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Den Dolch betreffend

Neue Studien zu einer altägyptischen Nahkampfwaffe

Viele Werke sind bereits zu den Waffen des alten Ägypten geschrieben worden, dennoch ist es bemerkenswert, dass es sich hierbei vorwiegend um zusammenfassende und bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts erschienene Publikationen handelt. Hierzu zählen die Werke von Hans Bonnet (1926), Walther Wolf (1926) und William M. Flinders Petrie (1917; 1930).
Nur wenige Publikationen hingegen widmeten sich bislang einer typologischen Bearbeitung des Materials durch die Zeiten hinweg. Umso erfreulicher ist es, dass sich Susanne Petschelt in ihrer 1998 an der Universität Münster eingereichten Dissertation diesem schwierigen, aber auch lohnenswerten Unterfangen gestellt hat. In ihrem Werk hat sie sich vorwiegend der typologischen Betrachtung der Stichwaffengattung „Dolch“ gewidmet und damit ein längst fälliges und wichtiges Standardwerk für diese Stichwaffe vorgelegt. Neben einer rein typologischen Ordnung der insgesamt 333 durch alle Zeiten – sprich von der formativen Phase bis zum Ende der 3. Zwischenzeit – belegten vollständigen Dolche bzw. Dolchfragmente, stehen die Herausarbeitung der unterschiedlichen Konstruktionen, sowie der Einfluss außerägyptischer Waffentechniken auf die ägyptische Entwicklung im Fokus. Zudem bespricht die Autorin auch die Bedeutung des Dolches in der ägyptischen Kultur.
In der Einleitung erhält der Leser grundlegende Informationen zum derzeitigen Forschungsstand, zu den Quellen und Werkstoffen, den Zielstellungen der Autorin, sowie zu den chronologischen Rahmenbedingungen. Besonders hervorzuheben ist hierbei auch die Einführung in die Spezialterminologie des Dolches anhand hervorragender Schaubilder, die von der Autorin selbst gezeichnet wurden und dem Leser bei der weiteren Lektüre stets ein Anhaltspunkt sind.
Das zweite Kapitel „Vorarbeiten“ ist der Abgrenzung der Objektkategorie Dolch gegenüber anderen verwandten Waffengattungen, die häufig schon zu Missverständnissen in der Literatur geführt haben, gewidmet. Besonders gelungen ist hierbei die Vorstellung der angewandten Methodik, der Typologie. Die Abgrenzung verwandter Objekte wie Speerspitzen, Messer etc. erfolgt in der Literatur zumeist sehr subjektiv und unterschiedlich, was einen Vergleich des Materials bislang sehr schwer machte. Daher stellt die Autorin für den Dolch nun folgende Merkmale heraus, die auch in Zukunft für die Beschäftigung mit der betreffenden Objektkategorie benutzt werden sollten (S. 33-34):
1) Griff liegt längsaxial zur Klinge
2) Klinge verläuft längsaxial und ist mit spiegelsymmetrischen Schneiden ausgestattet
3) Die Objekte weisen eine Länge von 15-51 cm auf.
Die belegten Stücke werden schließlich drei Funktionsklassen zugeordnet: D (Gebrauchsdolche und Prestige- bzw. Prunk-Dolche - vgl. S. 37), M (Miniatur- und Modelldolche - vgl. S. 37) sowie F (flachbildliche Darstellungen).
Abweichend von bisherigen typologischen Betrachtungen, werden von S. Petschelt auch solche Objekte einem eigenen Typ zugewiesen, die einzigartige Eigenschaften aufweisen. Völlig zu Recht wird dies aber nur für Dolche praktiziert, die auch aus klaren archäologischen Fundkontexten stammen (S. 39).
Für die Typologie werden unterdessen, wie dies bereits von H. Bonnet 1926 vorgeschlagen worden war, die Griffe und die Klingen als typrelevant eigens besprochen. Dabei konnte die Autorin insgesamt zehn unterschiedliche Knaufformen herausarbeiten (S. 41), die wiederum als Datierungskriterium herangezogen werden können. Problematisch sind dabei freilich Regionalismen, die zumeist archäologisch kaum oder nur schwer zu fassen sind. Eine klare Zuweisung zu einer bestimmten Werkstatt muss daher auch für die hier vorgelegten Dolche weitgehend ausbleiben. Das übergeordnete Merkmal für die Typologisierung der Dolchgriffe bildet die Knaufform. Innerhalb der Typen