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Das deutsche Denkmal und der Nationalgedanke im 19. Jahrhundert

Diese Studie erinnert daran, dass die Jahre 1968 und 1989/90, Fixpunkte deutscher Nachkriegsgeschichte, immer auch Anlass für einen Rückblick auf die Nation und ihre Denkmäler im 19. Jahrhundert gewesen sind. Basierend auf den wegweisenden Arbeiten zu Staat, Nation und Denkmal von Nipperdey (1968) und Alings (1996, 2000), stehen hier zwischen 1813 und 1913 errichtete repräsentative Nationaldenkmäler im Fokus: Völkerschlacht-, Kreuzberg-, Hermanns- und Niederwalddenkmal, Berliner Siegessäule, Bismarck- und Kaiser- Wilhelm-Denkmäler. Dass deren architektonische Konzeption samt Änderungen auf der
historischen Folie des Wandels von bürgerlich-freiheitlichem (1813, 1848) zu monarchistisch-obrigkeitsstaatlichem Staatsverständnis (1871,1914) aufgezeigt wird, ist nicht neu. Neu jedoch scheint das Ergebnis: die Nicht-Existenz eines deutschen Nationaldenkmals zwischen 1813 und 1914.
Die Überraschung ob dieses Befundes reduziert sich angesichts der zahlreichen historischen und architektonischen Belege für die Ausgangsthese dieser Arbeit: der vor 1871 nicht und danach nur formell-äußerlich nicht aber auch „innerlich geeinte(n) Nation“ (Spohn) bot sich eben deshalb nur ein divergierend-changierendes historisch-politisches Identifikationspotential. Das sich, anders als in Westminster oder dem Arc de Triomphe, nicht in einem einzigen, sondern im stilistischen Pluralismus einer Pluralität von Nationaldenkmälern artikulierte, artikulieren musste. Der detaillierte Nachweis der Fortexistenz (dreier) unterschiedlicher politischer Vorstellungen in der Architektur der Nationaldenkmäler auch nach der Reichseinigung 1871 ist das herausragende Ergebnis dieser Studie: der zeittypisch-konsensuale übersteigerte Nationalismus, repräsentiert in der architektonischen Megalomanie der Kaiser-Wilhelm-Denkmäler (1890-1913, Kaiser-Wilhelm-Denkmal Berlin 1894-97) und der, weil ideell-politisch jenseits monarchistischer aber auch demokratischer Vorstellungen angesiedelt, architektonische Gegenpol der vergleichsweise bescheideneren Bismarck-Denkmäler (1890–1913). Und schließlich das Leipziger Völkerschlachtdenkmal (1898-1913), voluminöse historische Klammer zum Jahr 1813, Manifest der Erinnerung an die nicht realisierten Ziele der auch als Freiheitskriege verstandenen Befreiungskriege und nun, das ikonographische Programm zeigt es, pessimistischer Abgesang auf die auch so verstandene Zeit.
Vor diesem Hintergrund ist die hier behauptete, nicht aber belegte Suche nach einem nationalen Stil im Nationaldenkmal ein marginaler Kritikpunkt. Ob jedoch auch die nur in einem kurz-aktuellen Forschungsüberblick zusammengefasste, nicht aber punktuell dem jeweiligen Denkmal zugeordnete Denkmalkritik des 19. Jahrhunderts das Analyseergebnis bestätigt hätte, wird nicht thematisiert. Damit liefert der Autor den einzig wesentlichen Kritikpunkt an dieser detailliert-facettenreichen, stringenten und luziden Studie, in der sich souveräne Kenntnis der Forschungsliteratur mit gedanklich und sprachlich präzise-zielstrebig artikulierter Neugier auf wissenschaftliches Neuland verbinden.
Die Schwierigkeiten der seit 1990 freiheitlich-demokratisch verfassten Nation mit ihrer Artikulation im nationalen Denkmal scheinen 2012 noch immer nicht nur Vergangenheit. Das zeigen Diskussion und besonders die architektonische Realisierung jenes Freiheits- und Einheitsdenkmals, vulgo „Einheitswippe“, das bis 2014/15 auf dem Sockel des 1950 zerstörten Berliner Kaiser-Wilhelm-Denkmals errichtet werden soll.

21.05.2012
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Spohr, Stephan. Das deutsche Denkmal und der Nationalgedanke im 19. Jahrhundert. Reihe Hrsg.: Tavernier, Ludwig. 207 S. 82 Abb. s/w. 20,5 x 14,7 cm. Pb. VDG Weimar, 2010. EUR 24,80
ISBN 978-3-89739-702-6
 
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