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Vallotton, Félix: Das mörderische Leben

Félix Vallotton (1865-1925) war eine Doppelbegabung: als Maler bekannt, als Schriftsteller noch zu entdecken. Vallotton, geboren in Lausanne, ging bereits 1882 nach Paris, wo er auf Pierre Bonnard, Maurice Denis und Edouard Vuillard stieß. Zeitlebens beschäftigte sich Vallotton mit Literatur, die sich in mehrfacher Hinsicht auf sein Werk auswirkte. Neben der Illustration etlicher Bücher von Zeitgenossen, Mitarbeit in verschiedenen literarischen Zeitschriften, entwarf er Theaterplakate und porträtierte die Dichterelite Frankreichs von Verlaine bis Mallarmé. Im Roman ‘Das mörderische Leben’, der nach 1985 nun erneut auf deutsch erscheint, gehen Literatur und Kunst eine mehrfache Verbindung ein. Beigegeben sind dem Buch sieben der für Vallottons Kunst so charakteristischen Schwarzweiss-Holzschnitte, deren lakonisch formelhafte Bildunterschriften Rätsel aufgaben.

An dieser Stelle nun werden einige von ihnen als Selbstzitate aus dem Roman erkennbar. Vallotton nimmt im Roman Themen auf, die im Fin de siècle in der Luft lagen: Geschichten von Liebe, Krankheit, Leidenschaft, Tod und Erinnerung. Vom Schriftsteller Édouard Rod, einem Bekannten Hodlers, der zur gleichen Zeit wie Vallotton in Paris lebte, könnte, abgewandelt, das Motto aus dessen Roman "Wettlauf zum Tod" stammen: Das Verhängnis "hat es übernommen, mein Leben einzurichten." Dieses Leben wird als ein anstrengendes geschildert, mörderisch im übertragenen Sinn. Es ist aber auch ein kurzes Leben, in dem es die Hauptfigur, Jacques Verdier, auffällig häufig mit dem Tod zu tun hat. Kein Mord im strafrechtlichen Sinn, allesamt sind es Unfälle, an denen Verdier entscheidenden Anteil hat und die einen Lebensgefährten, angefangen bei Jugendfreunden, nach dem anderen zu Tode kommen lassen. Ein Verhängnis folgt auf das andere und sie sind allesamt verhangen, da unbegreiflich. Das führt bei Verdier zur Verzweiflung und zum Suizid. Das alles wäre an sich schon genügend Stoff für einen Roman, wäre da nicht der Künstler Vallotton. Die Beschreibungen der Szenen sind mit den Augen des Malers gesehen, handeln vom Verhältnis Kunst und Leben in mehreren Variationen und es entsteht, vermittelt über Verdier, eine Einführung in Vallottons Kunstauffassung.

So geht, wie Vallotton, der Jüngling Verdier nach Paris. Zuerst kommt er mit dem Leben der Bohème in Berührung, wie sie von Henri Murger im gleichnamigen Roman beschrieben wurde. Sie stößt ihn ab. Stattdessen flüchtet sich der schüchterne junge Mann zu den Klassikern, allen voran Holbein, in den Louvre. Auch das Parallelen zu Vallotton. Mit Hodler nimmt Vallotton im Streit zwischen Farbe und Kontur (Poussinisten versus Rubenisten) zunächst Partei für die Konturisten. Er läßt im Roman Verdier sagen: "die großen Koloristen waren mir eher zuwider". Die Hauptfigur Verdier verläßt die vorgezeichnete Bahn eines Juristen und wendet sich dem Journalismus und der Schriftstellerei zu. Er beschäftigt sich hauptsächlich mit Kunst und legt zwei größere Werke zur französischen Skulptur vor. Vermittelt über den Bildhauer Darnac gelangt Verdier in bürgerlichere Kunstkreise und lernt, wie Frédéric Moreau mit Madame Arnoux in Flauberts Lehrjahre des Herzens, eine verheiratete Dame, Madame Montessac, kennen. Ähnlich Frédéric wird er abgewiesen, anders jedoch als bei diesem, zum Schluß gibt sie sich ihm hin. Das hat wiederum fatale und finale Folgen, denn Madame Montessac stirbt. Damit ist das Schicksal Verdiers besiegelt. Während sich Frédéric aus unerfüllter Liebe in die Kunst stürzt, ist dieser Weg Verdier versperrt. Dies wird im Roman schon relativ früh deutlich, als der Kunstsammler Jessen, den Verdier bei einer Soiree der Montessacs kennenlernt, ausruft: "die Kunst...sie ist alles im Leben, alles!" was Verdier als "eitles Geschwätz" abtut. Zwar werden Frauen, darunter insbesondere Madame Montessac, primär als ästhetische Phänomene wahrgenommen, auch Verdier hat wie Vallotton ein kompliziertes Verhältnis zu Frauen, doch sein Räsonnement über Schönheit ist immer mit der Schönheit dieser Frau verknüpft. Schließlich, als Quelle künstlerischer Kraft reicht die Kunst nicht hin, es muß das reale Objekt hinzutreten. So ist Verdier immer dann besonders künstlerisch produktiv, wenn er sich der Gunst Madame Montessacs sicher weiß. Der Schriftsteller steigert sich zum Maler, als er ein Exemplar seines erschienenen Buches Madame Montessac nicht nur zueignet, sondern es mit ihrer Lieblingsblume versieht. Verdier hält es mit der Maxime der englischen Dichterin Elizabeth Barrett-Browning: "Die Kunst ist viel, allein die Liebe ist noch mehr", auch deshalb, weil nur sie hätte weitere künstlerische Kräfte in ihm freisetzen können.

Welche künstlerischen Kräfte bei Vallotton wirkten, zeigt der Band Félix Vallotton, Maler und Grafiker im Paris der Jahrhundertwende bei Hatje. Er besticht mit einer gelungenen Auswahl aus Vallottons gesamtem graphischen und malerischem Schaffenspektrum und bietet einen Querschnitt verschiedener Genres. Deutlich hervorgehoben werden die Anregungen, die Vallotton dem japanischen Holzschnitt verdankt, und dieser produktiv zum Flächenholzschnitt des Jugenstils verarbeitete. Umgekehrt wird schlüssig gezeigt, welch enormen Einfluss Vallotton auf die Künstlergemeinschaft der Brücke ausübte. Jenseits des zeitlichen Rahmens, den der Roman absteckt, werden die Kriegsbilder, die im Gefolge des Ersten Weltkriegs entstanden, abgebildet. Auf die Bedeutung des vorliegenden Romans weisen verschiedene Ausführungen hin. So wird nochmals die Frage gestellt, nach welcher historischen Figur Vallotton den Stecher Hubertin im Roman zeichnete. Geradezu sensationell der Fund nach Vallottons Tod: Schon im Alter von 16 Jahren fertigte er seine erste Kaltnadelradierung. Auch diese Stelle im Roman also ein biographischer Hinweis. Roman und vorliegende Monographie stehen somit in einem idealen Ergänzungsverhältnis für alle, die Vallottons Werk in Literatur und Kunst kennenlernen möchten.

siehe auch: Félix Vallotton. Maler und Grafiker im Paris der Jahrhundertwende. Hatje Cantz, Ostfildern 2003. EUR 29,80 ISBN 3-7757-1297-6
Sigrid Gaisreiter
Vallotton, Félix: Das mörderische Leben. Nachw. v. Weber, Werner. Hrsg. Weber, Werner. 270 S., 7 Abb. 20 cm. Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2004. Gb EUR 25,-
ISBN 3-03823-112-6
 
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