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3 x Tischbein und die europäische Malerei um 1800

Die deutsche Künstlerfamilie schlechthin sind sie gewesen: Die Tischbeins. Mit den von ihnen abzweigenden Familien, wie etwa den Pforr oder den Strack reichen sie in Archäologie und Architekturgeschichte hinein. Der Ansatz einer "Gesamtschau" ist verlockend: "La famille Tischbein" (so Wolfgang Kemp) könnte der Gegenstand einer Untersuchung wachsenden künstlerischen und damit auch bürgerlichen Selbstbewußtseins sein, angefangen bei jenem Johann Valentin Tischbein, der als wackerer Porträtist der Grafen Solms begann, über Johann Anton Tischbein, der immerhin eine Kunstschultradition in Hamburg begründete, bis hin zum Kasseler Hofmaler Johann Heinrich Tischbein d.Ä., dessen spätbarocker Klassizismus "auf der Höhe der Zeit" neben Füger und Angelika Kauffmann rangiert. Mit Friedrich August Tischbein findet die Familie den Anschluß an die Porträtkultur und Geistigkeit des klassischen Zeitalters: Seine Gräfin Fries (1801) oder seine landgräflichen Schwestern von Hessen-Homburg (1805) stehen ihren englischen Zeitgenossinnen in nichts nach, es sei denn, daß sie ein paar Jahre später gemalt worden sind. Mit Wilhelm Tischbein, seinem Vetter, gewinnt ein Familienmitglied sogar den Rang eines Mit-Akteurs jener Weimarer Klassik, und sei es nur für den kurzen Zeitraum von Goethes römischem Aufenthalt. Mancher bleibt im Schatten dieses familiären Aufstiegs, so etwa Wilhelms Bruder Heinrich Jacob, der nur gemeinsam mit dem später international Berühmten auf einem Doppelporträt dargestellten fortlebt. Ob hier wirklich "Einer den andern gemalt" (1782) hat, wie Titel und Signatur insinuieren oder ob nicht Wilhelm beide ins Bild setzte, bleibt (auch im Katalog) offen. Signifikant ist, daß der Familiensinn (der hier bereits vom Topos des Freundschaftsbildes überlagert wird) ein Antrieb und eine Absicherung künstlerischen Schaffens der Tischbeins war. Mit Wilhelm freilich bricht die aufsteigende Linie dieser Künstler-Familie ab, oder besser: Sie zeigt neue Triebe. Schon bei ihm tritt ein archäologisch-rekonstruierendes Interesse neben die Tätigkeit des Historienmalers und Porträtisten, ja es scheint die künstlerische Arbeit gelegentlich sogar behindernd zu überlagern. Folgerichtig ist die eine der herausragenden Persönlichkeiten der kommenden dritten Generation, Johann Heinrich Strack, Schinkel-Schüler in Berlin und Erbauer der Siegessäule, also ein Vertreter des archäologisch abgesicherten neuen Bauens; die andere ist Franz Pforr, jener Hauptvertreter nazarenischer Malerei, die mit klassischer Tradition und zugleich mit der Bindung des Malers an das Hof-Künstlertum bricht. Das Buch würdigt diese "Ausläufer" nicht mehr. Es beschränkt sich auf die drei künstlerischen Hauptvertreter, den Kasseler (Stefanie Heraeus), den Arolsen-Leipziger (ohne monographischen Aufsatz, aber mit exorbitanten Exponaten) und den "römischen" Goethe-Tischbein (Marianne Heinz).Eine Synthese der drei Maler als Porträtisten versucht Richard Hüttel zu geben, mit zwangsläufiger Folgerichtigkeit endet sie im "Porträt als Historienbild", im "Wanderer auf dem Obelisk", in "Goethe in der Campagna".
Daß das Buch den Kenner jener Epoche durch hervorragende Farbabbildungen erfreut, sei angemerkt. Nicht immer aber sind die Bezüge, die es herstellt, tragfähig: Die S. 45 notierte Tatsache, daß Wilhelm Tischbein ("Goethes Maler und Freund") von einem Besuch bei "Winckelmann in Hannover" beeindruckt gewesen sei, bezieht sich nicht auf den Begründer der klassischen Archäologie und Altertumswissenschaft Johann Joachim Winckelmann, sondern auf einen Kaufmann oder Kaufherrn gleichen Namens. Dem großen Stendaler ist er natürlich nie begegnet. Tischbein war beim Zeitpunkt von dessen Ermordung in Triest gerade erst sechzehn Jahre alt, und Italien lag vermutlich noch nicht einmal in seinem Denken und Träumen! Winckelmann aber hatte die Altmark längst und für immer verlassen. Vermutlich ist er nie in Hannover gewesen.


Jörg Deuter
3 x Tischbein. Und die europäische Malerei um 1800. Katalogbuch zur Ausstellung: 2005 26.02.2006 in Kassel, Staatliche Museen, Neue Galerie; 18.03. 04.06.2006 in Leipzig, Museum der bildenden Künste. Beitr.: Heinz, Marianne /Heraeus, Stefanie /Hüttel, Richard /Kemp, Wolfgang. Hrsg. v.Staatliche Museen Kassel /Eissenhauer, Michael /Museum d. bildenden Künste Leipzig /Schmidt, Hans W. 192 S., 20 sw u. 100 fb. Abb. 28 x 22 cm. Pb., Hirmer, München 2006. EUR 34,50
ISBN 3-7774-2785-3
 
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