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Jesus von Nazareth

Mit zahlreichen Illustrationen und Anmerkungen versehen, vermitteln schon Aufmachung und Organisation dieses Buches den Eindruck gediegener Information. Umso mehr, als das eigentlicheThema, die Behandlung Jesu, innerhalb eines weitgespannten Rahmen behandelt wird, womit der Autor seine Gelehrsamkeit eindrucksvoll unter Beweis stellt. Historisch geschieht dies im relativ umfangreichen Teil I (S. 1-132): Das Milieu. Teil II behandelt Geburt, Kindheit und Berufung Jesu (S. 133-179). In Teil III stellt der Autor seine Sicht der Person Jesu unter dem Titel "Der prophetische Lehrer" vor (S. 181-270). Theologisch führt er den Leser im Teil IV (S. 271-292) weiter: "Jesu Selbst- und Gottesverständnis". Teil V gilt der Leidensgeschichte: "Jerusalem - Jesu letzte Tage" (S. 293-338), und Teil VI behandelt, von den historischen Betrachtungen in vorsichtiger Fomulierung abgesetzt, "Die Kunde von der Auferstehung (S. 339-353). Teil VII enthält eine Zusammenfassung der " historischen Fakten des Lebens Jesu" (S. 355-357), an der Wege und Ergebnisse des Autors und sein Verständnis von Geschichte deutlich werden. In kurzer Form wiedergegeben etwa wie folgt: "Dieses Buch versuchte zu zeigen, dass wir vom Leben Jesu mehr wissen, als man allgemein für möglich hält." Und das Johannesevangelium "erweist sich in vielen Punkten als eine historisch zuverlässige Quelle." Geboren wurde Jesus demnach im Frühjahr 4 v. Chr. in Nazareth, genoss eine ausgezeichnete Schulbildung, lebte dort bis zum 32. Lebensjahr gesetzesfromm in seiner Familie, nahm an den Wallfahrten nach Jerusalem teil und erlernte und praktizierte das Bauhandwerk seines "juristischen Vaters" Josef. Vor dem Passahfest 28 n. Chr. ging er zu Johannes dem Täufer, der sich beim transjordanischen Bethanien aufhielt, und verstand seine Taufe als Berufung zum "prophetischen Lehrer", der seine ersten Jünger aus dem Täuferkreis anwarb. Es folgten etwa 2 Jahre öffentlicher Tätigkeit und Verkündigung der Königsherrschaft Gottes, begleitet von Krankenheilungen, Dämonenaustreibungen und Totenerweckungen. Er achtete "das jüdische Ritualgesetz", aber nicht "die pharisäische Auslegung der Torah". Wegen seiner Provokation des Hohenpriesters geriet er durch "eine gewisse Clique der Tempelhierarchie" in Gefahr. So feierte er mit den 12 Jüngern sein letztes Passahfest, "bei dem er seine realsymbolische Vergegenwärtigung in Brot und Wein den Jüngern als sein Andenken hinterließ." Der Verrat des Judas ermöglichte seine "heimliche Verhaftung" kurz nach Mitternacht des 14./15. Nisan. Im Verhör vor dem Hohenpriester Kaiphas bestätigte Jesus die Messiasfrage positiv (!), mit der Folge: "das schon vorher beschlossene Todesurteil wurde formal ausgesprochen. Da die jüdischen Behörden kein Todesurteil vollstrecken durften, musste der römische Präfekt kontaktiert werden." Vor Pilatus erhob man gegen Jesu eine politische Messiasanklage und erpresste ein Todesurteil. "Etwa zwischen 13 und 14 Uhr, am Freitag, 14./15. Nisan starb Jesus". Der Sanhedrin (richtig: das Synhedrion), "den Kaiphas schnell und geschickt ausgetrickst hatte, war in das Verfahren um Jesus überhaupt nicht involviert. Zwei Mitglieder des Sanhedrin, Arimathäa und Nikodemus, übernahmen den letzten Liebesdienst für Jesus". Was nach dem Begräbnis geschah, wird so beschrieben: "Als historisch einzig vertretbare Ansicht bleibt, daß die Erscheinungen Jesu seine Jüngerinnen und Jünger veranlassten, von seiner Auferstehung zu sprechen". Es folgen S. 360-371 ein Literaturverzeichnis, S. 372 Abbildungsnachweise, S. 373 das arabische (!) und hebräische Alphabet mit Umschrift, S. 374-375 Tabellen (Würdenträger und die Genealogie der Hasmonäer und Herodianer), und S. 376-382 ein Namenregister.
