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Wiedererstehendes Assur

Von Verlagsseite als "Katalog-Handbuch" zur gleichnamigen Sonderausstellung im Vorderasiatischen Museum in Berlin angekündigt, überzeugen die rund 21 in diesem Band enthaltenen Aufsätze zur Geschichte der deutschen Ausgrabungen in Assyrien (Irak) den Leser auch unabhängig von dem aktuellen Projekt voll und ganz. Außerdem werden die in der Ausstellung präsentierten Funde aus Aussur in der vorliegenden Publikation sowieso nicht im Sinne eines Ausstellungskataloges je einzeln vorgstellt, sondern gegebenenfalls in den Texten der 19 Autorinnen und Autoren im Kontext entsprechender Themen behandelt.
Ohne ihres wissenschaftlichen Charakters verlustig zu gehen, verzichten die Verfasser dabei auf die normalerweise bei derartigen Publikationen gebräuchlichen Fußnoten, nicht jedoch auf gleich eine Reihe ausgesprochen nützlicher Querverweise zu den jeweils anderen Texten im Band. In diesem Zusammenhang stört es auch nicht, dass sich hin und wieder inhaltliche Doppelungen ergeben. Im Gegenteil, entfaltet sich vor dem inneren Auge des Lesers doch auf diese Weise recht schnell ein Bild, in welchem die Bedeutung der rund 100jährigen Grabungsgeschichte deutscher Archäologinnen und Archäologen in Assur klar fassbar wird.
Das Konzept, archäologische Sachverhalte in Form von Essays einem breiteren Publikum in leicht verständlicher Weise nahe zu bringen ohne gleichzeitig auf inhaltliche Tiefe und präzise Darstellung zu verzichten, hat sich mit diesem Band einmal mehr bewährt und sollte beibehalten werden.
Das Werk, das letztlich fast 100 Seiten und über 50 Abbildungen umfangreicher als ursprünglich angekündigt ausgefallen ist, vermittelt auch vom Layout her und in der Abfolge von den fünf thematischen Kapiteln - Einführung, Ausgrabung, Museum, Forschung und Vision - die für eine Beschäftigung mit den materiellen Zeugnissen menschlicher Vergangenheit nötige innere Distanz und Ruhe.
Dies hat zur Folge, dass der Leser bei der Lektüre nicht nur die zweifellos spannende Geschichte der von dem Architekten Walter Andrae (1875-1956) zwischen 1903 und 1914 im Auftrag der Deutschen Orientgesellschaft durchgeführten Ausgrabungen in Assur sowie den abenteuerlichen Weg der vielen Objekte in die Museen von Berlin, Istanbul, London und Bagdad zur Kenntnis nimmt, sondern auch ein Gefühl für die Anstrengungen der an der Wissenschaft der Archäologie Beteiligten bekommt und außerdem zu eigenen Fragen die Geschichte und Kultur der Assyrer betreffend angeregt wird. Mit anderen Worten: Die Grenze zwischen Vergangenheit und Gegenwart beginnt durchlässig zu werden.
Nicht selten Staunen erweckende Aufnahmen von einzelnen Bereichen in den Magazinen eines Museums - beispielsweise im Text über "Die Assur-Funde im Vorderasiatischen Museum" (S. 93-100) - sind durch den Blick hinter die Kulissen diesem Ansatz einer Arbeit an der Vergangenheit ebenfalls sehr förderlich.
Besonders klar ist übrigens - und dies kann sehr zentral sein - die Relativität und je zeitbezogene Position von Menschen gegenüber der Vergangenheit in dem Aufsatz "Zwischen Dichtung und Wahrheit. Assur und Assyrien in den Augen der Nachwelt" (S. 19-28) herausgearbeitet. Mit Vergnügen nimmt der Leser im Text "In Stein gehauen. Inschriften assyrischer Könige" (S. 139-147) das durch eine keilschriftliche Widmung auf einem ägyptischen Alabasterhron dokumentierte Liebeswerben des Königs Sanherib (705-681 v.Chr.) um die Palastdame Taschmetumscharrat zur Kenntnis. Und ausgesprochen anregend sind auch die Essays der Autoren Stefan M. Maul - über die Bibliothek des assyrischen Orakelpriesters Kizir-Aschur (S. 175-182) - sowie Steven Lundström zum assyrischen Totenkult am Beispiel der Königsgrüfte im Alten Palast von Assur mit dem Titel "Es klagen die großen Kanäle..." (S. 129-135).
Entsteht beim Leser gelegentlich der Eindruck, dass der Fokus der Darstellung zu stark auf der zweifellos nicht geringen Bedeutung des Vorderasiatischen Museums in Berlin für die Wissenschaft der Assyrologie liegt, so erhält diese Kritik durch den Artikel "Neue Forschungen in Assur" (S. 183-190) des an der Universität Heidelberg lehrenden Peter A. Miglus ihre angemesse Gegenposition, weiß der Autor doch über die aktuelle Grabungssituation in Assur und die Zusammenarbeit mit dem irakischen Antikendienst Interessantes zu berichten. Die tiefe Bedeutung der Tempelanlagen von Assur in umfassender Weise verstehbar zu machen, ist schließlich das große Verdienst des Mitherausgebers Joachim Marzahn, dem es in seinem Aufsatz "Der >virtuelle Tempel< von Assur" (S. 193-202) nicht nur gelingt, ein tragfähiges Konzept für die museale Präsentation eines assyrischen Tempels zu entwickeln, sondern der auch die Weltsicht der Assyrer, aus der ihre großartigen Tempel hervorgingen, in einer Weise verständlich macht, die in ihrer Sensibilität der des ersten Ausgräbers von Assur, Walter Andrae, kongenial ist.
Das Buch kann uneingeschränkt empfohlen werden.
Matthias Mochner
Wiedererstehendes Assur. 100 Jahre deutsche Ausgrabungen in Assyrien. Hrsg.: Marzahn, Joachim. 130 S. 150 meist fb. Abb. 28. Gb., Philipp von Zabern, Mainz 2003. EUR 34,80
ISBN 3-8053-3250-5
 
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