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Die Kunst der Abstrakten Fotografie |
Man braucht nur einmal die entsprechenden Kataloge namhafter Auktionshäuser durchzublättern, um zu ermessen, welch immense Bedeutung die Kunst der Abstrakten Fotografie in den letzten Jahren erhalten hat. Zumindest finanziell gesehen. Denn die Arbeiten von Karl Blossfeld etwa erzielen inzwischen Preise, die dem durchschnittlichen Jahreseinkommen eines Bundesbürgers entsprechen. Jedoch nicht nur klangvolle Namen wie derjenige des Autors des legendären Buches "Urformen der Kunst" sind zu finden. Neben den Altmeistern László Moholy-Nagy oder El Lissitzky erfreuen sich auch zunehmend die fotografischen Werke von Floris M. Neusüss, Peter Keetman, Heinz Hajek-Halke oder György Kepes, um nur einige wenige zu nennen, wachsenden Interesses. Doch was genau ist Abstrakte Fotografie, wie ist sie entstanden und wie hat sich diese Kunst entwickelt?
Antworten auf diese und ähnliche Fragen finden sich in dem vorzüglichen Werk "Die Kunst der Abstrakten Fotografie", dessen Herausgeber Gottfried Jäger - seit 1972 Professor für Fotografie an der Fachhochschule Bielefeld - einer der besten Kenner der Materie ist. Auf dem Hintergrund langjähriger Forschungsarbeiten - sie führten im Jahre 2000 zu dem 21. Bielefelder Symposium "Abstrakte Fotografie: Die Sichtbarkeit des Bildes" - verfasst, bietet das zweisprachige (deutsch/englisch) Werk nun erstmals einen präzisen und dabei zugleich sehr profunden Überblick über die spannende Geschichte der Kunst der Abstrakten Fotografie.
Damit wird, mehr als achtzig Jahre nachdem der Amerikaner Alvin Langdon Coburn (1882-1966) im Jahre 1916 den Begriff der "Abstrakten Fotografie" prägte, die damals erhobene Forderung, sich eingehender mit dieser speziellen fotografischen Kunst zu beschäftigen eingelöst. Und die Thematik wird mit der vorliegenden, auch vom Layout her glücklichen Publikation für ein auch nicht spezialisiertes Lesepublikum erschlossen. Dabei ist die Formulierung, mit welcher der Band im Pressetext des Verlages beworben wird - "der erste umfassende Versuch, die theoretische und ästhetische Herausforderung zu begreifen, die eine ungegenständiche Fotografie für das Medium bedeutet" - gemessen am intellektuellen und visuellen Gewinn, den die Lektüre von "Die Kunst der Abstrakten Fotografie" bietet, fast zu vorsichtig gewählt.
Denn auf anschauliche Weise vermitteln die sieben renommierten Autoren - aus je ganz unterschiedlichem Blickwinkel - dem Leser wesentliche Gesichtspunkte des komplexen Themas. Da sämtliche Texte inhaltlich sehr dicht und anspruchsvoll gehalten sind, eignet sich das Werk - zumal aufgrund der im Anhang (S. 286-317) beigegebenen Materialien, unter denen ein kommentiertes Glossar besonders hervorzuheben ist - übrigens auch ausgezeichnet als Nachschlagewerk.
Wo wird man als Leser mit der Lektüre beginnen wollen? Ich selbst habe mich zunächst in dem einführenden Aufsatz von Gottfried Jäger "Die Kunst der Abstrakten Fotografie" (S. 11-72) festgelesen, bin dann in die anregende "Diskussion: Was ist Abstrakte Fotografie" (S. 259-284) gesprungen, habe - zu unrecht VladimÃr Birgus' "Die Tschechische Avantgarde-Fotografie zwischen den zwei Weltkriegen" (S. 163-194) links liegen lassen, da ich zumindest die Namen einiger Fotografen mit diesem Thema verbinde, und mich gleich Rolf H. Krauss' geistesgeschichtlich so aufschlussreichem Text "Das Geistige in der Fotografie, oder: Der fotografische Weg in die Abstraktion" (S. 103-138) gewidmet. Sehr neugierig war ich auf den Aufsatz von Claudia Fährenkemper "Bilder aus dem Mikrokosmos" (S. 195-213), da hier eine Künstlerin über ihre Arbeit reflektiert. Dann bin ich aufmerksam geworden auf den philosophischen Artikel von Lambert Wiesing "Abstrakte Fotografie: Denkmöglichkeiten" (S. 73-102) sowie "Das ungegenständliche Lichtbild heute. Zeitgenössische Positionen" (S. 214-258) von Michael Köhler, dessen knappe Präsentation von insgesamt dreizehn Künstlerinnen und Künstlern mir sehr gut gefallen, da sie den Leser zur eigenen Auseinandersetzung mit den vorgestellten Arbeiten zwingt. Natürlich wollte ich nicht zuletzt auch noch Näheres über die Persönlichkeit und das Wirken von Alvin Langdon Coburn erfahren. In "Coburn meets Pound. Abstraktion und Vortizismus in der englischen Ästhetik der Moderne" (S. 163-193) von Martin Roman Deppner wurde ich fündig.
Es versteht sich von selbst, dass diese Abfolge nur die subjektive Leseerfahrung des Rezensenten ist. Doch auch bei anderer Lektürepräferenz dürfte das Ergebnis am Ende vermutlich ähnlich ausfallen. Wenn ich "Die Kunst der Abstrakten Fotografie" jetzt auch nicht exakt definieren könnte, so ist mir die Bedeutung Abstrakter Fotografie als künstlerisch-kulturelles Phänomen der Gegenwart doch ausgesprochen deutlich geworden. Das ist gewiss nicht wenig. Dem Verlag sowie den Autoren (der Autorin) ist für die Veröffentlichung dieses Buches sehr zu danken.
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Matthias Mochner |
Die Kunst der Abstrakten Fotografie. Hrsg.:Jäger, Gottfried. 2002. 320 S., 171 Abb. in Duoton u. fb. Gb EUR[D] 64,80 |
ISBN 3-89790-015-7
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