werden über verschiedene Griffkonstruktionen definierte Varianten unterschieden. Auf diese folgen schließlich Subvarianten, die durch die unterschiedlichen Heftformen und Werkstoffe repräsentiert sind. Bei den Klingen sind die typrelevanten Merkmale die Klingenform und das Dekor, die Varianten die Umrisse und die Subvarianten werden von der Befestigungsvorgabe gestellt (S. 47). Eine Übersicht über die verwendete Struktur der Klassifikation findet der Leser erneut auf S. 48 kurz zusammengestellt, so dass auch beim Lesen der Publikation ein kurzer Blick zum Auffrischen der Details genügt.
Der Hauptteil der Arbeit ist der Vorstellung der von Petschelt herausgearbeiteten Typologie gewidmet. Die 333 aus Grabungen und unklaren Fundkontexten für Ägypten und Nubien bekannten Dolche werden in insgesamt zehn Typen, bezeichnet mit römischen Ziffern, vorgestellt. Dabei werden zunächst die charakteristischen Merkmale vorgestellt, denen dann die jeweiligen Subtypen folgen. Dabei folgt die Autorin stets ihrem zu Anfang vorgestellten Schema: Abhandlung der unterschiedlichen Griffe, Befestigungstechnik, Klingen, separat überlieferte Klingen, Bemerkungen zu den für den jeweiligen Typ belegten Werkstoffen, Scheiden, des Weiteren Datierung und Verbreitung, Nennung von Vergleichsobjekten und weitere Folgerungen. Die einzelnen Abschnitte schließen mit Bemerkungen zu flachbildlichen Überlieferungen, sowie zum Personenkreis und einem kurzen Fazit.
Im Folgenden sollen nur die Haupttypen genannt werden:
- Typ I: Dolche mit halbrundem Knauf (S. 49-92)
- Typ II: Dolche mit sichelförmigem Knauf (S. 93-105)
- Typ III: Dolche mit knopfförmigem Knauf (S. 106-169)
- Typ IV: Dolche mit knopfförmigem Knauf mit hoher Knaufscheibe (S. 170-180)
- Typ V: Dolche mit ringförmigem Knauf (S. 181-182)
- Typ VI: Dolche mit kugelförmigem Knauf (S. 183-190)
- Typ VII: Dolche mit fächer‒ bis kelch- sowie T-förmigem bis zylindrischem Knauf (S. 191‒221)
- Typ VIII: Dolche mit tierkopfförmigem Knauf (S. 222-230)
- Typ IX: Dolch mit menschenköpfigem Knauf (S. 231-235)
- Typ X: Dolch mit pilzförmigem Knauf (S. 236-237)
Es folgen im Anschluss ein so genannter „Behelfstyp“, der alle Dolche ohne erhaltene Griffaufsätze beinhaltet (S. 238‒240), sowie weitere nicht klassifizierbare Dolche (S. 241‒242).
Äußerst interessant sind auch die Auswertungen zu den ikonographischen Belegen. So gelingt es S. Petschelt herauszuarbeiten, dass Götter anscheinend kaum mit dem Dolch, dafür aber mit dem Messer abgebildet sind (S. 35). Weiterhin kann nachgewiesen werden, dass der Dolch nicht, wie zumeist behauptet wird, als eine typische Waffe und Standardausstattung des ägyptischen Soldaten gelten kann. Dolche des Typs I sind beispielsweise vorwiegend im königlichen Kontext abgebildet. Erst mit dem Prozess der so genannten „Demokratisierung des Grabinventars/Totenglaubens“ sind auch andere Personen ab dem Mittleren Reich mit diesem Waffentyp ausgestattet worden. Interessant ist zudem, dass die meisten der herausgearbeiteten Typen nicht genuin ägyptisch sind, sondern Konstruktions- bzw. Waffenübernahmen von den angrenzenden Nachbarn darstellen. So überrascht auch nicht, dass einige der Dolche ebenso bei den ägyptischen Darstellungen von Feinden zu finden sind.
Im vierten Abschnitt der Arbeit (S. 243-266) sind die Klingen zusammengestellt, die separat, ohne zugehörige Griffe auf uns gekommen sind. Mit Hilfe der Erkenntnisse zur Befestigungstechnik und zu technischen Aspekten aus dem dritten Teil der Publikation gelingt S. Petschelt, woran frühere Bearbeiter häufig gescheitert sind bzw. was diese teils gar nicht versuchten: eine Zuordnung dieser Objekte zu den jeweilig herausgearbeiteten Dolchtypen. 96 der betrachteten 333 Stücke gehören dieser dritten Kategorie an, denen somit zumindest typologisch eine Zuweisung zu einem Typ und somit, wenn auch mit Einschränkungen, eine grobe Datierung und Kontextualisierung ermöglicht wird.

