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Stadtidentität - Der richtige Weg zum Stadtmarketing

Ob das Produkt ein Ding ist oder ein komplexes Gefüge, ob Kaffeesahne oder die Wirtschaftskraft einer Kleinstadt, all dieses bedarf eines "Marketing", gelingt dies, strömen die Investoren herbei, um ihren Hunger nach Renditen zu stillen und in ihrem Gefolge die Kunden den ihrigen nach Konsum . Weil dies auch die stets klamm bei Kasse befindlichen Kommunen und ihre politischen Vertreter erkannt haben, gibt es nun aller Orten die Nachfrage nach einem gescheiten "Stadtmarketing", sei es eine Millionenstadt oder auch nur ein größeres Dorf. Wie man das gescheit macht, erläutern in dem hier vorgestellten Buch Maria Luise Hilber und Ayda Ergez, beide ausgewiesene Stadtberaterinnen, zusammen mit ausgesuchten wissenschaftlichen Experten. Sie richten ihre Strategien besonders an Einsteiger, auch wenn viele ihrer Beispiele die Stadt Zürich betreffen.
Zu Beginn erläutert Maria Luise Hilber, dass Stadtmarketing allein nicht das Ziel ist, sondern nur ein Mittel. Für eine 15.000 Einwohnerstadt darf "Mittelmaß" nicht gelten, also schlägt die Autorin zunächst ein "Stadt-Screening" vor, um am Ende zu einem "attraktiven Stadt-/Ertragswert" zu gelangen. Die Psychologin Gerda erinnert in ihrem Beitrag daran, dass Identität sich immer wieder neu konstituiert und dass der Mensch von Anfang an eingebunden ist in ein größeres Ganzes, in Gemeinschaften und Lebensräume, und nennt fünf Dimensionen, die auszuloten sind: das Stadtbild, die Lebensqualität, die Werte, die Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten sowie die materiellen Ressourcen und Belastungen der Stadt.
Wolfgang Welsch, von Beruf Philosoph, stellt den Menschen in die Mitte, definiert für diesen die ideale Stadt als "perfekte Bedürfnisanstalt" und fordert eine kontextbezogene Wahrnehmung und Gestaltung, wobei auch die Geschichte des Ortes und die Landschaft von großer Wichtigkeit sind. Der Theologe Wolfgang Grünberg geht noch einen Schritt tiefer in die Seele der Menschen, die das Gemeinwesen brauchen, um sich selbst zu finden und fordert darüber hinaus ausreichend "Regenerationsorte", die aus seiner Sicht verständlicherweise am ehesten die Kirchen anzubieten haben. Helmut Kaiser, ebenfalls Theologe aber auch Philosoph, betont die Wichtigkeit eines Dorfplatzes als einen Ort des Innehaltens, des Ankommens, insbesondere für diejenigen Menschen, die ständig unterwegs sind.
Auf diese Weise eingeführt, kann geht es nun daran, die "Stadtvision" zu beschreiben, an das Gestalten einer Stadt als Ort der Kommunikation. Der Leser lernt, die Stadt als Komposition zu begreifen, was im folgenden Kapitel in das beispielhafte Konzept eines "Bäderquartiers" mündet, das erfolgreich realisiert werden konnte. Der Städteplaner Angelus Eisinger erläutert dann ein weiteres Element zeitgemässer Standortpolitik, die Urbanität. Die Qual einer nächtlich öden City wird beschworen, doch findet die Frage der Negativspirale der Kernstädte am Ende nur eine unbefriedigende Antwort, aber immerhin werden die Nachhaltigkeit aller Maßnahmen und klare Konturen einer Stadt angemahnt. Auch ein vom Wirtschafts- und Sozialgeographen Heiner Dürr vorgestelltes Indikatorensystem wird nur angerissen, und auch das St. Galler Modell "Ort der Orte", das die Kunst im öffentlichen Raum behandelt, dürfte sich nicht so einfach auf andere Städte übertragen lassen. Die weiteren Kapitel widmen sich der Regionalentwicklung (Peter Wichart, Humangeograph) und der Stadtarchitektur (Vittorio Magnano Lampugnani, Städtebaugeschichtler). Lampugnani kommt in seinem Beitrag "Das Echte in der Stadt" zu der Erkenntnis, dass zwar in keiner der neuen Erlebniswelten, die das Zeitalter der Eventkultur feiern, die Piazza, die Caféstrasse, die Passage, das Denkmal oder das Palladio-Zitat fehlen darf, doch kritisiert der Autor, dass dies meist eine "Beschwörung der rein hedonistischen Seite der Stadt, die mit der kulturellen zwar gut koexistieren kann, allein aber noch lange keine Urbanität ausmacht, allenfalls deren Karikatur" sei.
Ayda Ergez fragt, welche "Marke" eine Stadt hat, bzw. welchen „Markenkern“. Für New York ist dieser z. B. mit dem Begriff „Freiheit und Möglichkeit" verbunden. Ist der Markenkern erst einmal gefunden, muß dieser durch eine geeignete Stadtkommunikation unterstützt werden, gefolgt von einem "Branding", was so viel heißt, dass man sich geeigneter Symbole bedient wie eines Stadtlogos, das auch den herausgefundenen Mythos einer Stadt beschreiben hilft - übrigens soll dies eine Erfindung der alten Ägypter sein.
Die Humangeographin Ilse Hebrecht nennt dann im folgenden Beitrag "Stadtmarketing - Vom Orakel zum Consulting", einige Thesen zur Stadtidentität, wie "sie ist verborgen, nicht transparent" - man kann also auch sagen undurchsichtig - und sie sei "relational", will heißen, sie vermittelt ein "mir san mir"- Gefühl. Am Ende erfährt der Leser noch einiges zur Verwaltung und welche Bedeutung die Liebe zu einer Stadt haben kann. Diese bedarf aber auch der Grenzen, symbolischer Stadtmauern. Nur so wird die eigentliche Gestaltung und Formwerdung unseres Lebensraumes möglich.
Bei aller Fülle der Stichworte wird der Leser am Ende aber irgendwie doch allein gelassen. Viele Fragen zur Umsetzung in die heimatliche Praxis bleiben im Nebel, und es drängt sich der Verdacht auf, dass man als Stadtplaner und Kommunalpolitiker nun rasch die Unternehmensberatung ‘Intosens ag’ in Anspruch nehmen sollte, die dieses Buch gesponsert hat. Eine Weiterführung und mögliche Antworten könnten sich aber auch aus der beigefügten Literaturliste ergeben. Für hauptamtliche Städteplanung dürfte das hier Beschriebene aus der Fachliteratur allerdings bekannt sein. Allen anderen: Kommunalpolitikern kleinerer Kommunen, Studenten und interessierten Bürgern ist das Buch ebenso zu empfehlen wie Kaufleuten und Gewerbetreibenden.
Gabriele Klempert
Stadtidentität Der richtige Weg zum Stadtmarketing. Hrsg. Hilber, Maria L. 2004. 208 S. 22 cm. Gb. Orell Füssli, Zürich 2004. EUR 32,50
ISBN 3-280-05083-9
 
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