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Der gebaute Raum

Während die Interpretation von Sozialstruktur und menschlichem Handeln in der Archäologie vorwiegend über die Deutung von Gräberfeldern im Allgemeinen läuft, hat die Architekturanalyse weitestgehend eine untergeordnete Rolle gespielt, was aber natürlich nicht zuletzt auch häufig an der Qualität der entsprechenden Befunde liegt. Wichtig ist bei der sozialen Interpretation häufig der ethnologische Vergleich. Dass aber auch andere Kulturwissenschaften einen wichtigen Beitrag zur Deutung archäologischer Funde und Befunde leisten können, ist erst in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus geraten. Ein wichtiges Organ sind hierbei die sehr produktiven Konferenzen, die vorwiegend in der vor allem der Methodik und Theoriediskussion verschriebenen Reihe „Tübinger Archäologische Taschenbücher“ publiziert worden sind. Der vorliegende Band vereint gleich zwei spannende Tagungen, die 2008 und 2009 in Mannheim und Wien stattgefunden haben, und die sich dem so genannten „spatial turn“, der bereits seit den 1980er Jahren propagiert wird, verpflichtet haben. Als führende Personen in dieser Disziplin sind sicherlich B. Schäfers als auch H. Delitz zu nennen, die erfreulicherweise ihre Hauptthesen auch in diesem Band abermals vorstellen.
Ganz dem Credo der Reihe folgend, findet der interessierte Leser sowohl Artikel zur theoretischen Auseinandersetzung und Funktion der kulturwissenschaftlich ausgerichteten Architektursoziologie, entsprechende Anwendungen aus den Bereichen der Archäologie – in diesem Falle mit besonderem Fokus auf das Neolithikum, die Eisenzeit und das Mittelalter – sowie weitere Fallbeispiele aus den angrenzenden Nachbardisziplinen wie beispielsweise der Ethnologie.
Im Fokus aller Beiträge des Buches stehen letztlich das Verhältnis des Menschen zum umbauten Raum und Anwendbarkeit der Konzepte der Architektur und Architektursoziologie auf den konkreten archäologischen Befund. Der Architektur – auch der vormodernen – kommt dabei ohne Frage sehr viel mehr Bedeutung zu, als dem bloßen Schutz vor Naturgewalten.
Dabei ist sicherlich einer der wichtigen Denkansätze, dass der jahrelang propagierte Zusammenhang unterschiedlicher Bau- und Hausstrukturen in einer Siedlung, der mit einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft erklärt wurde, viel zu pauschal und in diesem Sinne nicht anwendbar ist. Ebenso ist der Umkehrschluss, eine gleichförmige Siedlungsstruktur sei mit einer egalitären Gesellschaft zu verknüpfen, völlig irreführend (S. 21 etc.). Die ersten Schritte vor einer Deutung wären sicherlich zunächst die tatsächlich intendierte Nutzung eines solchen Gebäudes zu hinterfragen. Dies, so die ernüchternde Einschränkung, ist jedoch in den meisten Fällen so gar nicht möglich. Auch ist sicherlich völlig zu Recht kritisch zu hinterfragen, ob die Trennung „Hochkultur“ von „Massenkultur“ in dem bislang untersuchten Zusammenhang tatsächlich zutreffend ist. Ein weiteres Problem ist die viel zu häufig gesuchte Identifizierung und Ausdifferenzierung von Gebäuden als „sakral“ gegenüber „profan“ genutzter Architektur, die zumeist allein aufgrund der noch nachzuweisenden Funde kaum stichhaltig getragen werden kann. Der Archäologie fehlen für eine solche allumfassende Interpretation, wie gerade der vergleichende Blick in die Ethnologie zeigt, teils ganz entscheidende Quellen und Ansätze, die sich eben gerade nicht in der materiellen Kultur einer Gesellschaft niedergeschlagen haben. So kann es sein, dass sich die Eliten betont nicht durch eine besondere Architekturform hervorzuheben wünschten – übrigens auch für die Archäologie des Frühmittelalters in Bayern von J. Fries-Knoblach herausgestellt (S. 355–394). Richtig bleibt aber natürlich trotz allem, dass gerade die Architektur eine der dauerhaftesten Quellen der materiellen Kultur darstellt (P. Trebsche, S. 144) und dieser dadurch natürlich auch ein erheblicher Wert bei der Interpretation und Deutung zukommt.
