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Die blitzenden Waffen – Über die Macht der Form

Wir verstünden nicht mehr die Codes, Rituale, Zeichen und Rollen, die im gesellschaftlichen, im öffentlichen Leben eine Ebene schaffen, auf der gegenseitiger, respektvoller Austausch möglich sei: diese Zeitdiagnose bildet den Ausgangspunkt für Robert Pfallers neues Buch „Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form“. Und da der Autor, der Ausbildung nach Philosoph, als Professor an einer Kunstuniversität wirkt, hält er zahlreiche Belege aus der bildenden Kunst vor, seine These zu belegen. Die Form habe sich aufgelöst – der Inhalt sich derart parasitär über den Ausdruck ausgebreitet, dass am Ende Werke übrigblieben, die ohne ästhetischen Eigenwert nicht mehr sind als das, was ihre Beschreibung über sie aussagt. Der Fachmann nennt es „Konzeptkunst“. Doch schaust Du unbedarft drauf, ist es bloß uninteressantes, talentloses Gelump.
Was dieser ernüchtert-ernüchternden Bestandsaufnahme folgt ist eine kleine tour de force durch verschiedene Aspekte der Philosophie und Psychoanalyse, die dem Leser ins Gedächtnis zurückrufen soll, dass Form nicht Beiwerk, sondern eben essentieller Teil künstlerischer Aussage war – sprich: wo sie fehlt, es auch der Wirkung mangelt. Wie werden Witze „gebaut“ (das wollte schon Freud wissen und Zizek nimmt sie als Ausgangspunkte seiner brillanten Erörterungen); welche Sinne über das Auge hinaus müssen angesprochen werden, um Wirkung zu erzielen; wie ist das Verhältnis von Form zu Inhalt und Materie zu bewerten (und was passiert mit letzteren, wenn erstere fehlt)? An all diesen Themen expliziert Pfaller: Wird er nicht herausgefordert, der Rezipient – und zwar durch Strukturen und Strategien, die (in jeweiliger Korrespondenz zu Inhalt und Materie) in der Form angelegt, in der Form „ausgespielt“ werden – so bleibt das Gericht, das man ihm serviert, fad. Denn es fehlt das, was Pfaller in Anlehnung an seinen antiken Kollegen Quintilian „blitzende Waffen“ nennt: die Zuspitzung, der rhetorisch-künstlerische Reiz, die Provokation, die Essenz, die richtige Verpackung, die Poesie. Es fehlt der Pfeffer.
Alles schön, alles richtig, gut nachvollziehbar, freundlich, nett, harmlos und konsensfähig. Aber ein wenig banal ist es eben auch. Der essayistische, in sieben Abschnitte gegliederte Text lässt sich flott durchlesen, Pfaller moderiert gekonnt zwischen Zitaten von Freud, Lacan, Barthes und anderen Helden, macht aber eigentlich nie das, was man bei Titel und These vermuten würde: die Waffen blitzen lassen. Am Anfang ein paar markante Merksätze. Danach fehlen die Pointen – ja mehr noch: es fehlt, gerade bei einem solchen Thema, Wesentliches, weil sich Pfaller (taktische Absicht oder Gutmenschentum?) mit Nichts und Niemandem anlegt: es fehlt der Standpunkt des Autors.
Zwar deutet Pfaller mehrfach an, einer „ganzen Kultur“ sei „ihre eigene Formbeherrschung und -kompetenz unverständlich geworden“, weil „neoliberaler“ Verwertungsdruck und „postmoderne“ Beliebigkeit (die wir eigentlich seit den 1980ern meinten abgelegt zu haben, falls sie je wirklich existierte) eklatante Wirkung zeitigten. Aber er führt eben genau diese These, die doch wohl ein zentraler Aspekt der Kritik ist (und Auslösepunkt jenes Unbehagens gewesen sein dürfte, das Pfaller überhaupt zum Schreiben angeregt hat) nicht weiter aus. Hätte er seine Gedanken aber in einem (ebenfalls fehlenden) Resümeeabschnitt auf die vermeintliche Ursache (Neoliberalismmus/Postmoderne) hin bezogen und dann abwägend erörtert: es hätte ihm nicht nur Gelegenheit gegeben, die Waffen blitzen zu lassen, sondern dem gesamten Text erst jene Relevanz gegeben, die in der jetzigen Form nur behauptet wird. In Anlehnung an die Formulierung eines guten Freundes muß ich daher sagen: das alles regt mich nicht auf.
Ich wäre aber tatsächlich gern erregt worden, lieber Herr Pfaller. Denn es ist, das haben Sie ja gespürt, höchste Zeit für einen kritischen Dialog über Kunst und Gesellschaft, Wirtschaft und Politik, einen Diskurs, der die soziale Atomisierung infolge sogenannter Identitätspolitik derart reflektiert, dass die Identitätspolitiker selbst den dialektischen Sprung auf die höhere Ebene tun müssen, damit das bislang konstant verweigerte Gespräch endlich stattfinden kann. Wer anders als ein Professor – ein Vertreter von Establishment und „Betrieb“ – der Philosophie könnte solche Impulse setzen?

Lieber Herr Pfaller: Ordnen Sie Ihr Rüstzeug bitte noch einmal neu, legen Sie Ihren Harnisch an, steigen Sie in den Ring und suchen Sie die Auseinandersetzung. Und dann interpretieren wir genüsslich die rauchenden Trümmer des intellektuellen Kampfes – und machen ein neues Buch daraus, das vor Pointen nur so strotzt. Bereit? En garde!
02.11.2020
Christian Welzbacher
Die blitzenden Waffen. Ăśber die Macht der Form.
Pfaller, Robert. 288 S. 9 Abb. 21 x 13 cm. Gb. S.Fischer, Frankfurt 2020. EUR 22,00
ISBN 978-3-10-059035-0
 
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