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Die Wiege der Demokratie?

Die Wiege der Demokratie?
Hinter dem Titel „Krieg“ verbirgt sich das Geschehen eines Krieges in der Rhein-Main Region, der einzige Krieg, der mehr war als der Durchzug einer Armee, der Ort einer Schlacht oder einer einzelnen Belagerung. Das Gleiche gilt für den weiteren Band "Freiheitsbaum und Galgen. Die Mainzer Republik 1792/93" vom L. Reichert Verlag.
Es ist der Teil des „Ersten Koalitionskrieges“, jener europaweiten Auseinandersetzung um die Folgen der Französischen Revolution 1792 bis 1797, der sich zwischen Oktober 1792 und Juli 1793 im Raum Rheinhessen, Mainz, Frankfurt und Taunus abspielte.
Christoph Schlott hat alle Nachrichten aus zwei führenden Zeitungen aus Frankfurt und Augsburg zwischen Oktober 1792 und August 1793 ediert und damit ein Tagebuch des Ersten Koalitionskrieges präsentiert und den Untergang der "Mainzer Republik" im Rhein-Main-Gebiet.
In seiner Einleitung beschreibt er die historischen Hintergründe und die Geografie der Region und analysiert die Berichterstattung der damaligen Redakteure: "Zeitungsmeldungen sind die erste Rohfassung der Geschichte" (Kay Graham, New York Times). Dieses Zitat des 20. Jahrhunderts entfaltet hier seine Gültigkeit auch für die damaligen Ereignisse: Hunderte meist farbige Abbildungen illustrieren die Berichterstattung. Historiker haben die Zeitungsmeldungen bisher nicht ausgewertet, obwohl sie eine Fundgrube für Details und Lokales sind und überraschend offen über Dinge des Alltags, des Mangels und des Grauens berichten. Der Historiker und Publizist Christoph Schlott hat für diesen Band zur Geschichte der Region Rhein-Main zwei der wichtigsten Zeitungen des 18. Jahrhunderts durchgesehen und zitiert.
Kommentiert und reichlich bebildert mit zahlreichen Kupferstichen, Zeichnungen, Plänen und Fotos „von heute“ entsteht auf diese Weise ein Panorama dieses Krieges. Zwei große Städte und mehrere kleine traf es besonders hart. Mainz, Frankfurt und Königstein mit der „letzten Festung der Franzosen“ und dem „Gefängnis der ersten Demokraten“, Kostheim, Hochheim, Weisenau und Kastel.

Der zweite, hier vorgestellte Band zum gleichen Thema beschreibt die Mainzer Republik – beginnend mit der Eroberung der Festung und der Residenzstadt des Kurfürsten, Erzbischofs und Erzkanzlers Erthal durch General Custine am 21. Oktober 1792, endend mit dem Abzug von 20.000 Revolutionssoldaten am 24.07.1793 – und sei laut dem Autor Heinz Brauburger von Beginn an umstritten. In der politischen Diskussion anlässlich der Einführung des Platzes der Mainzer Republik bezeichneten die Protagonisten die „Mainzer Republik“ als Wiege deutscher Freiheit, als Wurzel der Demokratie in Deutschland, die auf dem ersten nach demokratischen Grundsätzen zustande gekommenen Parlament der deutschen Geschichte basierte.

Heinz Brauburger stellt den Zusammenhang dar mit dem ersten Koalitionskrieg zwischen Österreich, Preußen und ihren Verbündeten einerseits, Frankreich andererseits, mit der Kanonade von Valmy, dem Übergang vom Verteidigungskrieg zum Befreiungskrieg für die „unterjochten Völker“, und schließlich zum Eroberungskrieg im Rahmen der zweiten, der radikalen Phase der Revolution.

In Chronik, Aufsätzen und Dokumenten zeigen sich die Ziele Frankreichs und die Interessenidentität der deutschen Jakobiner: Revolutionierung zur Überwindung des „ancien régime“, der adligen und ständischen Herrschaft; Anschluss der eroberten Gebiete an Frankreich als Ziel; Enteignung und Vertreibung als Mittel eines zunehmend autoritären, nicht demokratisch legitimierten Systems.

Die Frage: Der Rheinisch-Deutsche Nationalkonvent – Wiege der Demokratie, Ursprung des Parlamentarismus verneint Heinz Brauburger – im Gegensatz zu Christoph Schlott - ebenso wie die Frage nach der „liberalen“ Anfangsphase der Mainzer Republik. Am Beispiel des bekanntesten Mitglieds des Jakobinerclubs, Georg Forster, werde der Weg der Mainzer Republik „mit Pathos und Gewalt“ in die fränkische Freiheit dargestellt. Beschrieben wird von Brauburger, wie eine jakobinische Minderheit, von hochfliegenden Ideen erfüllt, glaubte, das Recht zu haben, die „rückständige Bevölkerung“ ohne Rücksicht und mit Gewalt zu ihrem angeblichen Glücke zwingen zu dürfen.

Eines aber wird deutlich, die Mainzer Republik 1792/93 darf man getrost als die Wiege demokratisch konstruierter Gesellschaft in Deutschland betrachten.

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Freiheitsbaum und Galgen. Die Mainzer Republik 1792/93. Chronologie, Dokumente mit Anmerkungen, Aufsätze zur französischen Expansionspolitik und zur Rolle der Mainzer Jakobiner. Brauburger, Heinz. Deutsch. 2020. 148 S. 88 fb. Abb., 4 Abb. 24 x 17 cm. L. Reichert Verlag, Wiesbaden 2020. EUR 29,80. ISBN 978-3-95490-467-9

04.10.2021
Gabriele Klempert
Krieg! Aus der Zeitung 1792/93 Mainz, Frankfurt, Königstein (im Taunus) und Rhein-Main. Christoph Schlott. Redaktion Frauke Heckmann. 2020.384 S., zahlr. fb. Abb., 30 x 21 cm, Gb. EUR 59,80 www.chronicon-verlag.de
ISBN 978-3-944213-31-6
 
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