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Maler, Mörder, Mythos - Geschichten zu Caravaggio

Ende 1993, eine Sensation: Der Chefrestaurator der Nationalgalerie in Dublin, Sergio Benedetti, gab bekannt, man sei auf ein Werk von Michel Angelo Merisi da Caravaggio (1571/1573-1610) gestoßen. Wenig später will eine italienische Kunsthistorikerin, Maria Letizia Paoletti, in einem Antiquariat eine zweite Version des Gemäldes "Die Gefangennahme Christi" von 1602 entdeckt haben. Benedetti und der Caravaggio-Kenner Sir Denis Mahon planten die verschiedenen Versionen, in Odessa vermuteten sie eine weitere, zusammen auszustellen. Diese Idee wurde jetzt, unter dem Ehrenpatronat von Sir Denis Mahon, im museum kunst palast in einer fulminanten Caravaggio-Ausstellung realisiert, die im Untertitel "Originale und Kopien im Spiegel der Forschung" das Ausstellungskonzept anzeigt. Dabei wollten es die Ausstellungsmacher nicht belassen und schickten ein kleines Buch mit Geschichten zu Caravaggio unter dem Titel "Maler, Mörder, Mythos" hinterher. Das ist ein genialer Schachzug, existieren doch nicht nur verschiedene Versionen von Gemälden, sondern auch unzählige Geschichtsvarianten zum Leben dieses Ausnahmemalers, Stoff für einige Romane.

Ein Roman zum Leben Caravaggios erschien vor einigen Jahren, Atle Naess erzählt von Caravaggios Flucht aus Rom nach Neapel. Bei einem seiner zahlreichen cholerischen Anfälle hatte der Maler in Rom einen Mann getötet. Das Legendenpotential erweitert Naess enorm, da er das Leben Caravaggios durch historische und fiktive Personen polyperspektiv erzählen läßt. Einer davon, der Buchhändler Gabrielli, befaßt sich auch mit dessen Malerei und nennt das Genie zutreffend einen "Galilei der Leinwand", wie dieser war Caravaggio ein produktiver Zerstörer alter Ansichten. "Grandiose Geschenke" hinterließ Caravaggio, so Arnold Stadler im Geschichtenband und spielt auf ein Werk, "Die Berufung des Heiligen Matthäus" von 1599/1600 an, das sogleich, wegen seiner Lebensnähe und Lichtregie, öffentliches Aufsehen erregte, ein "Augenblick" nur, sagt Stadler, "gemalt für immer" und setzt zu einer luziden Interpretation dieses Werks an. Anders der Autor Gerhard Falkner, der in einem fiktiven Dialog Caravaggio mit einer Person über dessen Leben und Gesamtwerk sprechen läßt. Aus Caravaggios Antworten lassen sich gut die Grundprinzipien seiner Kunst, für die er verschmäht, dann aber auch gerühmt wurde, erkennen. Einer durchgeistigten idealisierenden Malerei setzt Caravaggio nicht nur natürliche Körperlichkeit entgegen, sondern profanisiert sakrale Motive durch Individualisierung alltäglicher Szenen. Und erst sein Personal, Modelle von der Straße, mehr die "schlechte", eine Prostituierte im Bild der Maria, als die "gute" Gesellschaft, eine Provokation. Im Unterschied zum Realismus, Caravaggio inszeniert fotorealistisch, in einigen Werken, ganz Narziß, auch sich selbst. Nach den spielerisch heiteren Werken, die Ausstellung geht leicht chronologisch vor, die Bilder seiner römischen Jahre und sein Spätwerk, das 2005 in der Londoner National Gallery gezeigt wurde. Dort weicht er vom exzessiven Realismus, der seinen Ruhm mit begründete, ab. Die vor Sinnlichkeit strotzende Körperkunst wird in ein melancholisches Trauerspiel mit subtilen Zwischentönen verwandelt, die Provokation hatte sich überlebt. Hatte Caravaggio, die Themen waren durch die Auftraggeber festgelegt, gut katholisch, auf Gefühl und Leidenschaft gesetzt, so überschritt der diesen Spielraum in den Heiligendarstellungen. In laszive Erotik- und Gewalttheatralik in harte Licht-Dunkel-Kontraste ohne Ausfüllung des Bildhintergrunds, wollten die Kirchenmänner biblische Szenen, dessen Personal und das Programm der Gegenreformation nicht getaucht sehen.

In einem seiner Essays geht Mario Praz der Frage nach Konjunkturen in der Malerei nach, als Beispiel hätte er Caravaggio nehmen können, setzt doch erst 1951, mit Roberto Longhis Caravaggio-Ausstellung die Maßstäbe setzte, eine Renaissance ein. Großes leistet auch diese Ausstellung in Düsseldorf, die Werke aus den verschiedenen Schaffensperioden des kurzen und bewegten Künstlerlebens versammelt, sich auf die Bilderfindungen des Malergenies konzentriert und die Werke in drei Gruppen einteilt. Zunächst sind da die als authentisch angesehenen Originale, gefolgt von Caravaggio zugeschriebenen Werken, ergänzt um die zahlreichen Kopien, Reproduktionen, die im Atelier hergestellt wurden. Der Reiz dieses Konzepts liegt darin, Werke dieser Gruppen nebeneinander zu hängen bzw. so im Katalog zu präsentieren und sie durch kunstwissenschaftliche Essays zu neueren Forschungsergebnissen zu ergänzen . Genial dieses Konzept, Körperbilder mit einer Untersuchung zu den Bildkörpern zu verbinden und beide durch vergrößerte Detailaufnahmen anschaulich zu gestalten. Nach den Essays im Eingangsteil folgen im Mittelteil die Tafeln, abgelöst vom Katalog, der zu jedem Bild, neben einem Kommentar, Anmerkungen zur Zuschreibung, Provenienz und Erhaltungszustand liefert.

"Ein streitsüchtiger Mann, / Der einmal Michelangelo Merisi hieß, / Wartet im tiefsten Innern der Höhlensysteme, / die er erforschte" heißt es bei Henning Mankell im Geschichtenband. In den kunsthistorischen Höhlensystemen bohrte die Ausstellung, in den menschlichen Caravaggio. Die Kunstgeschichte sieht auf Caravaggios Bildinnovationen, Robert Longhi zog eine Linie zu "Ribera, Vermeer, Georges de la Tour, Rembrandt", "Delacroix, Courbet und Manet" hätten, ohne Caravaggio, "anders gemalt", die Kulturwissenschaften beziehen sich in ihren Diskursen zum Körper auf ihn. Er fasziniert gerade heute, mit ihm betritt das leibhaftige Subjekt den Bildraum, ja, springt den Betrachter förmlich an. Der Katalog ist, anders als heute vielfach üblich, keine Monographie, dafür aber ein eigenes Kunststück.



Sigrid Gaisreiter
Maler, Mörder, Mythos. Geschichten zu Caravaggio. Hrsg. v. museum kunst palast, Düsseldorf. 96 S. 21 x 19 cm. Kt Hatje Cantz, Ostfildern 2006. EUR 7,95
ISBN 3-7757-1807-9
 
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