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Höchste Schönheit und einfache Grazie

Die größten Schätze finden sich in den Magazinen der großen Museen und warten oft lange darauf, gehoben zu werden: An die hundert Jahre waren es, dass die über 3.400 Stücke umfassende Sammlung an Gemmen und Kameen des Maxwell Sommerville (1829-1904) wohlbehütet, aber unbearbeitet in den Magazinen des Museum of Archaeology and Anthropology der Universität von Pennsylvania/Philadelphia schlummerten, bis der Klassische Archäologe Dietrich Berges seine Magisterarbeit über den antiken Teil der immensen Sammlung, insgesamt 350 griechische, etruskische bzw. römische Objekte, schrieb.

Nun liegt die Bearbeitung der qualitätvollsten nichtantiken Gemmen und Kameen der Sammlung vor, deren Mehrzahl in die Zeit des Klassizismus, also des späten 18. und des gesamten 19. Jahrhunderts, datiert werden kann; ein kleiner Teil stammt aus Spätrenaissance und Barock, ein weiterer bildet historische Gestalten der Nachantike ab. Damit begab sich Berges als Klassischer Archäologe auf Neuland, wie er bescheiden anmerkt. Tatsächlich gehört die Erforschung der nachantiken Steinschneidekunst (Glyptik) nicht zu den Lehrinhalten der Klassischen Archäologen, aber die Beschäftigung mit der Antikenrezeption nachantiker Zeit schon. Dass es laut Berges schwierig war, die antiken von den klassizistischen Stücken zu scheiden, spricht für die Qualität der jeweiligen Steinschneider (im Anhang des Werkes befindet sich eine Liste der namentlich bekannten Steinschneider, erschlossen nach ihren Signaturen. Unter ihnen findet sich übrigens auch eine Frau, Teresa Talani, von der genaue Lebensdaten leider fehlen. Die Frau eines Kunsthändlers in Neapel hat u.a. für Lady Hamilton gearbeitet. Vertreten ist sie mit zwei Arbeiten im Katalogteil, Isis, Nr. 37, Abb 84, sowie Alexander d. Gr., Nr. 180, Abb. 298). Anders als die barocken Steinschneider greifen die des Klassizismus unmittelbar auf die antike Glyptik - wie auch auf Werke der Rundplastik - als Vorbilder zurück: "Ohne die Kenntnis dieser antiken Vorbilder und ihrer Ikonographie aber sind die Identifizierung und Bewertung der klassizistischen Stücke nur schwer möglich."

Herzstück des großartigen Buches ist neben dem erläuternden Text zur Bedeutung des Klassizismus und zum Kreis der Gemmensammler und ihrer Daktyliotheken (von Daniela Hofmann ins Englische übersetzt) der Katalog, in dessen herrliche Abbildungen (von Fred Schoch und Francine Sarin meisterlich fotografiert) man sich festsieht. Ganz nach Sammlervorgabe ist er bezüglich der klassizistischen Stücke in Themenkreise gegliedert: Trojanischer Krieg, Götter, Göttinnen, Heroen etc.: Der ehemalige Verleger und Reisende Maxwell Sommerville war bei seiner heterogenen Sammlung seinen persönlichen Vorlieben, nämlich dem Interesse am historischen oder mythologischen Hindergrund der Motive, gefolgt.
Hier wäre der Kopf des Apoll vom Belvedere zu erwähnen (Nr. 61, Abb. 119), der von Nathaniel Marchant (1739-1816) geschnitten wurde: ein wahres Meisterwerk im Kleinformat, das hier das überlebensgroße Vorbild mit dem feinnervigen, nervös anmutenden Gesicht und der hochaufstrebenden Schleifenfrisur im Vatikan ins Kleinformat umsetzt.

Bei einem Opus magnum wie dem vorliegenden kann auch stets das eine oder andere ergänzt bzw. widerlegt werden, was die Bedeutung der Arbeit nicht schmälert: Das Frauenbildnis des Amethystes Nummer 143, S. 238, Abb. 245 ist hinsichtlich seines antiken bzw. römischen Vorbildes nach Meinung der Rezensentin etwas präziser bestimmbar. Bei Berges heißt es: "Die Haartracht überliefert entgegen dem ersten Eindruck keinen antiken Typus. Zwar begegnet die Melonenfrisur bei den Porträts der ptolemäischen Königinnen des frühen 3. Jhs. v. Chr., die Zopfform unseres Steines ist dort aber unbekannt. Verwandte Zopffrisuren finden sich an den spätantoninischen Porträts, die ihrerseits aber die Melonenfrisur unseres Siegelbildes nicht kennen."

