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Bauformen des Gewissens – Fassaden deutscher Nachkriegsarchitektur |
Seit Cicero heißt es, das Antlitz spiegele die Seele. Wenn die Fassade das Gesicht eines Hauses ist, kann man davon ausgehen, dass in Analogie dazu in Deutschland die Oberflächen neuer und wiederhergestellter Bauten, insbesondere nach 1945, eine aufschlussreiche Wechselwirkung zwischen der architektonischen Erscheinung und dem ›Seelenzustand‹ Deutschlands abbilden.
Ausgehend vom kulturellen Res(e)t in der sogenannten Stunde Null geht Markus Krajewski in beschreibender, erforschender und analytischer Perspektive der Entsprechung zwischen der Fassadengestaltung in der Nachkriegszeit und der Lage der Nation um 1950 nach.
Auch wenn in diesem Buch der Eindruck entsteht, man habe nach dem Krieg fast alle Fassaden mit Kacheln versehen, so täuscht das. Doch hier geht es im Wesentlichen um die nach dem Krieg aufstrebende „Kachelindustrie“ der es gelang, die Verwendung von praktischen Kacheln erfolgreich anzupreisen, billig, rechteckig, glatt und sauber … für den heutigen Geschmack grauenhaft steril.
Die vorliegende Arbeit stellt dazu Fragen aller Schattierungen:
Aus welchen Gründen, jenseits billiger Baustoffe, formten sich viele Fassaden deutscher Städte in jenen Ausprägungen, die man heute als eigenartig bis verstörend einzustufen geneigt ist?
Warum werden manche Innenstädte, vor allem in Westdeutschland, im Wiederaufbau verkachelt, so dass das wiedererrichtete Stadtbild nicht selten einem nach außen gekehrten Badezimmer gleicht?
Was lässt sich von solchen abwaschbaren Orten, beispielsweise in Köln, ablesen? Verbergen sich hinter diesen keramischen Oberflächen nicht nur ästhetische Verunsicherungen, sondern auch tiefe (Ab-)Gründe (west-)deutscher Geschmacklosigkeit?
Nach bestechend ausführlichen Beschreibungen und Analysen der gekachelten Bausünden während der Nachkriegszeit an den Haus-Fassaden kommt der Autor zum Schluss, dass diese „Bauformen des Gewissens“ sich der Scham und Verdrängung verdanken, die aus den Taten der NS-Zeit erwuchsen. Die stummen Steine an den Außenmauern lassen sich – laut Krajewski – als Symbol für den Wunsch nach einer sauberen Weste lesen. Die Kachel sei die perfekte Passform für die Seelenlage der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg.
Ein an Informationen zur „gekachelten“ Baukultur der Nachkriegszeit reiches Buch besonders für Architekten, Bauleute, Denkmalpfleger und Stadtplaner. Einziger Makel ist: Der Leser braucht eine gute Lesebrille. Die Schrift ist sehr klein, aber der Inhalt „groß“.
07.01.2017 |
Gabriele Klempert |
Bauformen des Gewissens. Über Fassaden deutscher Nachkriegsarchitektur. Krajewski, Markus. Foto(s) von Werner, Christian. 220S. 19 x 19 cm. fb. Abb. Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2015. EUR 19,90. CHF 28,50. |
ISBN 978-3-520-90801-8
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