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Deutsch-koloniale Baukulturen

Endlich nimmt sich die Forschung der einstigen deutschen Kolonien an – endlich kommt der gesamte Komplex ins allgemeine Bewusstsein. Und endlich wird deutlich, dass es bereits vor dem NS-Rassismus, Unterdrückung und Ausbeutung gegeben hat, an der deutsche Protagonisten aus Politik, Wirtschaft und Kultur maßgeblich beteiligt waren. Dass zur anschaulichen Beleuchtung eines solchen Sachverhalts die Architektur als komplexe Stil-, Zweck- und Raumkunst sich besonders eignet leuchtet ein, zumal die Bauten und Projekte – von der Verwaltervilla über die Stilgeschichte vernakulärer Architekturen bis hin zu gigantischen Infrastrukturen – zeitgenössisch bestens publiziert wurden, also auf ihre Auswertung regelrecht warteten.
Was hat der Herausgeber des vorliegenden Bandes im Rahmen eines DFG-geförderten Forschungsprojekts daraus gemacht? Nun: angesichts des komfortablen Projektrahmens und der Ausgangslage der Quellen deutlich zu wenig. Wir haben es mit einer bunten Textsammlung zu tun, deren Inhalt vier Kontinente und vier Jahrzehnte umfasst, Einzelbauten, beschrieben von unterschiedlichen Autoren mit unterschiedlichem Zugriff, unterschiedlichen Perspektiven – aber nach Aufgabenstellung eben ohne auf ein größeres Ganzes zu zielen. Beispiel reiht sich an Beispiel: ein Bauwerk, ein Zeitungsartikel, ein Buch, ein Memoirentext, eine Postkartensammlung, usw. usf. Was passiert? Als Leser ist man erst konfus, dann müd`, dann genervt. Die Auswahl (die auch nicht begründet wird) erscheint beliebig, Wichtiges steht gleichrangig neben Vernachlässigbarem (alle Texte sind ungefähr gleich lang). 100 Impressionen „deutsch-kolonialer Baukulturen“ als wildes, mitunter bizarr anmutendes Kaleidoskop deutschen Weltmachtstrebens auf Kosten anderer Menschen. Eine positivistische Bestandsaufnahme, sozusagen die oberflächliche Inspektion eines unaufgeräumten Horrorkabinetts – aber das ist natürlich noch keine Forschung.
Man hätte es wagen können – wagen müssen, das Material zu einer übergreifenden Architekturgeschichte der deutschen Kolonien zu ordnen. Das heißt: Vergleiche zwischen den jeweiligen „Raum- und Beherrschungsstrategien“ an den einzelnen Schauplätzen anstellen, die Institutionen (Ministerien), die Finanzierer (Unternehmen, Banken), die Nutznießer, die Planer und ausführenden Firmen – und auch die Unterdrückten systematisch in den Blick nehmen, schließlich die Konsequenzen bis heute nachzeichnen und auch noch einmal begründen, warum das gesamte Themenfeld bei uns – dem einstigen Kolonialherrn – so lang verschwiegen werden konnte. Das alles wäre angesichts offenkundiger Zusammenhänge, die sich bereits aus dem vorliegenden Sammelsurium ergeben, nicht wirklich allzu schwer gewesen – es gibt zudem zahlreiche historisch-politische Literatur über die Kolonien, knappe, konzise, thesenstarke Überblickswerke, in deren argumentatives Gerüst man die Entwicklung der Architektur durchaus hätte einhängen können. Doch statt eines beherzten Griffs in die Vollen – und eines echten Beitrags zur Forschung – schwelgt der Herausgeber lieber in seiner Scham für die 120 Jahre vor seiner Geburt durchgeführte Kolonisierung. Hätte er nicht vielleicht besser Sühnearbeit vor Ort geleistet statt Plattitüden über die Sprachpolitik der „Herrenrasse“ auszubreiten, deren Beredsamkeit wissenschaftlich auszuwerten ist, nicht ex post zu bemäkeln?
Zuletzt ein Wort zur Erscheinung des Buches. Der vorliegende Band ist miserabel layoutet, mäßig redigiert und lustlos umgesetzt. Wie kann es sein, dass eine renommierte Forschungseinrichtung wie das Münchner Zentralinstitut ZI, dass sich doch mit Kunst – also Gestaltung – befasst, so etwas vorlegt? Da...schäme ich mich.

05.08.2023
Christian Welzbacher
Deutsch-koloniale Baukulturen. Eine globale Architekturgeschichte in 100 visuellen Primärquellen. Veröffentlichungen des Zentralinstituts für Kunstgeschichte in München (71). Hrsg.: Falser, Michael. Deutsch; Englisch. 504 S. 24 x 17 cm. Dietmar Klinger Verlag, Passau 2023. EUR 39,00
ISBN 978-3-86328-193-9
 
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