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Giovanni Battista Piranesi. Die Wahrnehmung von Raum und Zeit

Gedruckt mit Unterstützung der Thyssen Stiftung Köln erschienen jetzt die Akten des internationalen Symposiums "Giovanni Battista Piranesi. Die Wahrnehmung von Raum und Zeit", das schon 1999 in der Staatsgalerie Stuttgart zeitgleich zur Ausstellung "Giovanni Battista Piranesi - Die poetische Wahrheit" stattgefunden hat. Sieben Autoren kreisen das Thema in Essays, zwei davon in englischer Sprache, in wissenschaftlichem Sprachduktus ein. Allerdings steht bei manch einem der Autoren das Thema "Raum und Zeit" als Moment der Betrachtung nicht so zentral, wie dies der Titel des Buches verspricht.
Insbesondere die Mitherausgeberin Corinna Höper geht gleich eingangs auf den Raum- und Zeitbegriff ein und bezieht hierzu die von der Forschung bislang eher vernachlässigten Textlegenden der Radierungen mit ein. Piranesi bricht durch überdimensionierte Buchstaben, durch Initialen als bauliche Bestandteile von Veduten oder durch Figürchen, die sich auf verschiedenen Bildebenen bewegen, die Grenzen zwischen seinen verschiedenen Talenten bzw. Berufungen, zwischen bildender Kunst und Wissenschaft, Literatur und Satire auf. So sind Texte von poetischem Wert oder polemische Angriffe gegen seine Kritiker zugleich untrennbar verbunden mit der ästhetischen Aussage. Besonders die bildnerischen Mittel brechen aber auch die Eindeutigkeit der zeitlichen und räumlichen Dimension auf, etwa wenn eine Textzeile Piranesis als ruinöser Sockel erscheint, ein Figürchen vor den Bildrahmen gestellt wird oder sich Räume im Unermesslichen verlieren.
Dem Thema des Architekturcapriccio widmen sich Sabine Poeschel und Jörg Garms. Während Garms durch Vergleiche mit dem Capriccio vor und nach Piranesi bei ihm eine Sonderform konstatiert, hinterfragt Poeschel die Tradition des Capriccios in den Städten Venedig und Rom. Piranesi, in Venedig aufgewachsen, kannte die Werke Canalettos und die in Venedig gepflegte scherzi di fantasia. Durch die Tradition der invenzione, also der Abweichung von der Wirklichkeit, geprägt und durch sein fundiertes Wissen über die römische Architektur und die antiken Ruinenmonumente gelangte Piranesi zu seiner besonderen und neuartigen Architekturdarstellung. Mit topografischen Veränderungen und Korrekturen an den Bauwerken akzentuiert er bestimmte Teile der Wirklichkeit, steigert diese zu grandioser Monumentalität.
Auf Piranesis Neuinterpratation des Raumes, insbesondere der Fläche geht auch Andrew Robinson ein. Er konstatiert anhand der späteren Architekturcapriccios Piranesis eine Raumreduzierung zugunsten einer besonderen Flächigkeit. Dieses künstlerische Wollen kann er anhand von Selbstzitaten, anderen venezianischen Quellen und anhand von Vorlagebüchern belegen. Von drei weiteren Autoren wird dagegen der Einfluß analysiert, den Piranesi über seine sehr verbreiteten Druckwerke auf die europäische Architekturgeschichte nahm. So macht John Wilton-Ely u.a. bei Robert Adam und in den Architekturvisionen von Ledoux und Boullée eine intensive Beschäftigung mit Piranesi aus. Ein bislang unveröffentlichtes und nicht ausgeführtes Projekt für einen Pavillon, den der ehemalige französische Stipendiat in Rom Charles De Wailly für Katharina die Große entwarf, präsentiert Hans-Christoph Dittscheid und hebt auf die für Wailly so bezeichnende Vielfalt der stilistischen Bezüge ab. Dagegen beschäftigt sich Klaus Jan Philipp mit einem zentralen Thema der Architekturtheorie der 2.Hälfte des 18. Jahrhunderts, der "Affinität und Austauschbarkeit von Architektur und Natur", streift dabei Piranesi aber eigentlich nur am Rande.
Piranesi wird in diesen Vorträge bzw. Essays präsentiert als Architekt und Archäologe, als Wissenschaftler und Literat, der Bilder von Architektur benutzte, um seine vielfältige Begabung und seine wissenschaftlichen Überzeugungen zu vertreten.
Annegret Winter
Giovanni Battista Piranesi - Die Wahrnehmung von Raum und Zeit. Akten des internationalen Symposiums Staatsgalerie Stuttgart 1999. Hrsg. Höper, Corinna /Stoschek, Jeanette /Kieven, Elisabeth. 2002. 128 S., Abb., 24 cm. Gb EUR[D] 20,-
ISBN 3-89445-301-X
 
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