KunstbuchAnzeiger - Kunst, Architektur, Fotografie, Design Anzeige Verlag Langewiesche Königstein | Blaue Bücher
[Home] [Epochen] [Rezensionen] [Druckansicht]
Themen
Recherche
Service

[zurück]

Wilhelm von Humboldt in Tegel

Fontane unterschied die märkischen Herrenhäuser nach zwei Kategorien: "feste Burgen altlutherischer Konfession" und Schlösser, in denen "Straffe Kirchlichkeit und laxe Freigeisterei" sich immer wieder abgelöst haben. Ein einziges Herrenhaus nahm er hiervon aus: Tegel. Hier sah er "jenen Geist, der, gleich weit von Orthodoxie wie von Frivolität, sich inmitten der klassischen Antike langsam aber sicher auszubilden pflegt (...)" .
Christine und Ulrich von Heinz, Hausherr und Hausherrin und zugleich Nachkommen Wilhelm von Humboldts, haben diesen "genius loci" des Humboldt-Schlosses, ein Konglomerat aus Antikensehnsucht, Rom-Erlebnis, hoher Wissenschaftlichkeit und politischer Brillanz, den Nukleus preussischer Bildungspolitik und öffentlicher Sammlertätigkeit in einem ebenso schönen wie instruktiven Buch komprimiert. Dabei folgen sie einem imaginären Rundgang durch das Haus von Schinkels Atrium über das Arbeitszimmer, die Wohnräume, bis in den Antikensaal und die Kabinette. Wir erfahren, dass die drei das Haus bestimmenden Grundmotive Vergänglichkeit, Lieben und Kunst durch programmatische Kunstwerke bereits im Atrium anklingen, aber auch, dass Humboldt alle Kraft des Menschen von seiner Sinnlichkeit ausgehend empfand, worauf die Aufstellung von Venus und den Charitinnen im Arbeitszimmer verweist. Wir erfahren auch, dass Humboldt als preußischer Kulturminister im "Alten Museum" in Berlin ausschließlich Marmororiginale aufgestellt wissen wollte, für sich selber aber auf die berühmte "Juno" des Fürsten Piombo verzichtete und stattdessen Gipsabgüsse erbat. Die Darstellung des Menschen in seinen unterschiedlichen Bindungen ist Aufgabe des Gesamtkunstwerks Tegel. So sind alle Räume mit Blick auf die Familiengrabstätte dem Thema der Endlichkeit gwidmet. Die Ausstattung von Arbeitszimmer und Antikensaal entspricht der Zuordnung von Kunstwerken, die der Betrachtung und der Erforschung dienen und bedürfen. Idealtypisches wird im Antikensaal, Individuelles in den Wohnräumen aufgestellt. Wilhelm von Humboldt war ein Mann des Maßes in Sprache und Politik, und so verwundert es denn auch nicht, dass er nicht dem zeitgemäßen englischen Gartenideal huldigte, sondern den väterlichen formalen Garten bestehen ließ. Caroline von Humboldt, die Gönnerin vieler Künstler, kritisierte aber die praktische Seite dieser Idealkonzeption: "Eine sehr schöne helle Küche hat das Haus bekommen, allein eine miserable Speisekammer (...) und ich bat und flehte um einen Trockenboden - in unserem Klima eine unerläßliche Sache - allein vergebens. Wir haben dafür ein plattes Zinkdach."
Jörg Deuter
Heinz, Christine von /Heinz, Ulrich von: Wilhelm von Humboldt in Tegel. Ein Bildprogramm als Bildungsprogramm. 09/2001. 72 S., 24 Abb. - 22 x 24 cm. Ln DM 39,80
ISBN 3-422-06353-6
 
© 2003 Verlag Langewiesche [Impressum] [Nutzungsbedingungen]