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Lucid Evidence |
„The Lucid Evidence“ ist der Titel eines Bandes, der begleitend zu der aktuellen Ausstellung im Frankfurter MMK erschienen ist. Ein Ausstellungskatalog, der die hochkarätige Fotografie-Sammlung des Hauses vorstellt.
Seit seiner Gründung im Jahr 1991 hat das Frankfurter MMK Fotokunst erworben – früher als andere Institutionen und mit großer Konsequenz. Auch daran erinnert der überaus opulente Band „The Lucid Evidence“. Er stellt die Sammlung erschöpfend vor. Eine Sammlung, in der vertreten ist, was in der Kunstfotografie Rang und Namen hat: Nobuyoshi Araki etwa oder die Großbilddias des kanadischen Fotokünstlers Jeff Wall, den das MMK sehr früh kaufte. „The Storyteller“ ist so eine vom MMK in den neunziger Jahren erworbene Arbeit Walls – heute ein Klassiker.
Ãœberhaupt lesen sich die Namen der Fotosammlung des MMK wie ein Who's Who der Fotografie: Peter Fischli und David Weiss, Günther Förg, Thomas Ruff, Beat Streuli – man kennt ihre Bilder. Was für einen Sinn macht es also, dieses Buch zu erwerben? Vielleicht diesen: Der Querschnitt der MMK-Sammlung ist ein Querschnitt durch die moderne und zeitgenössische Fotokunst selbst. Inszenierte Fotografie, Konzept-Kunst, journalistische Arbeiten von Barbara Klemm, Abisag Tüllmann und Anja Niedringhaus – hier kommt alles auf hohem Niveau zusammen.
Mit Jock Sturges, Bettina Rheims oder Larry Clark finden sich Bildautoren, die auf sehr obsessive Weise den Körper ins Bild setzen. Der frühere MMK-Direktor Jean-Christophe Ammann hat sie intensiv gesammelt. Gerade Clark ist mit seinem Frühwerk nahezu komplett vertreten. Doch auch jüngere Fotokünstler sammelt das MMK: Tobias Zielony etwa, der Jugendliche in aller Welt fotografiert – vorwiegend jene, die an den Rändern urbaner Zentren leben: in den Vororten, den Banlieues, in Suburbia. Oft sind es ganze Gruppen von Jugendlichen, die er ablichtet: auf der Straße, auf Parkplätzen, vor ihren Wohnblocks in Newport, Halle-Neustadt, Chemnitz, Winnipeg, Bristol oder in den Quartiers Nord von Marseille.
Sie machen nicht viel, die Porträtierten, wie etwa jene Mitglieder von Straßengangs aus dem kanadischen Winnipeg: Sie stehen oder sitzen herum, treffen sich an Tankstellen oder einfach unter einer Straßenlaterne. Oft blicken sie gedankenverloren in die Leere, dann posieren sie für den Fotografen, präsentieren ihre Gruppenzugehörigkeit. Zumeist in der Nacht fotografiert Zielony – ein Stilmittel, das der ehemalige Schüler von Timm Rautert in Leipzig sehr effektvoll einsetzt.
Faszinierend ist in diesem Werk vor allem die ungesehene Mischung aus Beiläufigkeit und Intimität, wie wir sie etwa auch in den Arbeiten Miroslav Tichys entdecken. Wer sich intensiver mit den einzelnen Künstlern befassen will, der sollte zu den vielen bereits erschienenen Monografien greifen. Der Band „The Lucid Evidence“ gibt einen Einblick in die Sammlung des Hauses, spiegelt die Hauptströmungen der Fotokunst unserer Zeit: ein Buch für jene, die sich einen Überblick verschaffen wollen.
Manche der Arbeiten – etwa jene von Bettina Rheims oder auch Araki – wirken heute beinahe ein wenig abgegriffen, so oft wurden sie diskutiert, abgebildet, beschrieben: Sie beginnen, zu langweilen. Anders dagegen Jeff Walls in Prag entstandene Arbeit „Odradek“, die Arbeiten von Tobias Zielony oder auch die eigentlich sattsam bekannten Porträts von Thomas Ruff: Diese Bilder wirken nicht altbewährt, sondern – immer noch – aufregend neu.
01.11.2010 |
Marc Peschke |
Susanne Gaensheimer, Mario Kramer. The Lucid Evidence . Fotografie aus der Sammlung des MMK. Hrsg.: Susanne Gaensheimer, Mario Kramer.Dtsch/Engl. 500 S. 460 Abb. EUR 58,00
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ISBN 978-3-86984-147-2
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