Wie in Ziegler, Daniela, Frauenfrisuren der römischen Antike - Abbild und Realität, Berlin 2000, 47- 51, dargelegt, findet sich die hellenistische Melonenfrisur, deren Rippen - wie auf dem Amethyst des Fingerrings - parallel zum Scheitel verlaufen und die einen im Nacken nach oben umgeklappten Zopf aufweisen, bei einigen Beispielen der Rundplastik (Mädchenköpfe in Selcuk, Thessaloniki, Side, Wilton House und andere). Es handelt sich um Porträts von Mädchen und jungen Frauen, die in den Beginn des 3. Jahrhunderts n. Chr. datiert werden können.

Das Bildnis des Kameos Nummer 227, Abb. 358, gemacht aus einem geschichteten Sardonyx, das als ein Abbild der Julia Domna (193 - 217 n. Chr.), Frau des Septimius Severus, Mutter des Caracalla, bezeichnet wird, stellt die Kaiserin mit Sicherheit nicht dar. Bei Berges heißt es: "Das Bildnis unseres Kameos ist kein Meisterwerk. Die Frisur ahmt die Vorbilder in summarischer und im Detail unzuverlässiger Weise nach, und das Porträt wirkt wegen des breiten Halses und der maskulinen Gesichtszüge schwerfällig."

Der Vergleich, insbesondere der die Ohren bedeckenden und den Kopf eng umschließenden Frisur, der der Gemme am nächsten käme, wäre nach Meinung der Rezensentin ein Kopf in Kopenhagen, Ny Carlsberg Glyptothek, Inv. 733a, aus Marmor (Gesicht) mit einer separat angefertigten Perücke aus Onyx. Dieses Bildnis einer älteren Frau mit tiefen Nasolabialfalten im ernsten Gesicht wird in der Literatur manchmal als Julia Maesa (Schwester der J. Domna), manchmal als Julia Soaemias (Tochter der J. Maesa) gedeutet, was m.W. durch Fehlen von Münzvergleichen nie bestätigt werden konnte. In die Zeit kurz nach Julia Domna gehört das qualitätvolle Bildnis jedoch zweifellos: Zwar weicht die Haartracht des Kopenhagener Kopfes von den wohldokumentierten Julia-Domna-Perücken ab, weil die Perücke mit dem kleinen Nest auf der Rückseite sich in die Nackenrundung hineinschmiegt, was bei den Perücken der Julia Domna nicht der Fall ist. Aber bei Privatporträts aus dem funerären Bereich sind ähnliche Perücken, die die Ohren bedecken und sich der Kopfrundung anschmiegen, sehr wohl bekannt. (Zu den Frisurtypen aus der Zeit der Julia Domna und später siehe Ziegler, aaO, 67-82.)

Unter Fachkollegen sei es auch erlaubt, ein paar Worte zur verwendeten Begrifflichkeit zu verlieren: Hinsichtlich der beiden Julia-Titi-Gemmen (Nr. 218-219, Abb. 346-347), die auf ein römisches Vorbild im Pariser Cabinet des Médailles zurückgehen, wäre die Bezeichnung "Buckellockenkranz" durch die längst eingebürgerte Bezeichnung "Flavische Orbis" zu ersetzen, die den diademartigen Haaraufbau über der Stirn bezeichnet und den flavischen Frauenfrisuren in zahlreichen Varianten eigen ist.

Auch sollte man den Begriff "Nestzopf" bei der Beschreibung einer Frisur (aus Gründen der Genauigkeit) vermeiden, denn: 1. genügt das Wort Nest völlig und 2. ist das Wort in sich falsch, denn es würde bedeuten, dass der Zopf aus einem Nest besteht - das geht aber gar nicht. Zur Terminologie für die Beschreibung weiblicher Frisuren, siehe nochmals Ziegler, aaO, 41-45. Nichts für ungut.

08.09.2011
Daniela Maria Ziegler
Berges, Dietrich. Höchste Schönheit und einfache Grazie. Klassizistische Gemmen und Kameen der Sammlung Maxwell Sommerville im University of Pennsylvania Museum of Archaeology and Anthropology, Philadelphia. Dtsch./Engl.. 317 S. 28 x 21 cm. Gb. Verlag Marie Leidorf, Rahden 2011. EUR 45,00.
ISBN 978-3-89646-048-6
 
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