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Die Lahn – Burgen und Schlösser |
Schon Goethes Auge schwelgte anno 1772 über die „bebuschten Felsen, die feuchten Gründe und die thronenden Schlösser“ an der Lahn und folgte dem „schönen, durch seine Krümmungen lieblichen, in seinen Ufern so mannigfaltigen Fluss“. Eine Zeitschrift charakterisierte das Lahntal 1912 „unstreitig als eines der schönsten Nebentäler des Rheins, (...) wo die stolzen Zeugen der ruhmreichen Vergangenheit dieses alten deutschen Gaues, die Schlösser und Burgen“ so zahlreich sind. Die Dichte an Schlösser- und Burgenbauten wird nur noch vom Elsaß übertroffen, wie ein Burgenkundler konstatiert. Mit dem Bau der Eisenbahn 1857-1863 war das Lahntal auch für Touristen erschlossen, der erste Lahn-Führer erschien sogleich. Die heutige touristische Erschließung liegt eher über Wasser: unter Kanuten gilt vor allem der Unterlauf der Lahn als „eines der schönsten und erlebniswertesten Gewässer Westeuropas“.
Das kürzlich vorgelegte Buch „Die Lahn – Burgen und Schlösser“ bietet einen Überblick über die zahlreichen Adelssitze und Wehrbauten im Lahngebiet, ist durchaus touristisch orientiert und füllt dennoch eine Lücke in der historischen Hessen-Literatur. Dieser Mammutaufgabe gestellt hat sich der Burgenforscher Michael Losse, der 1999 mit der Erfassung begann. Der zeitliche Umfang reicht von der Ur- und Frühgeschichte bis zum 19. Jahrhundert. Während in seinem 2001 publizierten Buch „Die schönsten Schlösser und Burgen im Lahntal“ vorgestellt wurden, erweitert er im aktuellen Buch den Blick auf das Lahngebiet, bezieht also auch die Ortschaften in Flussnähe ein.
Losse wählte neben historisch und architektonisch bedeutenden Objekten auch weniger bekannte aus, die aber als „typische“ Bauten für ihre Zeit gelten. Ein Schwerpunkt liegt in der Betrachtung des Großraums Marburg, dessen Burgen, Schlösser und Wehrkirchen bislang noch in keinem Burgenführer behandelt wurden. Als Grundlage dienten zahlreiche Objektbegehungen, Quellenstudien und die Auswertung der Literatur. Letztere ist auf einem höchst unterschiedlichen Niveau, wie der Autor anmerkt: während einige Objekte wissenschaftlich gut dokumentiert sind, harren andere noch der Bearbeitung.
Den einzelnen Objektbeschreibungen vorangestellt sind die Geschichte und die Burgenkunde des Lahngebiets. Die Geschichte Hessens ist bekanntlich höchst kompliziert und von politischen Machtbestrebungen ebenso geprägt wie von religiös motivierten Auseinandersetzungen, und das nicht erst seit Einführung der Reformation unter Philipp dem Großmütigen. Schon die Auseinandersetzungen zwischen dem Mainzer Erzbischof und den Landgrafen von Thüringen (in der Nachfolge: von Hessen) zeitigte diverse lokale Auswirkungen, wenn etwa auf eine landgräfliche Stadtgründung (Marburg) eine Gegengründung des Mainzer Erzbischofs folgte (Stadt Amöneburg), die wiederum von landgräflichen Stützpunkten umgeben wurde (Kirchhain).
Es ist ein Verdienst des Buches lokale Geschichte im landesgeschichtlichen Zusammenhang vorzustellen, was jeweils den Blick über den eigenen lokalpatriotischen Tellerrand erlauben. So wird deutlich, dass in fränkischer Zeit (um 700) in Mittelhessen drei stadtartige Höhenburgen gebaut wurden: Amöneburg, Kesterburg/Christenberg und Schiffenberg. Eine große Burgenbauaktivität ist für das Mittelalter nachgewiesen, doch bereits im 15. Jahrhundert setzte das Burgensterben ein, bedingt durch die Verlagerung wirtschaftlicher und politischer Aktivitäten in die Städte. Nun wurden in den Städten Befestigungen und Schlösser gebaut, vereinzelt auch auf Dörfern, wenn sie im Zentrum kriegerischer Handlungen standen.
Der Autor verweist darauf, dass auch frühmittelalterliche Burgen schon Wohn- und Verwaltungssitze waren. Der in der früheren Forschung vorwiegend beleuchtete Aspekt der militärischen Verteidigung wurde offenbar weit überschätzt. Außerdem stellt Losse klar, dass der Verfall der Burgen in den wenigsten Fällen militärische Aktionen zur Ursache hatte, sondern durch Verlassen und Vernachlässigung entstand. In vielen Fällen dienten die Burgen (wie auch Klöster nach der Säkularisation, die Rez.) als Materialfundus für Neubauten. So fanden etwa die Stufen des Treppenturms der Burg Staufenberg im Gießener Entbindungshaus Verwendung. Zeitgleich setzte ein neues Geschichtsbewusstsein ein, das den Erhalt und Pflege der Kulturdenkmäler zur gesellschaftlichen Aufgabe erklärte.
Zum Beispiel sah der großherzoglich-hessische Staatshaushalt 1894 den Abriss des Gießener Alten Schlosses vor; der Oberhessische Geschichtsverein intervenierte erfolgreich. Die Burgenromantik war vom Rhein die Lahn aufwärts gewandert, so gründete sich beispielsweise in Krofdorf-Gleiberg 1837 der „Geselligkeitsverein zur Erbauung einer Treppe im Turm der Schlossruine von Gleiberg“. Nicht nur Altertumsforscher und Gelehrte wandelten auf den Spuren der als ruhmreich betrachteten Vergangenheit, auch Künstler entdeckten das Lahntal und seine Burgen: Friedrich Christian Reinermann (1764-1835) zu Anfang, Hugo von Ritgen (1811-1889) in der Mitte und Otto Ubbelohde (1867-1922) am Ende des 19. Jahrhunderts.
Der Autor geht dankenswerterweise in der Zeit noch weiter voran und zeigt die Auswirkungen der Burgenromantik auf die Bautätigkeiten der Gründerzeit, die sich ausgiebig in architektonischen Zitaten vergangener Stilepochen erging und daher Historismus genannt wird. Unternehmer bauten ihre Villen mit Burgen-Versatzstücken und ahmten sogar Schlossanlagen nach (Rauischholzhausen). Die größte Dichte an bürgerlichen Villen befindet sich an der mittleren Lahn in Gießen, besonders bemerkenswert dabei die Bauten der Studentenverbindungen. Burgenromantik findet sich ebenso in Kliniken und Hotels, Industriebauten (Grube Fortuna bei Oberbiel), Wasserhochbehältern und Trafohäuschen, Brücken (Weilburg) und Bahnhöfen (Gießen), an Aussichtstürmen und Denkmälern.
Der einzige Wermutstropfen ist das Findverzeichnis des Buchs. Zudem sind in der Inhaltsübersicht die Zuordnungen zu heutigen Gemeindenamen nicht vereinheitlicht, manche fehlen, andere sind schlicht falsch. Bleibt die Hoffnung auf mehr Systematik, vor allem für den touristischen Zugriff, sprich die Anreise.
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Dagmar Klein, Gießen |
Losse, Michael: Die Lahn und Umgebung. Burgen und Schlösser von der Quelle bis zur Mündung. 2006. 280 S., 300 Abb. 24 x 16 cm. Pb EUR 16,80 |
ISBN 978-3-86568-070-9
[Michael Imhof]
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