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Mehr Licht – Die Befreiung der Natur.

Triumph der Farbe

Es war eine kleine Revolution der Malerei, dass es den Künstlern die Erfindung der Tubenfarben in den 1840er Jahren einfach machte, mit dem Ölmalkasten und einer mobilen Staffelei in die Natur zu ziehen und mit der Farbe direkt vor dem Motiv zu arbeiten. Man müsste eigentlich sagen, „einfacher“ machte, denn in den Jahrzehnten zuvor hatten sie bereits begonnen mit selbst gebastelten Konstruktionen, Ölfarben auf Wanderungen mitzunehmen. Es gab also einen Bedarf, mit diesen arbeitsaufwendigeren Farben in der Natur hantieren zu können. Dieser resultierte daraus, dass die Künstler – ausgehend von Frankreich – die Wirkung des Lichts intensiver darstellen wollten, als es farbige Kreiden oder das Aquarell erlauben würde. Die Leuchtkraft der Ölfarbe ist es daher auch, die uns bis heute die Ölstudien des 19. Jahrhunderts so nahe gehen lässt. Hinzukommt, dass die Maler diese kleinformatigen Bilder für sich selbst angefertigt haben und Unvollendetes, wie auch Flüchtiges daher eher die Regel als die Ausnahme sind. All dies gibt diesen Bildern nicht nur eine Frische des Eindrucks, sondern auch eine Lebendigkeit, die so gar nichts mit den durchkomponierten und überinszenierten großen „Schinken“ – oder wie die Franzosen sagen, den großen „Maschinen“ – der Malerei des 19. Jahrhunderts zu tun haben.
Florian Illies spricht daher auch davon, dass die Ölstudien, „die Rettung der Malerei des 19. Jahrhunderts“ für unsere Zeit seien. Aber damit unterschätzt er zum einen die Vielfalt der Kunst dieses Jahrhunderts und deckt zum anderen die Schwäche seiner Herangehensweise auf: Eine gelungene Formulierung ist dem Ex-Journalisten, Ex-Kunstzeitschriftengründer und Ex-Kunsthändler, der heute vor allem für seine gelungene Vermarktung von Jahrestagen bekannt ist, allemal wichtiger, denn ein zu Ende gebrachter Gedanke. So mag es ein gelungener Marketing-Gag des Direktors des „Kunstpalast Düsseldorf“ gewesen sein, Illies mit einer Ausstellung zur Ölstudie im 19. Jahrhundert zu betrauen, aber die hervorragende Sammlung Düsseldorfer Kunst in diesem Museum, ergänzt durch die der Lübecker Museen und internationaler Leihgaben sowie die Mitarbeit versierterer Kunstwissenschaftler hat aus dem Projekt doch etwas Bemerkenswertes werden lassen. So kann man auch den Untertitel der Ausstellung, „Die Befreiung der Natur“, getrost vergessen, denn wenn etwas befreit wurde, dann die Kunst, während die Natur im Laufe dieses Jahrhunderts immer weiter geknechtet wurde. Aber das ist kein Thema einer Ausstellung über Ölstudien.
Das umfangreiche Katalogbuch zur Ausstellung in Düsseldorf (bis 7. Mai) und im Museum Behnhaus Drägerhaus in Lübeck (14. Juli bis 15. Oktober 2023) dokumentiert nicht nur alle Exponate mit wunderbaren Reproduktionen, sondern führt darüber hinaus in begleitenden Essays in die Vielschichtigkeit der Thematik des malerischen Naturstudiums ein. Der Katalog gliedert sich – wie die Ausstellung – in neun Kapitel, von „Das Flüchtige. Die Magie des Augenblicks“ bis zu „Grauwerte am Himmel. Ein Weg in die Ungegenständlichkeit“. Mit diesen Titeln dürfte auch schon klar sein, dass hier nicht systematisch, sondern eher assoziativ gearbeitet wird. Aber bei dem volatilen Gegenstand ist dies vielleicht auch die beste Herangehensweise. Apropos Grau – einige Aperçus von Peter Sloterdijk zu dieser Farbe, der er sein letztes Buch gewidmet hat, runden den Katalogteil ab.
Bei so manchem Bild denkt man, die Farbe sei gerade eben erst getrocknet und die kleinen Formate lassen den Betrachter so nah wie möglich herantreten. Kleinformatig sind diese Bilder, weil sie zum einen in überschaubarer Zeit abgeschlossen werden sollten und zum anderen, weil sie ja noch feucht in einer Schachtel oder im Malerkasten transportiert werden mussten. In ihrer Überschaubarkeit liegt ihre Stärke und das Ringen der Maler um die Frische des Natureindrucks, das alle Konventionen vergessen ließ, zieht uns heute mehr denn je in ihren Bann. Wer die Ausstellung nicht sehen kann, hat in dem wunderbaren Buch eine anregende Einführung in diesen bislang unterbelichteten Bereich der Malerei.

07.07.2023
Andreas Strobl
Mehr Licht. Die Befreiung der Natur. Die Kunst der Ă–lstudien im 19. Jahrhundert. Hrsg.: Kunstpalast DĂĽsseldorf; Illies, Florian. 208 S. 180 fb. Abb.. 28,5 x 23,5 cm. PAP. Sandstein Verlag, Dresden 2023. EUR 42,00.
ISBN 978-3-95498-725-2
 
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