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Propaganda im Ersten Weltkrieg

Dieser Band hätte ein Standardwerk werden können: als kompakte, knappe, pointierte Einführung, faktenreich und thesensicher. Doch es hat nicht sollen sein. Und das ist bei einem Band, der ganz zweifellos Qualitäten hat, umso trauriger.
Der Autor zerlegt sein Thema in elf Kapitel. Da wird (ein wenig zu schlaglichtartig) die Vorgeschichte der Propaganda als Mittel der Stimmungsmache und Massenbeeinflussung überflogen. Dann kommt die Selbstauffassung der Deutschen als „Kulturnation“ zu Wort – kontrastiert durch die hunnenhaften Barbareien beim Vormarsch durch Belgien im Spätsommer 1914, die mit der Zerstörung der Löwener Bibliothek ihren Höhepunkt erreichten, der seinerseits vom Gegner – Engländer und Franzosen – ausgeschlachtet wurde. Sodann geht es Bremm um die Instanzen der Propaganda: Während England und Frankreich, später auch Amerika, im Verlauf des Kriegs ihre Institutionen bündelten, um Presse zu zensieren, Journalisten mit Material zu versorgen, Menschen im In- und Ausland mit „Information“ zu manipulieren, ist das Bild in Deutschland divers. Kein einheitlicher Absender, sondern eine Vielzahl von Stimmen, koordiniert durch die Abteilungen des Militärs, künden von der „Größe Deutschlands“ und rechtfertigen den sinnlosen, schnell festgefahrenen Krieg. In einem weiteren Kapitel folgt der Perspektivwechsel: Wie haben die Gesellschaften die Propaganda erlebt – und, wenn überhaupt, wie hat sie die Propaganda geformt. Schließlich im letzten Abschnitt die Frage: Wie lebte die Propaganda nach dem Ende des Krieges weiter – in Deutschland vor allem im rechtsradikalen Mythos von der „Dolchstoßlegende“, die zum ersten Male in einem Text der Neuen Zürcher Zeitung vom Ende 1918 auftauchte.
Struktur ist gut – Kontrolle ist besser. Leider gelingt es Bremm nicht, die Dinge einmal – und zwar an der richtigen Stelle zu sagen. Er wiederholt Sachverhalte über mehrere Kapitel. Angedeutetes wird oft erst beim zweiten Mal expliziert. Vieles ist einfach nur redundant. Was man hier als Leser erlebt wirft einen dunkler Schatten auf das gesamte Buch, der noch düsterer wird, wenn man die etlichen Trennungs- und Rechtschreibfehler hinzunimmt. Hier hat allerdings kaum der durchaus kompetente Autor versagt, sondern das Lektorat, sofern es stattgefunden hat.
Würde das Buch in dieser Schlamperei nicht förmlich untergehen, so müsste man dem Autor eigentlich nur einen, freilich elementaren, Vorwurf machen: Bremm nennt zu wenige Beispiele. Nicht allein spart er einige in der Fachwelt gut aufgearbeitete Kriegsdebatten unter den Intellektuellen (etwa Thomas Manns schwierige, gleichwohl faszinierende Haltung) aus, sondern kümmert sich um die von ihm selbst als entscheidend bezeichnende Form der Propaganda überhaupt nicht: das Bild! Namhafte Künstler, wichtige Grafiker, hochkarätige Maler waren an der Bildproduktion auf allen Seiten beteiligt – doch sie kommen in diesem Buch nicht vor. Diese merkwürdige Ignoranz geht hinein bin in die Bildunterschriften: Man erfährt nicht, wie die gezeigten Plakate Verwendung fanden, wer sie gestaltete, in welcher Technik, vielleicht sogar welcher Auflage und wo man sie heute noch sehen könnte. Nichts! Als hätte es den Iconic turn der Geschichtswissenschaft nicht gegeben – als hätte die zur Bildwissenschaft mutierte Kunstgeschichte den Historikern nicht manchen Fingerzeig zu geben. Nochmals Nichts!
Gesamturteil: Faszinierendes Thema – guter Autor – verspieltes Potential – ein Ärgernis!

6.10.2013
Christian Welzbacher
Propaganda im Ersten Weltkrieg. Bremm, Klaus-JĂĽrgen. 188 S. 22 meist fb. Abb. 22 x 15 cm. Gb. Theiss Verlag, Stuttgart 2013. EUR 24,95. CHF 35,50
ISBN 978-3-8062-2754-3
 
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