Von großer Bedeutung ist daher auch die Frage nach der Funktion und Charakterisierung vormoderner Architektur, die gerne erst mit den Hochkulturen angesetzt wird, wobei das Paläolithikum völlig zu Unrecht zumeist als „Höhlenkultur“ angesehen wird. Damit ist sicherlich auch die von J. Rykwert dereinst propagierte These von der Urhütte verbunden, die längst auch in der Architekturhistorie nicht mehr als haltbar verstanden werden kann (S. 17).
Daneben sind Methoden der Kulturwissenschaften, beispielsweise die Semiotik, durchaus auf die Architektur, auch auf die vormoderne, anwendbar, wodurch der Architektur die Funktion eines Kommunikationsmediums – und nicht nur ihre immanente Symbolik – zugesprochen wird (Eco; Schäfers; Schubert; Fischer).
Ein sicher gerade für Archäologen äußerst lesenswerter Artikel ist der von P. Trebsche zur Verwendung der Architektursoziologie in der prähistorischen Archäologie (S. 142–170). Er macht nochmals deutlich, dass neben der Problematik der Funktionsansprache bestimmter Architektur freilich auch die Transformationsprozesse Beachtung verdienen. Aus den bereits existierenden Forschungen zur Thematik konnte er fünf repräsentative Methoden herausfiltern, die er kritisch auf ihre Relevanz und Bedeutung prüft. Hierzu gehören die Ad-hoc-Interpretation, die Untersuchung von Gebäuden, die Untersuchung der Fundverteilung, die Beschäftigung mit verschiedenen Siedlungstypen und -hierarchien, sowie die häufig über die Ethnologie gezogenen Analogieschlüsse. Besonders zu verinnerlichen ist sein Ansatz zum „Lebenszyklus von Gebäuden“ und damit genau die Frage der Transformationsprozesse von der Planung, über die Nutzung bis hin zum Niedergang einer Architektur (S. 156).
Diesen notwendigen und hochinteressanten theorieverpflichteten Beiträgen folgen schließlich diverse Fallbeispiele aus der archäologischen Diskussion, die gerade den Nutzen, zugleich aber auch die Probleme einer Eins-zu-eins-Übernahme von vielen Konzepten, wie es bislang geschah, als schwierig erachten lassen.
Auch der letzte Teil des Bandes, der wiederum Beiträge aus der Nachbardisziplin der Ethnologie versammelt, zeigt die Notwendigkeit, sich stärker kritisch mit den Raumkonzepten und der Frage der Nutzung von Architektur auseinanderzusetzen.
Viele der in diesem Buch präsentierten Denkmuster und Ansätze sind, dies sei schlussendlich angemerkt, sicher nicht neu und werden auch im Fach von vielen Forschern seit langer Zeit verwendet. Das Manko dabei ist allerdings häufig die fehlende theoretische Basis, mit der sich die meisten Beiträge dieses Buches dezidiert und kritisch auseinandersetzen. Es werden viele Methoden und Möglichkeiten aufgezeigt, die bislang in der siedlungsarchäologischen Diskussion viel zu kurz gekommen sind und gerade in Zukunft mehr Beachtung verdient haben.

10.11.2013
Robert Kuhn - Berlin
Der gebaute Raum. Bausteine einer Architektursoziologie vormoderner Gesellschaften. Hrsg. v. Trebsche, Peter. 518 S., zahlr. Abb. 21 x 14,8 cm. Pb Waxmann Verlag, Münster 2010. EUR 34,90
ISBN 978-3-8309-2285-8
 
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