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Unsterblichkeit im Land der Pharaonen

Noch bis zum 24 März ist in Stuttgart die wohl bislang größte Ausstellung altägyptischer Mumien in Deutschland zu sehen. Gemäß der Ankündigung einer „großen“ Landesausstellung fällt auch der dazugehörige Katalog opulent aus (sowohl vom Umfang als auch von der Bebilderung her). Sieben Kapitel führen den Leser in Verbindung mit den in der Ausstellung gezeigten Artefakten durch die Jenseitsvorstellungen und Totenpraktiken der alten Ägypter, für die insgesamt 15 Autoren verantwortlich zeichnen. Weitere 22 Wissenschaftler haben im Rahmen der Objektbeschreibungen mitgewirkt. Die 294 Leihgaben sind meistens von den Kuratoren der jeweiligen Museen beschrieben worden. Schließt man die lange Liste der Danksagungen mit ein, bestätigt sich, die Konzeption, der Objektfundus und die Präsentation der Artefakte im Katalog (desgleichen gilt übrigens auch für die Ausstellung) gibt einen umfassenden Überblick über das Thema „Ägyptische Mumien“. Überrascht hat allerdings, neben der durch zahlreiche Veröffentlichungen als Spezialistin ausgewiesene Renate Germer, den Tübinger Professor für Ägyptologie Christian Leitz als wissenschaftlichen Beirat einer Mumienausstellung zu finden, dessen Schwerpunkt der Rezensent bisher in den Bereichen altägyptische Astronomie, Heilkunde und Götterbezeichnungen gesehen hatte.
Den Diesseitsbezug der Thematik „Mumien“ macht der Heidelberger Ägyptologe Professor Joachim Friedrich Quack eindrucksvoll an den volkswirtschaftlichen und sozialen Komponenten der Mumifizierung fest. Die hohe ökonomische Bedeutung von Bestattung und Totenkult ist in der Forschung nie umstritten gewesen, doch gelingt es Quack in seiner kurzen Übersicht, ein fein differenziertes Bild der finanziellen Interessen der verschiedenen Nutznießer nachzuzeichnen. Er stützt sich dabei auf die Texte der makedonischen und römischen Herrschaft über Ägypten, die mit erfreulich vielen und aussagekräftigen Quellen auch Platz für Einzelepisoden bereithalten, die die alten Ägypter auf Papyri festhielten (z. B. die Klage einer Witwe gegen einen Mumifizierer, dass ihr verstorbener Mann nicht ordnungsgemäß bestattet wurde oder die Klage des Balsamierers Petanup gegen seinen Kollegen Hor, einen Leichnam unrechtmäßig mumifiziert zu haben). Der anschließende Objektteil versammelt Amulette und Weihfiguren, Models, Salb- und Schminkutensilien sowie medizinisches Besteck.
Diesem gelungenen Einstieg folgt durch Daniel von Recklinghausen ein Überblick über die Techniken der Mumifizierung. Er stützt sich dabei auf die bekannten griechischen Autoren Herodot und Diodor, ergänzt um die Forschungsergebnisse der Untersuchungen an Mumien selbst. Anmerkung 19 kann um ein zweites Exemplar in Kairo (JE 55620) ergänzt werden; zu S. 60 lässt sich weiter ausführen, dass die dort aufgelistete Zuordnung der Horussöhne an Kopfformen und Körperorgane variieren kann. Der Objektteil besteht aus Mumifizierungsutensilien, Amuletten als Beigabe auf die Mumie sowie anthropoide Särge mit Leichnam.
Das Schicksal der Mumien und der Totenbeigaben aus dem Grab des Sennedjem zeichnen einprägsam Renate Germer und Claudia Näser als Fallstudie nach, um den modernen Umgang mit altägyptischen Mumien kritisch zu beleuchten. Modellensembles, Uschebtis und (Schein-) Gefäße im Objektteil runden den thematischen Schwerpunkt „Grabbeigaben“ ab.
Marcus Müller-Roth hat sich erfolgreich der Aufgabe angenommen, die Jenseitsvorstellung der alten Ägypter ab der Zeit des sog. Neuen Reiches (16. Jh. v.Chr.) konzis und dennoch reich an Informationen sehr gut lesbar einem interessierten Leserkreis vorzustellen.
