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Kein Freiheits- und Einheitsdenkmal

Haben die Deutschen ein Problem mit der Wiedervereinigung ihres Landes? Sie haben zumindest eins mit der Erinnerung an dieses Ereignis. Als der 25. Jahrestag des Falls der Mauer nahte, kamen der Bundestag und der sächsische Landtag 2008 auf die Idee, der Stadt Leipzig ein Denkmal zur Erinnerung an die Montagsdemonstrationen zu spendieren, die den Zusammenbruch des SED-Regimes vorbereitet hatten. 2011, im gleichen Jahr, als das bis heute nicht verwirklichte, ebenfalls vom Bundestag initiierte Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin zum Wettbewerb ausgeschrieben wurde – die heute so genannte „Einheitswippe“ – wurden Leipzig die Gelder für einen nach den „Richtlinien für einen Planungswettbewerb“ ausgeschriebenen nicht offenen Wettbewerb bewilligt. In Deutschland geht nichts ohne ordentliche Bürokratie und Regeln, daher die „Richtlinien für einen Planungswettbewerb“. 2012 kam es zu einer beschränkten Ausschreibung, d. h. es wurden gezielt Künstler eingeladen, sich zu beteiligen. Eine Jury kürte drei Ideen. Den ersten Preis erhielt das Münchner Künstlerduo M+M, die mit den Berliner Landschaftsarchitekten ANNABAU zusammen gearbeitet hatten. Ihr Vorschlag mit dem Titel „Siebzigtausend“ – so viele sollen am 9. Oktober 1989 gegen die militärisch gerüstete Staatsmacht demonstriert haben – sah vor, den für das Denkmal ausgewählten Wilhelm-Leuschner-Platz mit einem Pflaster aus bunten Keramikfliesen zu belegen, deren Farbabfolge einen Code für die Worte „Freiheit“ und „Einheit“ ergeben sollte. Zum Eröffnungstag sollte aber jede der Fliesen von einem kleinen, gleichfarbigen Podest bedeckt sein, das die Besucher der Feier und später alle anderen auch mit sich hätten nehmen können. Die Farben des Denkmals hätten sich also über die ganze Stadt in den öffentlichen und nichtöffentlichen Raum verstreut und der Platz selbst hätte davon Zeugnis abgelegt. Viele Konjunktive.
Kurz nach dem Wettbewerb richtete die Stadt Leipzig einen Internetblog „Dialog zum Denkmal“ ein, der sich in kaum drei Wochen mit einer Diskussion füllte, die man heute eher Shitstorm nenne würde. Daraufhin forderte der Leipziger OB alle drei Preisträger dazu auf, ihre Vorschläge zu überarbeiten, was in der ursprünglichen Ausschreibung nicht vorgesehen war. Ein städtisches Gremium bewertete diese Überarbeitungen im Jahr 2013 und setzte den dritten Preisträger an erste Stelle. Die Gewinner klagten daraufhin gegen die Verfahrensänderung vor den Verwaltungsgerichten und erhielten Recht. Der Stadtrat der Stadt Leipzig brach daraufhin im Juli 2014 alles ab. Ein Argument war, dass das Denkmal bis zum Jubiläumstag nicht mehr realisiert werden könne.
Das Buch dokumentiert den heute verschwundenen Internetblog, die Reaktionen in der Presse und die Umstände sowohl der Preisausschreibung wie auch der Gerichtsverfahren und der Reaktionen der Stadtverwaltung. Inzwischen ist der 30. Jahrestag des Falls der Berliner Mauer längst abgefeiert und das Berliner Denkmal existiert immer noch nicht. In Leipzig hat man gleich ganz aufgehört, darüber nachzudenken, ob es neben den „Originalschauplätzen“, die in der Diskussion immer wieder bemüht wurden, eine neutrale Erinnerungsstätte geben sollte. Und inzwischen ist der Begriff „Montagsdemonstration“ leider ganz anders besetzt, als es 2012 der Fall war. Den Slogan „Wir sind das Volk“ haben die Rechtsradikalen usurpiert. Die deutsche Geschichte schreibt sich weiter. Aber sie muss eben auch geschrieben werden, wozu dieses Buch einen kleinen Beitrag bietet. Gerade die Internetdiskussion des Jahre 2012 erinnert den Leser an „Täglich grüßt das Murmeltier“. Dass die digitale Gesellschaft ein bis heute nicht gelöstes Problem mit der öffentlichen Diskussion hat, wird im Rückblick erneut schmerzhaft deutlich.
In Deutschland helfen auch Bürokratie und gesetzliche Regeln nichts? Der Eindruck bleibt am Ende des Verfahrens bestehen. Das Künstlerduo M+M machte dessen Details öffentlich und es ergibt sich ein noch schlimmeres Bild: Eine öffentliche (Stadt-)Verwaltung sabotierte erfolgreich ein rechtmäßiges Verfahren, ohne dass der Stadtrat als Vertreter der Bürgerschaft eine andere Rolle gespielt hätte, als am Schluss den Totengräber zu geben. Vielleicht war dies den Stadträten auch lieber so. Die Beiträge ihrer Vertreter in dem Verfahren bestärken diesen Eindruck. Das Ende vom Lied: Die Stadt Leipzig überwies die Gelder für das Denkmal zurück und bezahlte die Unkosten für das gescheiterte Verfahren selbst. Die Künstler behielten Recht und haben nichts davon, außer den Unkosten für das (Gerichts-)Verfahren und den Kosten für die letztlich erfolglosen Anpassungsarbeiten. Wehe dem, der in Deutschland einen Wettbewerb gewinnt! Architekten können davon sicherlich auch ein Lied singen.
Die Dokumentation steht nun also an Stelle des Denkmals, was dessen Verhinderer vielleicht ebenso begrüßen, wie alle an zeitgenössischer Kunst im öffentlichen Raum Interessierte. Verpackt ist diese Botschaft im bunten Layout von „Bureau Borsche“, das wohl die Buntheit des Denkmals spiegeln wollte. Das ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber letztlich gibt es der trockenen Materie etwas Pep. Dass die Zeitungsartikel nur auszugsweise lesbar sind, ist wohl leider dem Copyright geschuldet. Eine kleine Bibliographie wäre hier dankenswert gewesen. Aber die Blogbeiträge sind wohl ohnehin der wichtigste Teil der Publikation. Das Büchlein hat das Format, in dem in unseren Schulen das Grundgesetz kostenlos verteilt wird. Ich könnte es mir in Millionenauflage genauso verteilt vorstellen, gerade weil es ganz sachlich und rein dokumentarisch vorgeht. Das wäre doch eine lohnende Aufgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung.

02.03.2021
Andreas Strobl
Kein Freiheits- und Einheitsdenkmal. Grasskamp, Walter. Hrsg.: M+M. 180 S. 18 x 13 cm.edition metzel Verlag, München 2020. EUR 12,80.
ISBN 978-3-88960-198-8
 
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