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Napoleon Traum und Trauma

Ein Überblick über die Forschung? – In einem populären Katalog? Was hier geschieht ist so ungewöhnlich, wie erfreulich. Traum und Trauma, ein großer Begleitband zu einer großen historisch-kunsthistorischen Ausstellung (Kunst- und Ausstellungshalle Bonn, noch bis 25. April 2011), breitet nicht einfach ein Thema aus, sondern reflektiert gleichzeitig diese Ausbreitung. Der Band zeigt, dass die Deutungen Napoleons nicht nur in der Geschichte widersprüchlich und wechselhaft gewesen sind. Er suggeriert auch, dass dies so bleiben wird – er selbst nur Station auf einem langen Weg ist.
Die Selbsthistorisierung zeugt einerseits von Selbstbewusstsein. Andererseits dient sie dazu, den Anspruch, den solcherlei Ausstellungen und Publikationen haben können, zu relativieren, sprich: auf ein vernünftiges Maß zu bringen. Denn „Napoleon“ sprengt wahrlich jede Dimension. Man kann ihn lieben (wie Jutta Limbach in einem kleinen persönlichen Essay) oder nicht (wie Pierre Rosenberg in seiner Antwort), kann ihn als Heilsbringer oder Kriegstreiber, als Weltbürger oder Egomane, als Reformpolitiker oder Diktator deuten – von sämtlichen Zwischenstufen und Schattierungen einmal abgesehen.
Katalog (und mit ihm die Ausstellung) nähern sich all diesen Facetten, und dies, ohne die vordergründige Behauptung, erschöpfend sein zu wollen (und zu können). Stattdessen geht es darum, von Napoleon aufgerufene „Motive“ herauszuarbeiten und diese in größerem Zusammenhang zu betrachten. Drei Beispiele:
Erstens. Jean-Luc Chappey und Marie-Noelle Bourget widmen sich der „Beherrschung des Raumes“. Da geht es zunächst um die Feldzüge des gelernten Soldaten, der den Krieg als Lebenselexier, den Ausnahmezustand als Antrieb zur Arbeit betrachtete. Dann aber wird deutlich, dass die Napoleonische Vision des geeinigten Europa nicht nur ein Reflex auf die Weltreiche der Antike und des Mittelalters war (wie Jacques-Louis Davids Darstellung „Napoleon überquert den großen St. Bernhard“, 1800, nahelegt), sondern dass der Geschichtspolitik die Moderne der Wissenschaft antwortet. Die Grande armée bediente sich neuester optischer Geräte zur Überwachung, Vermessung, Kartographierung der Welt – und damit zum Versuch der Überwindung von Raum und Zeit.

Zweitens. Yann Potin nimmt sich noch einmal das Großthema „Kunstraub“ vor – über diesen Sachverhalt hatte Bénédicte Savoy, die Kuratorin der Napoleon-Ausstellung, promoviert (die Arbeit liegt seit diesem Jahr auch auf Deutsch vor, im Böhlau-Verlag, ebenso wie eine Rezension hier im Kunstbuchanzeiger: http://www.kunstbuchanzeiger.de/de/themen/epochen/rezensionen/1193/). Auch hier scheint die Wechselwirkung von Sammelleidenschaft und politischer Symbolherrschaft an die Wissenschaft gekoppelt. Denn die Entstehung des Museums als Abbild des Kosmos (aus Natur und Kultur gleichermaßen) ließ die Wunschvorstellung, die Welt in einem Hause zu versammeln, erst aufkeimen. Im Louvre sollte sie – für kurze Zeit – wahr werden.
Drittens. Uwe Fleckner knöpft sich die Herrschaftsbilder Napoleons vor. Feldherr, Konsul, Kaiser, Geschichtsbezwinger, Friedensbringer, schließlich geschlagener, zerrütteter Exilant: Napoleon wurde ein Leben lang von Bildern begleitet. Er war als Büste, Stich, Porträt, Karikatur verbreitet, durch offizielle Propaganda wie durch Gegenpropaganda. Napoleons Vision, so zeigt sich, war modern nicht nur durch die Anwendung von Natur- und Kulturwissenschaften, sondern auch durch die Medien. Darin liegt auch der Grund, warum uns Napoleon seltsam nah erscheint, obwohl wir kurz vor dem 200-jährigen Jubiläum der Völkerschlacht bei Leipzig 1813, seiner hunderttägigen Rückkehr und des endgültigen politischen Endes 1815 stehen.
Kurz noch zum Katalogteil. Auch hier erweist sich die Auswahl der „Motive“ als äußerst geglückt. Denn sie bindet thematische, wissenschaftliche, mediale und politische Aspekte erneut zusammen und dies immer beispielorientiert, am Objekt (das jeweils mit knappen Texten gewürdigt wird). „Generation Bonaparte“ etwa zeigt, dass der Aufsteiger Napoleon kein Einzelfall war. Vielmehr eröffneten die revolutionären Umwälzungen und das Ende des Ancien régime einer eigenständigen Schicht die Möglichkeiten politischer Mitgestaltung. „Blut und Sex. Europa, auch eine Familienangelegenheit“ demonstriert Napoleons dynastische Machenschaften. Sie zeigt, wie er Posten (will sagen: Königswürden) an Familienmitglieder vergab, mit engsten Vertrauten halb Europa beherrschte. „Das Reich der Zeichen“ offenbart noch einmal Opulenz und Vielfalt der Symbolpolitik. „Projektionen. Eine ‚geteilte’ Ikone“ schließlich nimmt die Ausdeutungen Napoleons nach dem Ende der Napoleonischen Zeit in den Blick und knüpft damit wieder an die selbstreflexive Haltung des Gesamtprojekts an.
Geschickt präsentiert, kompakt aufgearbeitet, bildreich dargestellt – bei so viel gelungener Darbietung von politisch-historischer Kultur muss man zum Schluss einfach aufs Grußwort schauen. Hier haben sich die Napoleons von heute verewigt, die Schirmherren und -damen der Ausstellung, Nicolas Sarkozy und Angela Merkel. Sarkozys Mitarbeiter haben sich einen eigenen Text für den Katalog erspart, Merkels Beitrag steht merkwürdig allein – und wirkt dadurch noch schwachbrüstiger, als er ohnehin schon ist. Unsichere Formulierungen, ein hilfloses Stendhal-Zitat und ein gehauchter Dank an die Kuratorin. Das ist (neben den Fördergeldern) alles. Und eine Vision? Man möchte ansetzen, um im Vergleich von Napoleonischer Zeit und Gegenwart zum Schluss zu kommen, dass Politik, einst humanistische Passion (mit allen Konsequenzen), zu Verwaltung verkommen ist. Aber lohnt sich das wirklich? Sparen wir es uns. Und tun wir den Heutigen nicht den Gefallen, in einem Satz mit Napoleon genannt zu werden.

16.03.2011
Christian Welzbacher
Napoleon und Europa. Traum und Trauma. 384 S. 450 fb. Abb. 28 x 24,5 cm. Gb. EUR 39,95. Prestel Verlag, München 2010. CHF 58,90
ISBN 978-3-7913-5088-2
 
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