasfenster des 19. Jahrhunderts überhaupt heraus! Entsprechend kompliziert war das technische procedere, das die Autorin zum Anlaß nimmt, die Entstehung einer Tradition der Glasfenster-Fertigung in Preußen generell darzustellen. Für das nationale Geschichtsinteresse aussagekräftig wurde der Glasgemäldezyklus des Sommerremters. Hier prallten Schinkels objektiveres Geschichtsbild (der die anfängliche Verbindung des Ordens zu Polen einbezog) und das Darstellungsinteresse des Oberpräsidenten von Schön aufeinander. Die Ordensgeschichte sollte geschönt werden, z.B. sollte die Schlacht bei Tannenberg 1410 fortgelassen werden (,‚Diese Schlacht ist nicht Wert Gegenstand der Kunst zu sein. Sie vernichtete den Orden. .."). Schinkels veto hiergegen hat üherzeitliche Gültigkeit: "Wo historische Wahrheit und Konsequenz in einem Kunstwerke aufgegeben wird, wo man verstecken und bemänteln will, was seine Folgen vor aller WeIt Augen weit verbreitet hat, da kann man unmöglich noch auf unbefangene Teilnahme und allgemeines Interesse Rechnung machen." (S. 592)
Ost- und Westpreußen wurden Experimentierfelder schinkelscher lnnovation: In Insterburg hat er die erste strahlenförmig gebaute Strafanstalt in Deutschland (1834/35), vielleicht ausserhalb Englands überhaupt, errichtet, die Marienburg wurde Vorbild für seine späten Kaufhausentwürfe.
Bewunderung verdient es, wie Eva Börsch-Supan aus lauter Scherben ein Bild zusammenfügt, das, in geänderter politischer Weltlage, zukunftsgerichtet ist. Läßt das Vorliegen gesicherter Fakten über Schinkels Werke im heutigen Polen, Rußland und Litauen doch deren Sicherung, Erhaltung und Pflege erhoffen.
Jörg Deuter
Schinkel,Karl F: "Karl Friedrich Schinkel Lebenswerk" Bd. 18 Die Provinzen Ost- und Westpreußen und Großherzogtum Posen. Hrsg. v. Helmut Börsch-Supan, Gottfried Riemann. 960 S., 614 Abb., 28 cm, Ln, Deutscher Kunstverlag, München 2002. EUR 148,-
ISBN 3-422-06380-3
 
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