Die Betrachtungen schließen mit einem Exkurs zu einem speziellen Waffen- bzw. Werkzeugtyp, der in der Literatur unterschiedlich als Dolch oder Messer besprochen wurde. Es handelt sich hierbei um Objekte mit leicht fächerförmigen Knaufenden, deren Griff ohne ausgearbeitetes Heft in eine leicht konvex ausladende Klinge übergeht. Stücke dieser Art sind vor allem aus Buntmetall aus dem Ägypten des Neuen Reiches sowie der Levante aus Gräbern der Late-Bronze-Age Phase II (1400-1300 v. Chr.) belegt. Zweischneidig angelegt, sind die Objekte zudem sehr massiv, als dass sie als reine Stichwaffen fungiert haben werden. Die Autorin verweist diesen Typ daher in die Kategorie Kleinstwerkzeug bzw. Schlachtmesser (S. 269).
In Kapitel 6 findet der Leser die wichtigsten Thesen der Arbeit erneut und komprimiert zusammengefasst.
Es folgen mehrere Anhänge: Listen der belegten Waffenkombinationen (Anhang 7) und diverse Verzeichnisse (Tabellen und Beleglisten, Fundorte, Museen und Sammlungen, Personennamen und dem Literaturverzeichnis), die es so erlauben schnell auf die gesuchten Informationen zuzugreifen.
Der Band wird durch den Katalog abgeschlossen, der, nach Dolchtypen geordnet, alle in der Arbeit besprochenen Objekte nochmals in extenso aufführt. Hierzu gehört eine kurze tabellarische Vorstellung der wichtigsten Informationen zu den einzelnen Objekten. Neben dem Verbleib und Fundkontext werden technische Aspekte, sowie morphologische Details, die Maße, Datierung und weiterführende bibliographische Angaben vorgelegt. Der Katalogseite sind jeweils Zeichnungen – die meisten stammen von der Autorin selbst – gegenüber gestellt. Es gilt hervorzuheben, dass auch hier erstmals sehr gute Zeichnungen, vor allem auch die technischen und konservatorischen Einzelheiten zeigende Abbildungen, zu den jeweiligen Objekten vorgelegt werden, die von großem Wert sind. Soweit vorhanden werden an dieser Stelle auch die teils extra für diese Studie angefertigten Röntgenaufnahmen abgebildet. Bedauerlicherweise war es im Rahmen der Dissertation nicht möglich alle bisher belegten Dolche zu röntgen. Ebenso war es leider nicht möglich für alle vorgelegten Objekte eine Materialanalyse vorzunehmen. Doch dies sind somit Aspekte, die sukzessive von den betreffenden Sammlungen in Zukunft angegangen werden können.

Zusammenfassend kann nicht genug betont werden, wie wichtig es gerade für eine Kulturwissenschaft wie die Ägyptologie ist, dass nicht nur die sozio-kulturellen Aspekte des alten Ägypten betrachtet, sondern vor allem zunächst Materialarbeiten vorgelegt werden, die die Basis jedweder Weiterbeschäftigung mit dieser alten Hochkultur darstellen.
An dieser Stelle ist die Autorin zu Ihrem wunderbaren Band zu beglückwünschen. Nicht nur, dass sie erstmals für die Ägyptologie eine umfangreiche typologische Studie zur Materialgattung „Dolch“ vorlegt, es ist vor allem auch die Transparenz mit der sie ihre Methodik offenlegt und die umfassende Bearbeitung über die Einbeziehung vor allem auch außerägyptischer Aspekte, die diese Arbeit sehr wertvoll machen.

25.10.2011
Robert Kuhn
Susanne Petschel . Den Dolch betreffend. Typologie der Stichwaffen in Ägypten von der prädynastischen Zeit bis zur 3. Zwischenzeit. Philippika 36 . 543 S. 400 Abb. 36 Tab. Gb. Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2011. EUR 168,00 CHF 284,00
ISBN 978-3-447-06180-3   [Harrassowitz Verlag]
 
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