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Liebermann gegen Kaiser

Christoph Stölzl, erster Direktor des Deutschen Historischen Museums, flaniert gelegentlich durch das kaiserzeitliche Berlin. Sucht nicht den Kaiser, der findet sich sowieso, sondern kaiserzeitliche "andere Deutsche". Wie den Grafen Kessler, den er so 2016 in einer Ausstellung exponiert. Da ist der sezessionistische Liebermann nicht weit, zweiter ernst zu nehmender bürgerlicher, adeliger kultureller kaiserlicher Antipode.

Es könnte dann auch so gewesen sein: Liebermann, nach Pariser Impressionisten-Ankäufen mit Tschudi nun 1896 in einem Londoner Hotel über seinen Bauantrag reflektierend, Szene 1. Ein Atelier-Glasdach will er seinem Palais am Brandenburger Tor applizieren, unabdingbar für die farbnuancierte Malerei lichttrunkener Impressionisten. Die zuständige Behörde lehnt diese Verunschönerung des Pariser Platzes ab, zeigt sich später jedoch entgegenkommend. Doch zu wenig für ihn, Liebermann, er ist hartnäckig. Wie nun weiter?
Szene 2, Arbeitszimmer von Kaiser Wilhelm II. Er soll nun, so die verunsicherten Behörden, entscheiden. Sieht, liest den Bauantrag, besinnt sich auf seinen Münchner Historien-Malerfreund Anton von Werner. Aktiviert dabei alle seine Vorbehalte gegen den Berliner Franzosenfreund. Und entscheidet sich für das Geschmacksurteil "Scheußlich" auf dem Rand des Bauantrags. Es ist der Polizeipräsident, der diesmal den ablehnenden Bescheid unterzeichnen muß (Szene 3).
Szene 4, 5 und 6. Liebermann, wie auch anders, erhebt Beschwerde, klagt. Seine juristischen und architektonisch-ästhetischen Argumente, klug miteinander verbunden und klagetaktisch gut situiert, sind erfolgreich. Die kaiserlichen Juristen ignorieren das kaiserliche Geschmacksurteil, beziehen sich auf die Sachlage nicht ohne dabei, chapeau, der zuständigen Baubehörde Versagen deshalb vorzuwerfen, habe sie doch die Vielzahl bisheriger baulicher Veränderungen am Pariser Platz niemals moniert.
Liebermann kann 1898 sein Glasdach bauen lassen. Der Kaiser hat nicht gegen ihn gewonnen. Und Christoph Stölzl auf wenigen Seiten blitzlichtartig eine Episode beleuchtet, in der er Aspekte zeitgenössischer ästhetischer, kultureller und politischer Polaritäten zu einem vielschichtigen, unideologischen Zeitbild zusammensetzt. Man wünscht es sich, so, auf einer Bühne, im Theater.
(Die Schrift erschien aus Anlaß des zwanzigjährigen Jubiläums der Stiftung mit Interviews ihrer beiden Vorstandsmitglieder).

2.2.2018
Wolfgang Schmidt, Berlin-Friedenau
Liebermann gegen Kaiser. Ein historischer Kurzroman. Christoph Stölzl. Hrsg. v. d. Stiftung Brandenburger Tor/Max Liebermann Haus/Kulturstiftung der Berliner Sparkasse, Berlin 2017, 84 S., s.-w. Fotografien. Das Buch kann unter info@stiftungbrandenburgertor.de bezogen werden.
ISBN 978-3-000000-18-1
 
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