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Zur Architektur des Wohnens

Die Vorlesungsreihe „Zur Architektur des Wohnens“ von dem niederländischen Architekten Joost Meuwissen aus den Jahren 1992/93 an der damaligen Technischen Universität Karlsruhe erschien erstmals 1995 und wurde 2016 vom Autor selbst noch einmal überarbeitet. In diesen Vorträgen, die in die Geschichte eingegangen sind, kondensiert Meuwissen sein Verständnis der Architekturgeschichte in einer Tour d´Horizon von der Antike bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert.

Sein Verständnis des Wohnens als Laboratorium für Architektur, das neue Formen, Stile oder gar Vorbilder hervorbringen kann, bildet die Grundlage seiner Referate und für seinen Versuch, «die Typologie des Wohnens von ihrer klassifizierenden Einschränkung zugunsten einer Analyse der Architektur, die aus bestimmten Ideen des Wohnens in unterschiedlichen Umgebungen und mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen entsteht, zu befreien».

Nach einführenden Worten, wie man mit der bereits bestehenden Architektur umgehen solle, folgen Ausführungen über den Begriff Architektur im kulturellen und methodischen Sinn. Beginnend mit den zehn Büchern des Vitruv erläutert Meuwissen in seinen Vorlesungen 1992 unter anderem den Fortgang der antiken Bautradition anhand der Salzfabrik Chaux aus dem Jahr 1778 und der Baukunst Andrea Palladios von 1549 bis hin zu den Neuschöpfungen an den Londoner Squares ab 1660, der Regent Street 1814 sowie am Regent Park 1827.
Im neuen Jahr 1993 folgten dann Vorlesungen zur Architektur von Karl Friedrich Schinkel (1781 – 1841) bis Ludwig Mies van der Rohe (1886 – 1969), laut Meuwissen die größten deutschen Baumeister aller Zeiten. Über Schinkel führt Meuwissen aus: „Mit Schinkel gewann die Architektur an Breite, sie wurde empfindlicher für das, was um sie herum geschah und sie wollte das jetzt ausdrücken. Die Architektur sollte Schinkel zufolge das Leben ausdrücken, vor allem dadurch, dass sie selbst lebendig werden, also in ihrem Ausdruck eine Autonomie gewinnen sollte.“ Dabei weist Meuwissen als Beispiel auf zahlreiche Gemälde Schinkels hin.
In den folgenden Ausführungen behandelt Meuwissen nicht nur die Architektur Mies von der Rohes, sondern führt auch zur zeitgenössischen Architektur von Rem Koolhaas (*1944). Sollte man die Moderne verstehen wollen, so Meuwissen, solle man nicht nur die unerschöpflichen Möglichkeiten des Verborgenen und Verschwiegenen aufklären, sondern – so führt er später aus – neue Formen und Gestalten erfinden.
Werden in den ersten Vorlesungen bevorzugt Privatbauten oder solche für den gut gefüllten Geldbeutel vorgestellt, stellt Meuwissen im Mai 1993 seine Überlegungen über die Verwendung neuer, oder besser „anderer“ Baumaterialien vor, wie Glashochhäuser (1921), Backstein- (1922) und Eisenbetonbauten (1923) Mies van der Rohes.
Erst am Ende seiner Vorlesungsreihe erläutert Meuwissen Entwicklungen des sozialen Wohnungsbaus, unter anderem in Stuttgart und Frankfurt am Main. Am Ende lautet sein Fazit: „In einer Zeit, wo in der Architektur alles schnellstens Gestaltung und Form und Design wird, ohne viel Inhalt, wäre es gut zu sagen, wie Inhalt in der Architektur zustande kommt, wie das vor sich geht, wie man das in der Vergangenheit versucht hat und was dabei herauskam und wie man das weiterführen kann und wie man das heute machen könnte“. Wie wahr!

Die Lektüre von Meuwissens Vorlesungen, angereichert mit einem ausführlichen Index, verdeutlicht, dass seine Sichtweise nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat, sondern im Gegenteil das Verständnis von Architektur um inspirierende und fallweise auch provokante Blickwinkel bereichert.

21.06.2018

Gabriele Klempert
Zur Architektur des Wohnens. Meuwissen, Joost. Hrsg.: Fakultät für Architektur der Technischen Universität Graz. 256 S. 227 Abb. 23 x 22 cm. Pb. park books Verlag, Zürich 2018. EUR 48,00. CHF 49,00
ISBN 978-3-03860-095-4   [Park Books]
 
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