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Für die Ewigkeit geschaffen

Oktober 2004 konnten in einer Grabanlage zwei dekorierte Holzsärge im Nekropolengebiet H in Dra’ Abu el-Naga (Theben/West, Ägypten) geborgen werden. Lokalisation, Fundgeschichte, Beschreibung der Objekte, ihre historische Einordnung und weiterführende Arbeiten wie z. B. zur Inschrift der Särge, anthropologisch-paläopathologische Untersuchungen oder zur abschließenden Konservierung sind in diesem, bewusst populärwissenschaftlich angelegten Band zusammengestellt.
Beide Särge – in ihrer Anordnung hat der größere eines Mannes namens Imeni (dtsch. „der Verborgene“) den kleineren der Dame Geheset (dtsch. „die Gazelle“) samt deren Bestattung in sich aufgenommen – stammen aus dem späteren sog. Mittleren Reich bzw. der beginnenden Zweiten Zwischenzeit, von heute aus gerechnet rund 3750 Jahre zurückliegend. Um den Leser die Zeitstellung wie auch den Fundort näher zu erläutern, hat der Herausgeber drei kurze Kapitel vorangestellt, die fachkundig abgefasst sind, aber vom Leser auch erhöhte Aufmerksamkeit verlangen. Mit Kapitel 4 beginnt die Schilderung über die Verortung der Grabanlage der Geheset (Anlage K03.4 im Areal H in Dra’ Abu el-Naga) und deren Reinigung. Detailliert wie spannend zugleich zeichnet Polz als verantwortlicher Ausgräber die Freilegung des Grabes nach, beschreibt wie Schritt um Schritt der Schutt immer neue Funde freigibt und listet die zahlreichen gefundenen (nicht immer antiken) Objekte auf, die dabei zutage getreten sind. (Diese Akribie ermöglicht u.a. eine Rekonstruktion der letzten Phase der Bestattung.) Wichtigste Entdeckung aber sind die dekorierten Särge, die in einem rund neun Meter tiefen Schacht eingebracht worden waren und die sterblichen Überreste der Geheset bargen. Im fünften Kapitel beschreibt Polz die Bergung des Sargensembles und seine Überführung in eines der Magazine der ägyptischen Altertümerverwaltung.
Mit dem sechsten Kapitel beginnt der analytische Teil des Buches. Polz hält hierin fest, dass der größere Sarg des Imeni (aus Sykomorenholz) Umarbeitungen erfahren hat, vermutlich, als er umgewidmet wurde, den kleineren Sarg der Geheset (aus Tamariskenholz) und ihre Leiche in sich aufzunehmen. Der Sarg der Geheset wiederum lehnt sich von seiner Beschriftung her eng an den größeren Imeni-Sarg an, sodass Polz zu Recht annimmt, Imenis Kastensarg stand bei der Schriftauswahl für die Dekoration des Frauensarges Pate und war eventuell dem Graveur der Hieroglyphen des Geheset-Sarges frei zugänglich. Die Hieroglyphen am Sarg des Imeni, von denen einige als Vergrößerung auf den Seiten 66 und 67 abgebildet sind, wurden auf den Außenseiten monochrom und relativ freistehend, im Innenteil hingegen farbig und teilweise kontaktierend ausgeführt. Gehesets Sarg ist nur außen und dort lediglich mit monochromen Hieroglyphen beschrieben. Auch die Lage des Leichnams kann aufgrund von Verfärbungen abgelesen werden: Bei der Einbringung in den Schacht verrutschte die Leiche und stieß mit ihrem Kopf an die Nordseite der Wanne.
Im folgenden Kapitel analysiert Antonio Loprieno die Beschriftung beider Särge und bindet sich theologisch ein. Zwar kann Loprieno darauf verweisen, dass „Imenis Sarg eine kleine Sensation für die Sargtextforschung“ (S. 78) darstellt, doch worum es genau geht, erschließt sich dem Nichtwissenschaftler nicht. Statt dessen, um die Verwirrung komplett zu machen, verweist er noch auf eine „gesonderte Publikation“ (ebd.). Dies alles geht an der von Polz in der Einführung formulierten Zielsetzung vorbei, eine allgemein verständliche Aufbereitung der beiden Särge vorzulegen. Generell gilt für Kapitel 7, dass es wegen seiner Umsetzung der konzeptionellen Vorgabe – nicht etwa wegen der inhaltlichen Ausgestaltung – der schwächste Teil in dem sonst sehr gelungenen Band ist.
Der Gegenentwurf zu Loprieno folgt gleich im nächsten Kapitel: Mit den bildlichen Darstellungen im Sarg des Imeni hat Ute Rummel sich der gleichfalls schweren Aufgabe angenommen, Interessierten unter Bezug auf pars-pro-toto-Darstellungen komplexe Bezüge im altägyptischen Kultablauf und Totenglauben näher zu bringen, was ihr gut lesbar und ausreichend erklärt gelungen ist.
Ein besonderes Interesse wird Kapitel 10 hervorrufen, in dem nach der weiteren Analyse der Bestattung nun die Tote selbst Untersuchungsgegenstand ist. Die mit 50-60 Jahren verstorbene Geheset litt vermutlich an einer zerebralen Parese, die sich bereits in früher Kindheit als rechtsseitige Lähmung äußerte. Die anthropologischen Befunde deuten auf einen negroiden Skeletttypus hin.
In Kapitel 13 fasst der Herausgeber Polz überblicksartig noch einmal alle Untersuchungen der verschiedenen Wissenschaftler zu einer Gesamtschau zusammen. Das sehr differenzierte Bild der Bestattung von Geheset ist hier in einer willkommenen Zusammenstellung nachgezeichnet worden; dem Herausgeber und seinen Kollegen darf man zum gelungenen Buch beglückwünschen.
21.2.2008
Orell Witthuhn
Für die Ewigkeit geschaffen. Die Särge des Imeni und der Geheset. Hrsg. v. Polz, Daniel. 176 S., 9 sw. u. 135 fb. Abb. 24 x 30 cm. Gb Philipp v. Zabern, Mainz 2007. EUR 29,90
ISBN 978-3-8053-3794-6
 
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