Der Leser ist nach der Lektüre gewiß überzeugt, viel zu wissen. Wie eine genauere Lektüre zeigt, allerdings zuviel, denn einiges, was da als ganz sichere Information präsentiert wird, ist so zuverlässig nicht. Manchmal scheint der theologische Wunsch der Vater der angeblichen "Tatsachen" gewesen zu sein. Schon im Vorwort wird als "unumstößliche" Tatsache erwähnt, ein griechisches Handschriftenfragment aus Qumran (7Q5) enthalte einen Text aus dem Markusevangelium, dessen Niederschrift daher "nur wenige Jahre nach dem Tod Jesu anzusiedeln ist". Später (S. 110ff.) wird dies eingehender dargestellt. 7Q5 enthält in Wirklichkeit aber keinen Markustext, sondern nur 17 teils lesbare und teils weniger und gar nicht lesbare Buchstaben, die man mit einem " verkürzten! - Text von Mk 6,52-53 zu identifizieren versucht hat. Die bisher gebotenen Alternativ-Vorschläge sind mindestens so passend und in einem Fall (mit einer Passage des griechischen Henochbuches) gelingt die Identifizierung, wie 1988 G. W. Nebe gezeigt hat und seither mehrmals (1996 und 1997 durch É. Puech, 1997 durch E. A. Muro, 1999 durch St. Ernste) bestätigt wurde, sogar glatter, doch darüber erfährt der Leser leider nichts. Was immer man vom Fragment auch halten mag, es enthält keinen "Text", zur Debatte stehen in jedem Fall nur hypothetische Rekonstruktionen, die auf den aus der damals vorhandenen Literatur erhalten gebliebenen Vergleichsmöglichkeiten fußt und daher niemals als "sicher" gelten können, wie erst 1999 Th. J. Kraus wieder betont hat. Von einer solch hypothetischen Basis aus Schlussfolgerungen für das ganze Markusevangelium zu ziehen, ist allzu gewagt. Selbst wenn die Rekonstruktion zuträfe, wäre nur die Passage Mk 6,52-53 und indirekt die sie enthaltende kleinste literarische Erzählungseinheit, keineswegs aber das Evangelium als Ganzes belegt. Und da im Fragment der Name Jesu nicht auftaucht, muß auch die Möglichkeit bedacht werden, daß hinter Mk 6,45-56 eine ältere Wundergeschichte (Wunderlegende) steht, die auf Jesus übertragen worden ist. Und dazu kommen noch die üblichen Unsicherheiten der paläographischen Datierung solch kleiner Handschriftenreste. Umso mehr verwundert, daß S. 113 weitere, noch kleinere Fragmente (7Q6, 7Q7 und 7Q15) als Belege für das Markusevangelium benannt werden. Das mag man glauben, wissen kann das niemand, und ob solche Behauptungen einem Gläubigen oder Ungläubigen irgendwie nützen können, ist höchst zweifelhaft.
Das Bemühen, allzu viel als gesichertes Wissen hinzustellen, verführt zu vorschnellen und auch klischeehaften Feststellungen. Einem gängigen Klischee folgend heißt es gleich S. 1: "Der seleukidische König Antiochus IV. ... versuchte, die Juden mit brutaler Gewalt dem hellenistischen Zeitgeist anzupassen und verbot schließlich sogar die Gottesverehrung." Das entspricht der hasmonäischen Propaganda (v.a. im 2. Makkabäerbuch), aber kaum dem tatsächlichen Ablauf der Ereignisse, in dem interne Auseinandersetzungen schon vor 175 v.Chr. und auch weiterhin die entscheidende Rolle gespielt haben. Der Hohepriester wird S. 13 zu einer fast päpstlichen Autorität stilisiert, seine politische Macht und religiösen Kompetenzen werden weit übertrieben, und das Synhedrion dieser Periode wird mit dem Sanhedrin der Zeit des 2.-5. Jh. n. Chr. verquickt.
Zu undifferenziert ist S. 55ff. auch von den "Heiligen Schriften" die Rede. Der im Judentum wichtige Unterschied zwischen Torah und Pentateuch, Pentateuch und Propheten und "anderen Schriften" wird nicht deutlich. Es wird suggeriert, daß "die Bibel" (ein christlicher Begriff) bereits da war. Zwar heißt es einschränkend (vgl. auch S. 75f.): "die eigentliche Kanonisierung fand natürlich erst in Jamnia zwischen 70 und 135 n. Chr. statt", aber gerade das trifft nicht zu. Abgesehen davon, daß der christliche Begriff der Kanonisierung fehl am Platz ist, hat in Jamnia etwas Derartiges nie stattgefunden. Und Sir 48,22 - 49,12 spricht nicht von der "Heiligen Schrift" (ebenfalls ein christlicher Ausdruck). Ein weiteres Klischee in Bezug auf die "Bibel" begegnet S. 55, wo der Verfasser den Psalter das "Gebet- und Singbuch des zweiten Tempels" nennt. Gerade darauf gibt es nicht den geringsten Hinweis.
