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Martin Parr

Martin Parrs Blick ist manchmal so genau, dass es weh tut. Die gutbetuchte Dame auf der "Conservative Election Victory Party" etwa kommt gar nicht gut weg. Geradezu angeekelt scheint sie im Moment der Aufnahme zu sein. Au Weia! Sie muss gerade ihre Wange für ein Küsschen hinhalten. Jede Falte leuchtet Parr aus, schonungslos zeigt er, wie wir Menschen leben. Martin Parrs Auge ist das des Fotoreporters. Es gilt, den richtigen Moment abzupassen - und dann: Feuer frei!
Doch Parr ist mehr als das: Der 1952 in Epsom, Surrey geborene Künstler hat einen neuen fotografischen Stil geprägt. Doch dieser Stil findet sich keineswegs in der Person Martin Parrs, den man sich ebenso schrill vorstellt, wie seine knallbunten Farbfotos von rosa Süßigkeiten, von Sonnenanbetern an englischen Stränden, von Hündchen mit Sonnenbrillen, vom Kampf um die Pommes am Kiosk. Parr ist ganz anders, wie man bei der Eröffnung der großen Hamburger Retrospektive im Internationalen Haus der Photographie in den Deichtorhallen sehen konnte. Ein etwas schüchtern wirkender, schlicht gekleideter Mann, der wunderbar das Klischee eines Lehrers in einer Provinzschule bedienen könnte.
Auf mehr als 350 Seiten zeigt der üppige Ausstellungskatalog eine nahezu lückenlose Dokumentation der Arbeit Parrs, die auch die frühen Serien des Fotografen vorstellt. Das Schwarzweißwerk von Parr ist kaum bekannt - oder vielleicht liegt es auch daran: Parrs beißender Spott in Farbe hat die Wahrnehmung der Schwarzweißfotografien erschwert.
Tatsächlich kommt das Hässliche bei Parr immer unerhört laut daher, feuerrot, giftgrün oder knallgelb, stets mit Blitz in Szene gesetzt. Bei einigen der Arbeiten mag man sich schon fragen, worin die genuine künstlerische Leistung des Fotografen liegen mag. Denn dass am Venice Beach die Hunde Sonnenbrillen in Regenbogenfarben tragen, naja, das hätten wir uns schon denken können. Und auch, dass die sonnenverbrannten Touristen sich am heruntergekommenen Strand von Brighton bevorzugt von Fish & Chips ernähren, um danach ihr Urlaubsglück in der Spielothek zu versuchen. Parr zeigt die Welt so hässlich wie sie ist, nimmt Konsumterror, schlechten Geschmack und Massentourismus als Steilvorlage.
Parrs eigentlicher Verdienst ist es, die hässliche und dreckige Seite des Alltags in Zeitungen und Magazine gebracht zu haben - in den Achtzigern, als Glamour das Wort der Stunde war. Heute ist es schwieriger, Trends zu setzen, doch Parr erfährt immer größere Anerkennung für sein Werk. Einer der ersten Sammler der Fotografie von Martin Parr war der Deichtorhallendirektor F. C. Gundlach, der ihn bereits im Jahr 1986 in seiner damaligen Galerie ausstellte. Wer nun die Hamburger Retrospektive verpasst hat oder so weit nicht reisen kann, dem sei dieser Ausstellungskatalog wärmstens empfohlen.
Marc Peschke
Martin Parr. Text und Hrsg. Williams, Val. 352 S., 441 fb. u. 156 sw. Abb. 29 cm. Br, Phaidon, Berlin 2002. EUR 39,95
ISBN 0-7148-9391-9
 
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