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Gebrannte Größe. Wege zur Backsteingotik

Backstein ist eines der faszinierendsten Materialien der Architekturgeschichte. Es wird aus Lehm hergestellt, der nahezu überall vorhanden ist. Der Lehm wird zunächst mit Wasser zu einem Brei verarbeitet, dann in Holzformen hineingedrückt und an der Oberseite mit einem Holzscheit glattgestrichen. Man spricht hier von "handgestrichenen Ziegeln", ihre Ansichtsseite erscheint strukturiert, ja geradezu reliefhaft. Anschließend werden die Holzformen, die zuvor mit Sand gegen das Ankleben des Lehms eingepudert worden sind, herausgehoben und die so genannten "Grünlinge" mehrere Wochen lang getrocknet. Im Gegensatz zu heißen und regenarmen Regionen muss in Europa der Rohling gebrannt werden, dies geschah am Anfang in offenen, ab dem 14. Jahrhundert in gemauerten Öfen. Zur Verschönerung glasierte man die gebrannten Backsteine, bereits im 13. Jahrhundert erhielt ihre Schauseite eine Schlämme aus metallhaltigen Erden und Salz, sie wurden dann nochmals kurz, aber bei hoher Temperatur gebrannt. Backstein wurde damit zum ersten serienmäßig und in großer Menge vorfabrizierten Baumaterial überhaupt.
Das Erscheinungsbild eines aus Backstein errichteten Gebäudes ist unvergleichlich schön, besonders eindrucksvoll ist dabei die Wirkung im Licht, etwa in der Abendsonne, wenn der Stein zu glühen scheint. Überall, wo Lehm in guter Qualität, das heißt mit einem adäquaten Tonanteil vorhanden war, entstanden Backsteinarchitekturen, die Gebäude der Gotik in Nordeuropa nannte Georg Dehio (1850-1932) dabei einmal "eine Kunst voll Mark, Saft und Eigenwillen".
Viele Kunsthistoriker haben sich mit dieser so genannten Backsteingotik beschäftigt, immer noch lesenswert sind die Studien des ehemals an der Universität Greifswald lehrenden Nikolaus Zaske oder die leider nicht mehr im Buchhandel erhältliche "Mittelalterliche Backsteinarchitektur Norddeutschlands" von Hans Josef Böker (Darmstadt 1988). Doch jetzt gibt es ja einen fünfbändigen Katalog, der in der Reihe "Monumente" der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Bonn erschienen ist. Er begleitete eine Ausstellung, die 2002 mit großem Erfolg in den norddeutschen Städten Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald gezeigt worden ist. Glücklicherweise erreichen die Einzelbände nicht das übliche Format eines Backsteins von 28 cm Länge, 13,5 cm Breite und 9 cm Höhe - vielmehr sind sie handlich klein und dabei doch reich an Wissen. Sie informieren darüber, wie eine Backsteinkirche, hier die tragischerweise 1960 bis auf den Turm abgebrochene Marienkirche in Wismar, errichtet worden ist und welchen Schmuck sie erhielt. Anschaulich und klug untersucht Michael Lissok, wie das fertig gebrannte Material - Hausteinen gleich - skulptural bearbeitet wurde, darüber hinaus die Gebäude aber auch mit dekorierten Steinen überzogen werden konnten, die bereits vor dem Brennen ihre Form erhalten hatten. Auch der Einsatz verschiedenfarbig glasierter Steine war möglich. Wie sich Backsteinarchitekturen damit von aus Haustein errichteten Gebäuden unterscheiden, gehört zu einem der spannendsten Kapitel der Architekturgeschichte.
Die anderen Bände informieren über Handel und Kaufleute sowie über Geist und Religion im Mittelalter. Gleichsam im Vorübergehen wird dabei die jeweilige Geschichte der Stadt vorgestellt und auf ihre herausragenden Gebäude aufmerksam gemacht - und das sind beileibe nicht immer nur Kirchenbauten. Aber auch die Ausstattung der Kirchen mit Altarretabeln, Triumphkreuzen, Glas- und Wandmalereien, Taufbecken, Glocken und Uhren kommt nicht zu kurz, ja sogar Gärten, die Buchmalerei, zudem Schiffe und Piraten finden ausführlich Erwähnung. Alles in allem erwirbt man mit diesem Katalog ein Kompendium der Gotik in Norddeutschland. Wer sich noch darüber hinaus informieren möchte, sei auf das im Kieler Ludwig-Verlag erschienene Buch von Antje Grewolls über "Die Kapellen der norddeutschen Kirchen im Mittelalter" (ISBN 3-9805480-3-1) verwiesen, spannend ist auch das von Anna Elisabeth und Stephan Albrecht verfasste Büchlein über "Die mittelalterlichen Flügelaltäre der Hansestadt Wismar" (ISBN 3-9805480-2-3).
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat sich mit dem Katalog, der unter dem etwas prätentiösen Titel "Gebrannte Größe" erschienen ist, wieder einmal um die Backsteingotik verdient gemacht, sie fördert zudem eine ganze Reihe denkmalpflegerischer Projekte, darunter besonders imposant die Sicherung und Rekonstruktion einer der größten Backsteinkirchen Norddeutschlands überhaupt, St. Georgen in Wismar. Was noch fehlt, ist eine zuverlässige Gesamtschau zur Backsteinarchitektur über die Ländergrenzen hinweg: Wie Harald Ringstorff im Vorwort zum Katalog schreibt, ist "Backsteinarchitektur bis heute ein Zeugnis für das grenzüberschreitende Denken und Handeln, das die Länder rings um das "mare balticum" jahrhundertelang geprägt und verbunden hat." Dies gilt es ernstzunehmen.
Alexander Markschies
Gebrannte Größe. Wege zur Backsteingotik. 5 Einzelbände. je 128 S., zahlr. fb. Abb., 21 cm, Br., Einzelbände je EUR 9,- Lübeck: 3-935208-13-8; Wismar: ...14-6; Rostock: ...15-4; Stralsund: ...16-2, Greifswald: 17-0 Gesamtausgabe 5 Bände: EUR 38,-
ISBN 3-935208-12-X
 
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