Vier Textzeugen stellt Christian Leitz unter der Überschrift „Totenkult“ vor: das Balsamierungs-, das Mundöffnungsritual, die beiden Bücher vom Atmen und das Buch vom Durchwandeln der Ewigkeit. Leider fällt die Angabe zu weiterführender Literatur zu knapp aus.
Der darauf folgende zweite Teil des Katalogs kann mit „Wandel der Mumifizierungstechnik und besonderer Spielarten“ (gemeint sind insbesondere Tiermumien) überschrieben werden: Einen „Heimatbezug“ hat der Beitrag von Nina Willburger, der sich Ernst von Sieglin und seiner Sammlung widmet – dem Grundstock der Antiken im Landesmuseum Württemberg. Schwerpunktmäßig werden daraus die römischen Mumienmasken vorgestellt und die laufende Diskussion in der Wissenschaft hierzu nachgezeichnet.
Einen gelungenen Endbeitrag zum Komplex „Mumien von Menschen“ haben Beatrix Gessler-Löhr auf ägyptologischer Seite und Eckhardt Grabbe, Björn-W. Raab sowie Michael Schultz auf medizinischer Seite verfasst, der die Untersuchungsergebnisse an der Heidelberger Mumie Nr. 1022 wiedergibt. Gessler-Löhr hat einen ausgefallenen Mumientypus vorzustellen, der in der Forschung bislang wenig Aufmerksamkeit erregen konnte: die koptischen Mumien aus Karara. Im Spannungsfeld zwischen Christentum und altägyptisch-traditionellem Bestattungstypus als Mumie ist diese Gattung der letzte greifbare Ausdruck einer über 4000 Jahre praktizierten Begräbnissitte in Ägypten. Der anthropologisch-paläopathologische Befund ließ eine flüchtige Mumifizierung an dem Leichnam eines mit 22-24 Jahren verstorbenen, etwa 1,64 m großen Mannes erkennen.
Mit zwei Beiträgen über Tiermumien schließt der Band ab.
Der erfreuliche Eindruck des Katalogs wird durch drei Momente getrübt: 1. Es fehlt ein Glossar für ägyptologisch-spezifische Fachausdrücke (Was-Zepter, Atef-Krone u.a.), welches dem Nichtägyptologen rasch Auskunft gibt; 2. kleinere, wenige redaktionelle Unachtsamkeiten werden den Leser vor Probleme stellen, wenn er etwa bei Leitz auf den Begriff „Thinitenzeit“ stößt, der aber nirgends weiter (als frühdynastische Zeit) erläutert wird; die „Zeittafel“ folgt Jürgen von Beckerath, was auf Seite 319 vermerkt werden sollte (anders beispielsweise Rolf Krauss in „Immortal Pharaoh. The Tomb of Thutmose III“, Madrid, September 2005); ein Nachtrag zu Seite 282: Abgebildet ist der Sarg der Katze Tamyt des Prinzen Thutmosis, Ägyptisches Museum Kairo CG 5003; 3. Der Sinn vier Typen altägyptischer Totentexte unter dem Oberbegriff „Totenkult“ zu subsumieren, dabei aber konkrete Kultpraktiken auszuklammern, erschließt sich dem Rezensenten nicht. Gerade in Fortführung der Beschreibung Germers/Näsers zur Bestattung des Sennedjem oder Quacks Einführung zur ökonomischen Komponente der Kultrituale hätte einer Erläuterung z. B. der Einbringung der Mumie in das Grab konzeptionell ein geschlosseneres Bild abgegeben (hier hätten sich auch das Mundöffnungsritual, die Bücher vom Atmen und das Buch vom Durchwandeln der Ewigkeit gut eingepasst), was aber den positiven Gesamteindruck nicht berührt.
Orell Witthuhn
Ägyptische Mumien. Unsterblichkeit im Land der Pharaonen. Hrsg. v. Landesmuseum Württemberg, Stuttgart. 336 S., 400 fb. Abb. 24 x 28 cm. Gb Philipp Zabern, Mainz 2007. EUR 34,90
Bis 31.3.08 EUR 29,90
ISBN 978-3-8053-3778-6
 
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