Nicht zu belegen ist auch die Behauptung S. 57f., Neh 8-9 enthalte "den ältesten Hinweis für das Werden der synagogalen Liturgie, wo die Thora vor dem versammelten Volk durch Esra verlesen wird." Im Text handelt es sich aber nicht um einen Synagogengottesdienst und nicht um eine liturgische Lesung. Doch trifft zu, daß die spätere synagogale Liturgie einzelne Elemente aus Neh 9 aufgegriffen und verwertet hat. Kulturgeschichtlich gesehen weit übertrieben sind auch S. 60-61 die Angaben zur allgemeinen Bildung und Literalität unter den Juden allgemein.
Laut S. 75 haben die Pharisäer "zwischen der schriftlichen Thora (Pentateuch) und der mündlichen Thora" unterschieden, aber das gilt erst für die späteren Rabbinen, die Pharisäer sprachen nur von verbindlichen Sitten und Bräuchen der Väter.
Die historischen, also politischen und sozialen Bedingungen und Umstände kommen insgesamt nicht gleichmäßig zur Geltung, manche Details werden mehr oder minder schematisch nach den üblichen Schultraditionen dargestellt.
Ausführlich und gut illustriert wird der Leser S. 37ff. über den Tempel und die Tempelstadt sowie über die damit verbundene Religionspraxis informiert, nur die Rekonstruktion auf S. 303 ist für die Südostecke unzutreffend, denn da gab es keinen Aufgang, höchstens als Plan für den Fall der Erneuerung der Ostmauer. Auch der Tempelplan der Tempelrolle (S. 92) kann so nicht stimmen, denn der Außenhof müßte in seiner Tiefe vom Mittelhof aus 600 Ellen betragen, mehr als die 500 Ellen des Mittleren Hofes.
S. 67ff. ("Für und wider den Tempel") werden die Religionsparteien ziemlich schematisch nach einer inzwischen veralteten Publikation beschrieben. Das gilt vor allem für die Essener und Chasidim S. 79, und dabei wird dem Leser wieder eine Hypothese als Tatsache präsentiert, nämlich ein Essenerviertel in Jerusalem. Die Angabe, man habe an Qumrantexten "zahlreiche" C-14-Tests durchgeführt, trifft nicht zu, es erfolgten seit dem genannten Test im Jahr 1973 zwar noch einige Untersuchungen, aber immer noch anerkanntermaßen zu wenige. Einem unausrottbaren Klischee folgt der Autor S. 94, wenn er von "zwei Messiasen" der Qumrangemeinde schreibt, oder wenn er S. 95 den angeblichen"Gottessohntext" 4Q246 (mit dem als anmaßend angeführten Titel "Sohn Gottes" für einen hellenistischen König und seinen Sohn) "messianisch" deutet, nach einer Fehlinterpretation, die durch eine irreführende Teilpublikation entstanden war und sich seither hartnäckig hält.

Sieht man von solchen gelegentlichen Übertreibungen des Faktischen ab, profitiert der Leser jedoch durchgehend vom weiten orientalistischen Horizont des Autors. Etwa S. 150ff. im Kapitel über Geburt, Kindheit und Berufung Jesu, wo insbesondere viel ägyptisches Vergleichsmaterial herangezogen wird, werden für mancherlei Vorstellungen alte Voraussetzungen deutlich gemacht. Aber auch in zeitlich umgekehrte Richtung wird der Blick gelenkt, weil wiederholt auf islamische Überlieferungen Bezug genommen wird. Überhaupt ist anzumerken, dass die Einbettung des Themas in einen weiten religions- und kulturgeschichtlichen Kontext das Besondere dieses Jesusbuches ausmacht. Und wenn man auch in Bezug auf Jesus selbst manches nicht so genau wissen kann, wie es hier präsentiert wird, wird der Leser nach der Lektüre bestimmt beträchtlich mehr wissen und besser verstehen als zuvor.
Johann Maier, Weilheim
Jaros, Karl: Jesus von Nazareth. Geschichte und Deutung. 2000. 381 S., 82 s/w. Abb, , 2 Tab., 13 fb. Abb., Ln. (Kulturgesch. d. Antiken Welt 76) Ln HC; DM 68,-
ISBN 3-8053-2595-9
 
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