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Begräbnisstätten an der Berliner Chausseestrasse

Die "Möwe" unter den Berliner Begräbnisstätten.
Als der Rezensent zu Beginn der achtziger Jahre als Student unter Peter Bloch an der Inventarisierung der historischen Berliner Friedhöfe beteiligt war, waren diese noch ein unerschlossenes Feld. Heute gehören die Friedhöfe - sehr zu Recht - zu den historischen Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt. Hier sind Höhepunkte, wie das friderizianische Berlin, die Schinkelzeit oder die Romantik der Salons noch nacherlebbar, die ansonsten längst aus dem Stadtbild getilgt wurden, und hier spiegelt sich die Berliner Geistes- und Kulturgeschichte in hervorragender Weise. Dies gilt natürlich in besonderem Maße für den Dorotheenstädtischen Friedhof, den schon Bert Brecht die "Möwe" unter den Berliner Begräbnisstätten genannt hat, ohne dass die anderen in diesem Buch ebenfalls behandelten fünf Friedhöfe an der Chausseestraße weniger unser Interesse verdienten. Sie werden nun schon in zweiter Auflage von Alfred Etzold vorgestellt, wobei der Schwerpunkt auf der Würdigung der dort bestatteten Prominenten und deren Wirken liegt. Die im Vorwort berufenen kunsthistorischen Komponenten, "die typologisch fast vollständig vertretene Denkmalkunst der Berliner Bildhauerschule des 19. Jahrhunderts" zu repräsentieren, wird dabei eher knapp gestreift. Bezeichnenderweise wird keine von Blochs Veröffentlichungen zum Thema zitiert.
Dafür erfahren wir Zeitgeschichtliches im Detail, wie etwa von jener atheistischen Berliner Ehrenbürgerin, die als verdientes SED-Mitglied auf dem ansonsten kircheneigenen Friedhof nur bestattet werden konnte, weil die Akademie der Künste dafür eines ihrer Ehrengräber hergab, obwohl die verdiente Genossin mit Kunst nichts zu tun hatte. Oder wir hören von jenem deutsch-französischen Priester, dessen vermeintlich nicht mehr vorhandenes Grab in einer eiligen Suchaktion der Vergessenheit erst entrissen wurde, als aus Frankreich eine Delegation bereits im Anzug war, um die Seligsprechung und Überführung einzuleiten. Sicher ist der Dorotheenstädtische Friedhof, auf dem Schinkel und Schadow, Hegel und Fichte, Brecht und Paul Dessau ruhen, der populärste unter den alten Berliner Friedhöfen, aber die Friedhöfe am Halleschen Tor, auf denen E.T.A. Hoffmann und Chamisso, Rahel und die Mendelssohns, Gilly und Iffland ruhen oder diejenigen am Südstern können sich geistesgeschichtlich durchaus mit ihm messen. Kunsthistorisch exzeptionelle Grabmäler sind auf allen drei Gräberfeldern zu finden. Man hätte sich im vorliegenden Band ein bißchen weniger an Stimmungsbildern und ein bißchen mehr von diesen Monumenten gewünscht, etwa Hermann Ernst Freunds extravagante gußeiserne Lekythos auf dem Grabmal seines Bruders, Entwurf des Kopenhagener Thorvaldsen-Schülers aus Bremen, gegossen in der Gleiwitzer Hütte, aufgestellt in Berlin, ein Stück jenes "klassischen Berlin", das Brecht bei seiner Arbeit allgegenwärtig war, beim Blick aus dem Arbeitszimmer.
Jörg Deuter
Etzold, Alfred /Türk, Wolfgang: Der Dorotheenstädtische Friedhof. Die Begräbnisstätten an der Berliner Chausseestrasse. 128 S., 100 Abb. 24 x 17 cm. Pb. Links, Ch, Berlin 2002. EUR 12,90
ISBN 3-86153-261-1
 
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