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Karl Dietel - Die offene Form

Karl Clauss Dietel. Die offene Form

Wie das Bauhaus zu beerben sei, das war für die Deutschen in Ost und West nach der über ein Jahrzehnt währenden Zerstörung der Vernunft und der Kultur eine drängende Frage.
In Ostdeutschland, wo mit Weimar und Dessau die beiden Standorte des Bauhauses liegen, lag diese Wendung zum Bauhaus besonders nahe. Wie konnten Kunst und Technik, von deren neuer Einheit Gropius einst gesprochen hatte, wieder zu einer im Dienste einer aufgeklärten Gesellschaft stehenden Kultur gelangen? Dass die Hochschule für angewandte Kunst in Berlin-Weißensee, in der Karl Clauss Dietel 1956 sein Studium begann, direkt die Nachfolge von Weimar und Dessau antrat, das wird den wenigsten bekannt sein, – der Kulturpolitiker Gerhard Strauss hat es zuerst am 50. Jahrestag der Eröffnung des Dessauer Bauhauses ausgesprochen. Aber Studenten wie Dietel haben früher dorthin gefunden. Sie hatten Bauhäusler wie Selman Selmanagic und Theo Balden als Professoren, sie hatten Schriften wie Wilhelm Wagenfelds „Wesen und Gestalt der Dinge um uns“, 1948 bei Stichnote in Potsdam verlegt, und – sie standen als Industrie-Formgestalter einer Industrie gegenüber, die nach Kriegszerstörung und Demontage wieder Fuß fasste, und, auch unter dem Druck, in den Westen zu exportieren, an neuen Produkten interessiert war. Die 1960er Jahre waren daher, weit mehr als die folgenden Jahrzehnte, die „Wirtschaftswunderjahre“ der DDR. Und Formgestaltern wie Karl Clauss Dietel und Lutz Rudolph, die sachliche Formen entwickelten, standen die Türen weit offen.
Der Autor Walter Scheiffele hat seit 2016 im Atelier von Karl Clauss Dietel am Amselsteig in Chemnitz die Briefwechsel des Gestalters mit den vielen Betrieben in der DDR durchgesehen, ebenso wie der Grafiker Steffen Schuhmann Skizzen und Zeichnungen zu den Produktplänen dieser Firmen gesichtet hat. Das einzigartig geführte Archiv, das minutiöse Recherche erlaubt und zeigt, wie viele Debatten zwischen Konstrukteuren und Formgestaltern der letztlich gültigen Form vorausgingen, ebenso wie die vielen Entwurfszeichnungen, die plastischen Modelle bis hin zu den 1:1-Funktionsmustern.
Der drei Jahrzehnte währende Designprozess wird in den Gesprächen mit Dietel begleitet von einem Personennetzwerk, das für und gegen den freischaffenden Gestalter gewirkt hat, und von einem ausgeprägten Geschichtsbewusstsein über die frühe Industriegeschichte der Region um Chemnitz mit Horch, DKW und Wanderer ebenso wie der künstlerischen Moderne, die Henry van de Velde und Erich Mendelsohn in das industrielle Chemnitz gebracht haben.
Nicht anders als Wilhelm Wagenfeld hat auch Karl Clauss Dietel das Wesen der Dinge gesucht und gefunden. Was seine Fahrzeuge an Formen ausgebildet haben, die weit über die Baukastensysteme der HfG Ulm hinausreichen, das verdankt sich seiner Rückkehr zu einem Bauhaus, in dem das Ganze vor dem Besonderen stand, in dem Kunst und Technik einander bedingten.
Das finden wir auch in seinen anschaulichen Thesen wieder, die von der „Poesie des Funktionalismus“, dem „offenen Prinzip“, der „Gebrauchspatina“ bis zu den „fünf L“ reichen. In ihnen erscheint das Langlebige, Leichte, Kleine (lütt), Lebensfreundliche und Leise als Merkmal einer dem Humanen verpflichteten Dingkultur.

Die umfangreichen Texte werden von zahlreichen Abbildungen und Zeichnungen begleitet. Einzig ärgerlich ist das zwar ambitiöse aber leider schlecht lesbare Layout. Hier hat sich der Designer Steffen Schuhmann mit unnötig viel freier Fläche, dafür aber mit recht kleiner Schrift und kaum lesbaren hellgrauen Überschriften ausgetobt.

04.02.2022
Gabriele Klempert
Karl Clauss Dietel. Die offene Form. Scheiffele, Walter. Hrsg.: Scheiffele, Walter. Englisch; Deutsch. 2020. 380 S. 100 fb. Abb., 200 sw. Abb. 28 x 22 cm. Spector Books, Leizig 2020. EUR 38,00.
ISBN 978-3-95905-366-2
 
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