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Der Albani-Psalter

Urkundlich seit 1657 ist der sog. Albani-Psalter im Kloster Lamspringe bei Hildesheim nachweisbar. Die dortige Benediktinerinnenabtei, 1521 aufgehoben, war 1643 von englischen Benediktinermönchen neu besiedelt worden. Sie dürften den Kodex aus der Heimat mitgebracht haben. Aus nicht bekanntem Anlass gelangte das Buch nach 1803 an die Pfarrgemeinde St. Godehard in Hildesheim.
Mit einer Quasi-faksimilierten Herausgabe des Psalters führt der bekannte Regensburger Verlag eine Buchreihe über Prachtkodizes des Mittelalters fort. Mit besonderem Recht kann dabei für den Albani-Psalter gelten: "habent sua fata libelli". Zunächst weist die Handschrift eine untypische Folge von illuminierten Texten auf. Einem "Kalender" mit Monatsbildern folgt ein - berühmter - Zyklus von 40 ganzseitigen Szenen aus dem Alten und Neuen Testament sowie 2 Szenen zur Geschichte St. Martins. Ein anschließender Text zur Vita des hl. Alexis, ein sehr bedeutendes Denkmal in altfranzösischer Sprache, führt über weitere Texte und Abbildungen zum eigentlichen Psalter, der von einem repräsentativen Autorbild König Davids eingeleitet wird. Jeder Psalm ist mit einem figürlichen Initial ausgestattet.
Als vorletzte Miniatur ist eine Darstellung mit dem Martyrium des hl. Alban gegeben, Hinweis darauf, dass der Kodex in der südenglischen Abtei mit dem Namen dieses Heiligen entstanden ist. Es lassen sich mehrere Phasen der Arbeit wie auch unterschiedliche Schreiber- und Künstlerhände feststellen, - dies ist in früheren Untersuchungen geleistet worden. Ein Besonderes ist freilich, dass der Psalter nicht für ein Kloster, sondern für eine Person, eine Reklusin Christina bestimmt gewesen sein muss: erst Eremitin mit visionärer Begabung und Schülerin des Einsiedlers Roger, wurde sie nach dessen Tod Vorsteherin einer kleinen Gemeinschaft frommer Frauen in Markyate nahe St. Albans, in enger Seelenfreundschaft verbunden mit Geoffrey, Abt dieses Klosters. Manche Miniaturen können offensichtlich auf diese Verbindung bezogen werden.
Die damit nur angedeutete, recht komplizierte Entstehungsgeschichte des Kodex wird im angezeigten Buche eingehend auf die Hauptpersonen und die gegebenen Querbeziehungen untersucht, erkennbar schon aus Kapitelüberschriften wie "Ein Buch für Christina" und "Ein Buch von Geoffrey". Im Unterschied zu früheren Bearbeitungen des Albani-Psalters richtet sich der Text von Jane Geddes weit weniger auf stilgeschichtliche Fragen, und auch ikonographische Probleme sind eher knapp besprochen. Was hingegen die Verf. besonders interessiert, sind die Reflexe der erwähnten persönlichen Beziehungen zwischen der Nonne und dem Abt, der sie trotz aller Proteste seiner Mönche auch wirtschaftlich großzügig förderte. Nicht zuletzt aber sind es die Aspekte des Frauentums der visionären Christina in allen Höhen und Tiefen ihres Lebens. Aufschlussreich, wohl auch zeitbedingt-"modern", ist die erkennbare Bemühung, Spuren geradezu "feministischen" Charakters im Bilderschatz der Psalmen-Initialen aufzuzeigen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei dem Initial zu Psalm 105 zu, wo möglicherweise eine nachträglich eingeklebte Frauengestalt als "Porträt" der Reklusin Christina im fürbittenden Gespräch mit Christus zu erkennen ist. Als weiteres bezeichnendes Bildzeugnis kann eine Miniatur zur "Litanei" zitiert werden: Christina kniend vor einer Vision der Göttlichen Dreifaltigkeit, dahinter Abt Geoffrey, der die Nonnen von Markyate auf die Gebetstexte der von ihnen gehaltenen Bücher weist. In der Darstellung erscheinen Hintergründe und Intentionen des Kodex gleichsam gebündelt, denn Markyate war der Dreifaltigkeit geweiht.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mit den - hier nur flüchtig skizzierten - Bemühungen der Verfasserin ein hochinteressantes Bild geistlichen Lebens im hochmittelalterlichen England geschildert wird, übrigens auch in Verbindung mit Überlegungen zum geistlichen Schauspiel der Zeit. Es wird bei der oft subtilen Gedankenführung begreiflich, dass es der Übersetzung nicht immer gelingen will, manche dem Englischen eigenen Zwischentöne adäquat zu vermitteln. Aber auch die Verf. tut sich nicht leicht, ihr eigenes Text-Bild-Verständnis dem Leser zu verdeutlichen. Schließlich aber ist das hier angezeigte Buch nicht nur als gesellschaftspolitisch interessantes, historisches Porträt einer faszinierenden Beziehung zwischen dem Abt einer hochangesehenen und reichen Abtei und der (vielleicht sogar ein wenig hysterischen) Priorin einer Gruppe frommer Frauen zu würdigen. Denn mit der faksimile-ähnlichen Herausgabe einer der schönsten und faszinierendsten englischen Bilderhandschriften des 12. Jahrhunderts wird dem Leser vor allem ein kleines künstlerisch-ästhetisches Meisterwerk reproduktiver Technik in die Hand gegeben.
Victor H. Elbern
Geddes, Jane: Der Albani-Psalter. Eine englische Prachthandschrift aus dem 12. Jahrhundert für Christina von Markyate. 128 S., 48 fb.Abb. 28 x 21 cm. Pb. Schnell & Seinter, Regensburg 2005. EUR 29,90
ISBN 3-7954-1751-1   [Schnell & Steiner]
 
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