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Wilhelm von Erdmannsdorff

In der Reihe der "Kataloge und Schriften der Kulturstiftung Dessau-Wörlitz" ist mit dem zwölften Band Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorffs "kunsthistorisches Journal einer fürstlichen Bildungsreise nach Italien 1765/66" erschienen. Nach der französischen Handschrift übersetzt, führt Ralf-Torsten Speler als ausgewiesener Kenner der Vita Erdmannsdorfs den Leser zugleich in die Kunst des Frühklassizismus und den Dessau-Wörlitzer Kulturkreises sowie die Kunst-Szene in Rom ein. Erdmannsdorff war Berater und Freund des fast gleichaltrigen Leopold Friedrich Franz, dem späteren Herzog von Anhalt-Dessau. Er begleitete ihn auf mehreren Reisen, wurde als Hofarchitekt zum Begründer der klassizistischen Baukunst in Deutschland und gilt als die treibende Kraft der Dessau-Wörlitzer Kultur der Aufklärung.
Seine Handschrift über die Italienreise in den Jahren 1765 und 1766 hat bislang nicht die Aufmerksamkeit und Erschließung erfahren, die ihr gebürt, scheiterte doch die Spelersche Edition nochmals 1986 am Papiermangel der ehemaligen DDR. Nun aber ist das programmatische Reisejournal in originalgetreuer Wiedergabe übersetzt' worden.
Die Reise führt über Trient, Verona, Vicenza, Venedig, Ravenna, Rimini, Spoleto, nach Rom, von wo aus man auch das Umland erkundete. Aber auch in Capua, Caserta, Neapel, Paestum, Pompeji, Herculaneum sogar in Benevent traf man die Reisegesellschaft an. Aber über die Hälfte des Tagebuches entstand in Rom und der Umgebung, insbesondere unter dem Eindruck der Wiederentdeckung der Antike und unter dem römischen Einfluß Winckelmanns. Dessen strenge Kunstauffassung teilte Erdmannsdorff insofern nicht, als er durch seine Englandreise 1763/64 geschult, besondere Beachtung etwa auch den palladianischen Villen bei Vicenza und an der Brenta schenkte. Ausführlich sind interessanterweise nicht seine Architekturbeschreibungen, sondern eher die der Bildhauerei und Malerei. Obwohl sich in seinen Ausführungen kaum kunsttheoretische Äußerungen oder Wertungen finden, schimmern durch seine Formulierungen dennoch die ihn prägenden Eindrücke, die er in Dessau-Wörlitz in Architektur und Landschaftsgestaltung umsetzen würde.
Begleitet wird das Journal von einer Einführung auf 80 und von Anmerkungen auf fast 100 Seiten, die ebenso lesenswert wie aufschlußreich sind. Denn Speler hat dort Kenntnisse einfließen lassen, die er sich durch langjähriger Forschung in weiteren archivalischen Beständen, u.a. etwa im Tagebuch des Reisebegleiters Georg Heinrich von Berenhorst, angeeignet hat. So findet der Leser hier nicht nur Erläuterungen zu Gebäuden und Ereignissen in Rom. Auch Erdmannsdorffs wissenschaftliche Studien, sein besonderes Interesse an Vitruv und dessen kunsttheoretischen Schriften werden hier behandelt. Auch die Gruppe der Reisebegleiter, die vorort angetroffenen Personen, wie den Kunstagenten Thomas Jenkins, den britischen Gesandten in Neapel Sir William Hamilton oder die internationale Künstlerszene in Rom werden hier vorgestellt.
Über die Reise hinaus richtet sich Spelers Blick vornehmlich auf deren Bedeutung für den Dessau-Wörlitzer Kulturkreis und die Landeserneuerung unter Leopold III. Friedrich Franz Fürst von Anhalt-Dessau. So nahm die Reisegesellschaft Kontakte zu europäischen Repräsentanten verschiedener Wissenschaftszweige auf. Wiederholt wird von Speler der bei vier Englandreisen zwischen 1763 und 1785 kennengelernte Neopalladianismus, die konstitutionelle Staatsform und der Lebensstil der Engländer angesprochen. Unter den fürstlichen Reisebegleitern in England befindet sich etwa 1775 auch der Ökonom Georg Karl von Raumer, der in der Folge landwirtschaftliche Reformen in Anhalt-Dessau nach englischem Vorbild durchführt.
Über das Buch verteilt, findet der Leser Abbildungen von zeitgenössischen Zeichnungen und Graphiken, vornehmlich Architekturen und Landschaftsmalereien. Porträts berühmter Persönlichkeiten der römischen Kunstszene und eigenhändige Zeichnungen Erdmannsdorff, die im Zusammenhang mit der Reise stehen, illustrieren den Band. Letztere sind besonders für die Rezeptionsgeschichte der Bauten in Dessau und Wörlitz von Bedeutung. So entsteht in diesem Band ein dicht gewobenes Bild einer epochalen Situation, in der sich eine besondere menschliche Gemeinschaft zusammenfand. Ihre idealistische Neugierde und ihr umfassendes Interesse an verschiedenen Wissenschaftszweigen sowie ihre Fähigkeit, dieses Wissen sinnvoll zu verknüpfen, führt diese Menschen konsequent und kontinuierlich zur Realisierung ihrer Ideen, zur Umsetzung in eine Kulturlandschaft und den Dessau-Wörlitzer Kulturkreis.


Annegret Winter
Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff. Kunsthistorisches Journal einer fürstlichen Bildungsreise nach Italien 1765/66. Hrsg. v. Speler, Ralf T. 2000. 568 S., 160 Abb., dav. 30 fb., 24 cm. (Kat. u. Schriften d. Kulturstif. Dessau-Wörlitz 12) HC, DM 68,-, ISBN
ISBN 3-422-06275-0
 
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